# taz.de -- Verschärftes Asylrecht: Wer frieren muss, der soll auch leiden | |
> Am November drohen Flüchtlingen auch im Norden unangekündigte | |
> Abschiebungen, längere Isolation und eine schlechtere | |
> Gesundheitsversorgung | |
Bild: Abgelehnte Asylbewerber aus Serbien und Mazedonien steigen im Zuge einer … | |
BREMEN taz | Zum 1. November werden die Lebensumstände für viele | |
geflüchtete Menschen deutlich schlechter. Das, so klagen | |
Flüchtlingsinitiativen, ist das Ergebnis des jetzt beschlossenen | |
Asylkompromisses von Bund und Ländern. Das gilt auch für Bereiche, in denen | |
die Länder Ermessensspielräume zugunsten der Flüchtlinge hatten. Der | |
niedersächsische Flüchtlingsrat nennt die Verschärfungen gar | |
„verfassungswidrig“. | |
Flüchtlinge aus Albanien, Kosovo und Montenegro, meist Roma, sollen künftig | |
schneller abgeschoben werden. „Überfallartige Abschiebungen werden künftig | |
Pflicht“, sagt Claudius Voigt von der Gemeinnützigen Gesellschaft zur | |
Unterstützung Asylsuchender. Die Länder hätten da, anders als bisher, „kein | |
Ermessen“ mehr. In Niedersachsen etwa wurden solche Maßnahmen bisher meist | |
angekündigt. Nun gelte: Wer eine Aufforderung zur freiwillige Ausreise | |
verstreichen lasse, dem dürfe seine Abschiebung nicht mehr angekündigt | |
werden, so Voigt, der kürzlich [1][Sachverständiger im Bundestag] war. Das | |
niedersächsische Innenministerium wollte sich gestern nicht äußern – wegen | |
der „hohen Anzahl von Anfragen“. | |
Für die Betroffenen sind solche Abschiebungen oft traumatisierend. „Sie | |
müssen nun wieder jede Nacht panisch einschlafen, sagt Gundula Oerter von | |
der Flüchtlingsinitiative Bremen. Bremen setze weiter auf eine freiwillige | |
Ausreise, sagte Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) dem [2][Weser-Kurier], | |
habe aber „keinen Ermessensspielraum“. | |
Mäurer mahnte zugleich mehr Personal an, um abschieben zu können, bisher | |
sei die Ausländerbehörde darauf nicht vorbereitet. 2010 hatte Bremens | |
Landtag beschlossen, nicht in den Kosovo abzuschieben. Diese Frage bedürfe | |
nun „einer Neubewertung“, heißt es im Innenressort. In Bremen gingen 2015 | |
bis Ende September 883 Asylanträge aus Albanien oder dem Kosovo ein, 855 | |
Verfahren waren anhängig. | |
Das neue Asylrecht, dem neben SPD und CDU auch die Grünen in Hamburg und | |
Schleswig-Holstein zustimmten, sei „eine Kampfansage an Schutzbedürftige“, | |
sagt Gundula Oerter von der Flüchtlingsinitiative. „Die Bedingungen werden | |
sich total verschlechtern – dabei sind sie jetzt schon miserabel.“ Sie | |
berichtet von einer jungen Mutter, die mit einem drei Wochen alten Baby | |
derzeit in Bremen lebt. Seit zwei Monaten habe sie kein Geld, nicht mal | |
eine Erstausstattung fürs Kind, so Oerter, und das sei kein Einzelfall. | |
## Versperrte Bleibeperspektive | |
Bisher gilt in Bremen, dass Flüchtlinge nach drei Monaten in privaten | |
Wohnraum vermittelt werden sollen und einen eingeschränkten Zugang zum | |
Arbeitsmarkt bekommen können. „Dieses Ziel gilt weiter“, heißt es im Brem… | |
Sozialressort. Das verschärfte Asylrecht sieht aber eine sechsmonatige | |
Lagerpflicht vor, zu der ein völliges Arbeitsverbot gehört. „Das ist eine | |
Isolation auf allen Ebenen“, so Voigt. | |
Menschen aus „sicheren Herkunftsstaaten“ sollen bis zum Abschluss ihres | |
Verfahrens untätig in Sammelunterkünften warten müssen, also oft viel | |
länger als sechs Monate. Doch diese Lager sind schon heute überfüllt. Und: | |
Bisher konnten sich auch Roma aus dem westlichen Balkan durch einen Job | |
hierzulande eine dauerhafte Bleibeperspektive erarbeiten, so Voigt. Damit | |
soll nun Schluss sein. | |
## Gesundheitskarte zweiter Klasse | |
Gefährdet ist auch die Gesundheitskarte, wie es sie derzeit in Bremen und | |
Hamburg gibt und bald auch in Niedersachsen geben soll. Zwar will der Bund | |
allen Länder erlauben, eine Gesundheitskarte einzuführen, mit der | |
Flüchtlinge direkt zum Arzt gehen können. Doch während man bisher oft | |
akzeptierte, dass Asylbewerber ähnlich behandelt wurden wie deutsche | |
Kassenpatienten, sollen sie nun nur Karten zweiter Klasse bekommen. Der | |
Mindeststandard im Asylbewerberleistungsgesetz liegt deutlich unter dem für | |
Hartz-IV-Bezieher: Er schließt die Behandlung chronischer Krankheiten wie | |
Diabetes, mancher Zahnerkrankungen oder psychotherapeutische Behandlungen | |
aus. Bremen werde an seinem „erfolgreichen System nichts ändern“, erklärt | |
das Sozialressort. | |
Eine weitere Änderung: Künftig sollen wieder verstärkt Sachleistungen statt | |
Bargeld in der Erstaufnahme ausgegeben werden. Abgelehnte Asylbewerber, die | |
sich der Ausreise verweigern, sollen keine Sozialleistungen erhalten. Hier | |
haben die Länder Ermessensspielraum. Sie können weiter 143 Euro Taschengeld | |
zahlen. Es stehe zu befürchten, dass Bremen vermehrt auf Sachleistungen | |
setze, so Oerter. Das Sozialressort will aber nach eigenen Angaben an der | |
bisherigen Praxis festhalten. | |
19 Oct 2015 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bundestag.de/blob/390874/56f44cffef19e15b2bf83f9689b724a9/18-4-… | |
[2] http://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadtreport_artikel,-Wir-werden-al… | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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