| # taz.de -- Flüchtlingsrats-Chef über Unterbringung: „Aufnahme sinnvoller o… | |
| > Behörden definieren Flüchtlinge als Belastung, nutzen Unterkünfte zur | |
| > Abschreckung und wollen Selbsthilfe verhindern, sagt Kai Weber vom | |
| > Flüchtlingsrat Niedersachsen. | |
| Bild: Flüchtlinge müssen ins Zeltlager, selbst wenn in der Nachbargemeinde Wo… | |
| taz: Herr Weber, allein in Niedersachsen leben Tausende Flüchtlinge in | |
| Zelten. Tut das Land genug für die Menschen, die bei uns Schutz suchen? | |
| Kai Weber: Die Beamten bemühen sich wirklich. Trotzdem sollte | |
| selbstverständlich sein, dass Anfang November niemand mehr in unbeheizten | |
| Zelten leben muss. Doch dazu muss die Aufnahme und Unterbringung der | |
| Flüchtlinge sinnvoller organisiert werden. | |
| Inwiefern? | |
| Täglich bekommen wir Post von Menschen, die schon länger bei uns leben und | |
| die jetzt Verwandte oder Freunde, die auf der Flucht sind, aufnehmen | |
| wollen. Absurd ist: Sie dürfen das nicht. | |
| Warum nicht? | |
| Weil unser Staat auf eine gleichmäßige „Verteilung“ der Flüchtlinge auf … | |
| Bundesländer setzt und wohl aus Abschreckungsgründen weiterhin daran | |
| festhält, dass Asylsuchende regelmäßig in „Gemeinschaftsunterkünften“ | |
| untergebracht werden sollen. Allerdings sind die Erstaufnahmen und | |
| Notunterkünfte seit Wochen völlig überfüllt – schließlich bitten jeden T… | |
| 1.000 Menschen allein in Niedersachsen um Schutz. | |
| Was geschieht mit ihnen? | |
| Die Menschen müssen warten und warten. Aktuell dreht sich alles um | |
| Verteilungsquoten: Es gibt Flüchtlinge, die kommen etwa in Bayern an und | |
| könnten dort bei Freunden oder Verwandten unterkommen. Das dürfen sie aber | |
| nicht, weil Bayern seine Aufnahmequote übererfüllt. Als kommen sie nach | |
| Niedersachsen. Weil hier die Erstaufnahmen überfüllt sind, kommen sie in | |
| ein Notaufnahmelager. Dort sollen sie von mobilen Teams erfasst werden. In | |
| manchen Fällen mussten Flüchtlinge aber sechs Monate warten, bis sie | |
| überhaupt registriert wurden – und erst dann steht das Asylverfahren an. | |
| Und wie lange dauert das? | |
| Das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kurz Bamf, ist | |
| überfordert. Aktuell werden vor allem Menschen aus Syrien und dem Irak | |
| bevorzugt angehört. Wer aus Somalia stammt, muss zwei, manchmal auch vier | |
| Jahre warten, bis klar ist, wie es weitergeht. | |
| Vier Jahre Ungewissheit? | |
| Das ist quälend und belastend, klar. Doch auch während dieser Zeit bleibt | |
| das System absurd: Aus den Notaufnahmelagern wird streng nach Quote weiter | |
| verteilt. Dabei achtet jede Kommune peinlich genau darauf, nicht zu viele | |
| Schutzsuchende aufzunehmen. Das führt dazu, dass etwa im Landkreis Gifhorn | |
| in einer Gemeinde Wohncontainer aufgestellt werden, obwohl ein paar | |
| Kilometer weiter Wohnungen leer stehen. Und: Selbst aktiv werden, also etwa | |
| zu Freunden ziehen und sich dort Hilfe suchen, dürfen Flüchtlinge nach der | |
| Verteilung auf die Kommunen erst recht nicht. | |
| Mit welcher Begründung? | |
| Weil die Aufnahme von Flüchtlingen behördlicherseits als „Belastung“ | |
| definiert ist, die gleichmäßig zu verteilen ist. Die Behörden sehen in | |
| Flüchtlingen eine große, ungeordnete Masse, die es zu kanalisieren gilt. | |
| Auf die Idee, dass Flüchtlinge sich selbst helfen können, kommen sie gar | |
| nicht. Auch wer auf eigene Faust einen Job gefunden hat und für sich sorgen | |
| kann, darf nicht einfach in eine eigene Wohnung ziehen. | |
| Gibt es überhaupt genug Wohnungen? | |
| In Regionen wie Hannover ist der Markt natürlich sehr eng. Deshalb muss der | |
| soziale Wohnungsbau nicht nur für Flüchtlinge massiv angeschoben werden, | |
| sondern auch für Studierende, Alleinerziehende – für alle, die es schwer | |
| haben, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Allerdings: Die 480 Millionen | |
| Euro, die etwa in Niedersachsen dafür zur Verfügung stehen, reichen längst | |
| nicht aus: Damit können gerade einmal 6.000 Wohnungen gebaut werden. | |
| Und wie steht es um Sprachkurse und Hilfe bei der Jobsuche? | |
| Auch hier gibt es keine konsequente Linie, auch hier schwankt das | |
| Bundesinnenministerium zwischen Integration und Repression. Privilegierte | |
| Gruppen, aktuell aus Syrien, dem Irak, dem Iran und Eritrea, werden während | |
| des Asylverfahrens zu Integrationskursen zugelassen und haben damit Zugang | |
| zu Sprachkursen. Menschen aus Afghanistan dagegen werden ausgeschlossen. | |
| Wieso? | |
| Weil CDU-Bundesinnenminister Thomas de Maizière wieder nach Afghanistan | |
| abschieben lassen will. Ich halte das für haarsträubend, für absolut | |
| skandalös: Kunduz wird überrannt, Schulen, die die Bundeswehr mit aufgebaut | |
| hat, werden zerschossen – doch die Menschen, die bei uns Schutz gesucht | |
| haben, sollen wieder dorthin zurück. Deshalb will ich mir nicht vorstellen, | |
| dass Niedersachsen dabei mitmacht. | |
| 27 Oct 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Wyputta | |
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