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# taz.de -- Kieler Verfassungsdebatte: Die Götter Norddeutschlands
> Endlich soll die Landesverfassung Schleswig-Holsteins einen Gottesbezug
> bekommen! Bloß welcher ist der wahre Gott? Auf den rechten Pfad führt die
> taz.
Bild: Einfach göttlich, dieses Schleswig-Holstein!
BREMEN/HAMBURG taz | Puh, das ist gerade noch einmal gut gegangen: Fragt
man Mormonen und ZeugInnen Jehovas, war es allerhöchste Zeit, dass
Schleswig-Holstein sich noch schnell zu Gott bekennt, so kurz vor dem
Weltuntergang.
Zugegeben: Angesichts dessen, dass selbst das [1][Grundgesetz des Vatikans]
vom 26. November 2000 komplett ohne einen Gottesbezug auskommt – sogar ganz
ohne Religion –, könnte man die Initiative für ausgemachten Schwachsinn
halten, ein höchstes Wesen in eine Landesverfassung einzutragen: Diese soll
ja weder für Engel noch für Geister gelten, sondern für Menschen, und zwar
für lebendige.
## Götter schaffen Aufmerksamkeit
Doch das ist zu kurz gedacht. Denn wenn man davon ausgeht, dass es im
Interesse Schleswig-Holsteins liegt, Beachtung zu finden, scheint gerade
der Gottesbezug der Verfassung dafür förderlich. Das lässt sich leicht an
einigen Beispielen verdeutlichen: Exemplarisch für die Länder ohne
Gottesbezug steht das [2][Land Bremen], das niemand je ernst genommen hat.
Im krassen Gegensatz dazu hat Bashir al-Assad im Jahr 2012 Gott in die
[3][syrische Verfassung] aufgenommen – und kaum ein Land ist seither
stärker in den Fokus der weltweiten Aufmerksamkeit gerückt, es sei denn die
Republik Iran, deren ganze Verfassung „im Namen Gottes, des Allerbarmers,
des Gnädigen“ verkündet wurde.
Bloß: Welcher Gott könnte zum Land Schleswig-Holstein passen? Das ist so
eine dieser Fragen, über die bereits so mancher Streit entbrannt ist. Die
taz.nord empfiehlt, sich einfach nicht auf ein einziges höheres Wesen zu
beschränken – und legt dar, auf welche Götter der echte Norden ganz sicher
nicht verzichten sollte:
##
## Gestatten: Thor, der Drag God
Mit der Aufnahme von Thor in die Landesverfassung schlüge
Schleswig-Holstein mehrere Fliegen mit einem Hammer: Regionalhistorisch
wäre die Wahl der wohl in Süderbrarup geborenen Gottheit korrekt,
genderpolitisch wäre man mit ihr weit vorne und den Nazis würde man eine
Identifikationsfigur rauben.
Denn entgegen der apokryphen Stilisierung zum virilen Haudrauf zeichnen
alte [4][Quellen] Thor als nahezu metrosexuelle Figur, die zwar cholerisch
tut, im Zweikampf aber sogar von älteren Damen besiegt wird und sich gern
in Freyas Kleid hüllt - ausdrücklich eine Art Federboa. Den Hammer wiederum
lässt sich Thor - ganz wie ein Drag King - in den Schoß legen. Doch, doch:
Dieser Gott hat uns noch viel zu sagen!
##
## Nerthus, der Postmaterielle
Zu Nerd, der auch Njörd oder, lateinisch, Nerthus genannt wird, gibt es
keine Primärquellen. Durch die Römer aber wissen wir, dass er zwischen Ost-
und Nordsee eine Aussteigerexistenz führte: Im blumengeschmückten Planwagen
ist der Nerd dort rumgereist, wie ein Zausel im Flower-Power-VW-Bus.
Dazu passt auch, dass Nerds Geschlecht ungewiss ist: Trotz der eindeutig
maskulinen Endung von Nerthus [5][bezeichnet] ihn Tacitus als "Göttin" und
"Mutter Erde", um ihn später wieder als geheimnisvolles, asexuelles
Geistwesen, als Numen zu charakterisieren, das auch keinen dauerhaften
Besitz ausbildet: Zum Abschluss des Gottesdienstes werde Nerthus feierlich
mitsamt Karren und Kühen im See versenkt. Wenn es Nerd nicht schon gäbe, er
müsste für eine Verfassung des postmateriellen Zeitalters erfunden werden
##
## Boreas und Euros
Der kritische Blick in den Himmel lässt bereits Heinrich Heine im
Nordsee-Zyklus erkennen: "Das sind keine [6][Wolken]! / Das sind sie
selber, die Götter von Hellas." Kein Wunder, steht doch auch das Stammhaus
der griechischen Könige in Glücksburg. Nun würde das vollständige Pantheon
die Verfassung des Landes wohl überfrachten.
Energiepolitisch unverzichtbar aber ist die Anrufung der Anemoi, also der
Windgötter: Da ist der Norden, also "Boreas, der klarfrierende", wie es im
fünften Gesang von Homers Odyssee [7][heißt], von Westen her Zephyros und
sein Pendant Notos von Ost. Und, schon allein um Horst Seehofer zu ärgern,
der ja gegen den Länderfinanzausgleich stänkert, am allerwichtigsten: der
allesbelebende Wind aus dem Südosten. Der trägt den klingenden Namen Euro.
##
## Ein Pfahl tuts auch
in Hauptproblem von Göttern muss verantwortliche Politik beachten: Sie
verursachen oft hohe Kosten. Daran, dass es auch billige Varianten gibt,
erinnerte jüngst die Band Die Ärzte: Bei einem "[8][Waldspaziergang]" - so
der Songtitel - sieht das lyrische Ich "ein Stück Holz, das sah heilig
aus". Es nimmts "mit nach Haus", schnitzt sich "einen Gott daraus".
In Norddeutschland Ende des Pleistozäns gängige Praxis: Grob behauene
Pfähle - zu erkennen sind Vulva oder Penis - als preiswerte Götter ins
[9][Erdreich] gerammt. Von christlichen Missionaren als Götzen verdammt,
sind sie anschlussfähig für die Kult-Praxis Pfahlsitzen - mit der zuletzt
der Heidepark Soltau Marketingwirkung erzielte
## Der gute Gott und seine Helfer
Bondieu oder auch Bondyé ist das Oberhaupt des Voodoo, einer Religion, die
sich aus afrikanischen, islamischen, katholischen und indianischen
Elementen zusammensetzt. "Der gute Gott" kümmert sich freilich nicht
persönlich um die Gläubigen. Dafür hat er Helferlein, die sich Loa nennen
und so zahlreich vorhanden sind, dass Voodoo-Anhänger ihre ganz privaten
Loa Racine anbeten: das sind Familien-Loa, die Bondieu Kritik und Wünsche
überbringen und manchmal auch direkt in den Körper der Gläubigen kriechen,
die daraufhin in angenehme, vollkommen ungefährliche Trance fallen.
Große Gotteshäuser sind beim Voodoo nicht nötig: Bondieus Anhänger teilen
sich praktischerweise in überschaubare Gruppen auf, mit denen sie ihre
Lieblings-Loa dort anbeten, wo sie gerade möchten - also auch im Büsumer
Watt, auf dem [10][Bahnhof Niebüll] oder im Freibad Katzheide in
Gaarden-Ost.
##
Wann der Fußballgott Schleswig-Holstein verlassen hat, ist klar: vor 102
Jahren. Da holte [11][Holstein Kiel] den letzten Deutschen Meistertitel ins
Land, wo heute fußballerisch nur Elend herrscht. Die Kieler kämpfen in der
Dritten Liga um den Klassenerhalt, den VfB Lübeck hat es nach zwei
Insolvenzen in die fünfte Liga verschlagen. Den ETSV Weiche Flensburg hat
ein Betonbauer (!) auf Platz fünf der Regionalliga Nord gehievt. Es ist
klar: Der Fußballgott würde dringend gebraucht. Ob er sich per Aufnahme in
die Verfassung zur Rückkehr bewegen ließe?
Immerhin, ein paar passable Kicker hat das Land ja hervorgebracht:
Leverkusens Flügelflitzer Sidney Sam etwa oder das schlampige Genie "Paddy"
Ebert. Und natürlich Bundestorwarttrainer "Andy" Köpke. Den halten in Kiel
viele für den leibhaftigen Fußballgott. Worüber, falls das nicht stimmen
sollte, der echte Fußballgott so beleidigt sein könnte, dass er lieber
südlich der Elbe bleibt.
14 Feb 2014
## LINKS
[1] http://www.vatican.va/vatican_city_state/legislation/documents/scv_doc_2000…
[2] http://bremen.beck.de/?bcid=Y-100-G-brverf-name-inh
[3] http://www.scribd.com/doc/81771718/Qordoba-Translation-of-the-Syrian-Consti…
[4] http://de.wikisource.org/wiki/Edda/%C3%84ltere_Edda/Thrymskvidha_oder_Hamar…
[5] http://www.thelatinlibrary.com/tacitus/tac.ger.shtml#40
[6] http://www.zeno.org/Literatur/M/Heine,+Heinrich/Gedichte/Buch+der+Lieder/Di…
[7] http://www.gottwein.de/Grie/hom/od05.php#Hom.Od.5,295
[8] http://www.dailymotion.com/video/xylnk0_die-arzte-waldspaziergang-mit-folge…
[9] http://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%B6tterpaar_von_Braak
[10] http://www.die-d-zug-seite.de/html/n1.html
[11] http://www.holstein-kiel.de/
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
Simone Schnase
Jan Kahlcke
## TAGS
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Verfassung
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Flüchtlinge
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