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# taz.de -- Die Terrorattacken in Paris: Der Angriff auf Pop und Spiele
> Wer die Populärkultur attackiert, verfolgt eine Strategie absoluter
> Eskalation. Zumeist ein klares Zeichen von Schwäche.
Bild: Polina Volkova trauert um Nick Alexaner (kl. Foto). Der Marketing Manager…
Die Reiter der Apokalypse haben wieder zugeschlagen. Doch anders als bei
früheren Attentaten dürften sie sich dieses Mal verrechnet haben. So
besonders blutrünstig sie am 13.November in Paris auftraten, in der
Wahllosigkeit ihrer Ziele könnten sie sich gerade von denen endgültig
isoliert haben, die sie für ihre Anschläge brauchen und eigentlich
mobilisieren wollen.
Die Attentate im Januar auf Charlie Hebdo oder jüdische Einrichtungen
galten noch besonderen, nicht nur in den Augen der Islamisten naheliegenden
Zielen. Die Attentäter durften mit verbreiteten Ressentiments kalkulieren,
auf die sie glaubten aufsetzen zu können. Hatten die Charlie-Hebdo-Zeichner
nicht den Propheten beleidigt? Und streben „die“ Juden (mit Unterstützung
der Amerikaner!!!) nicht nach Vorherrschaft im Nahen Osten und beleidigen
damit fortwährend die stolze arabische Welt?
Man mag solch antiimperialistsche Verschwörungstheorien argumentativ leicht
zurückweisen. Doch was leider zählt, ist, dass eine ganze Reihe von
Menschen – und das nicht nur in Frankreich, linke wie rechte – derlei
Legenden glauben und oft gebetsmühlenhaft wiederholen. Sie nehmen an dem
aufgeklärten Bildungs- und Medienleben kaum teil. Und nicht nur die
Extremeren unter ihnen stellen sich häufig in eine weltweite
Opfermythologie.
Nach dieser werden persönlich erlebte Fehlschläge, aber auch tatsächlich
erfahrene und vorhandene Diskriminierungen auf einen einzigen angeblichen
Zusammenhang gebracht. Und so soll der imperiale „weiße“ Rassismus mit
seinen westlichen Demokratien in seiner Gesamtheit an so ziemlich allem in
der Welt schuld sein. Wenn es im Kleinen schlecht läuft – Schule, Freundin,
Elternhaus, Beruf – genauso wie im Großen – Gaza, Syrien oder Libanon.
## Spekulieren auf den Gegenrassismus
Attentate wie jene auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo oder das
Geschäft für koschere Lebensmittel im Januar in Paris spekulierten in ihrer
Wirkung dabei noch auf eine Art Gegenrassismus in Frankreich, also nicht
nur auf die außenpolitische, globale Konfliktlage. Und wie Reaktionen in
Frankreich im Januar zeigten, wurden sie auch von vielen so verstanden. Es
sympathisierten spontan doch einige mit den Tätern, zumindest teilten sie
deren Gefühlslage. Umgekehrt bekam auf der „weißen“ französischen Rechten
Marine Le Pen weiteren Zulauf.
Die Attentäter des 13. November – und vor allem ihre Auftraggeber im
Hintergrund – setzen nun aber offensichtlich erst gar nicht mehr wie früher
auf solche Spaltungsprozesse in der französischen Gesellschaft. Im
Kollektivwahn der Isolierten attackierten sie schließlich unterschiedslos
Menschen aller Herkünfte und Schichten in Bars, Konzertsaal und Stadion.
Sie wollten die Gesamtheit der offenen Gesellschaft treffen, mit
größtmöglicher Opferzahl und symbolischer Wirkung schockieren.
Ginge es ihnen innenpolitisch noch um Frankreich selber, würden sie anders
agieren und nicht Taten begehen, die dazu geeignet sind, die Nation über
alle Köpfe hinweg zusammenzuschweißen. Im Stade de France oder im
Konzertsaal Bataclan, in all den Bars und auf den Straßen können sich
genauso auch gläubige Muslime unter den Opfern befinden.
Selbst das ist ihnen inzwischen gleichgültig. Ebenso, dass die Herkünfte
der Nationalspieler Frankreichs oder Deutschlands sie in schon fast jeder
Hinsicht widerlegen. Damit sind sie zumindest im europäischen Maßstab des
Politischen im pathologischen Bereich, auch für viele, die sich in Teilen
mit ihnen identifizierten. Purer Fanatismus kann niemals siegen.
## Die irre Blindwütigkeit des IS
Es spricht einiges dafür, dass die Sendboten nach – oder der in Europa
aktivierten Kämpfer nur noch der gegenwärtigen Nahost- Logik folgen, nicht
mehr der europäischen. Und nach der nah-östlichen steckt der IS an vielen
Fronten in Syrien wie im Irak in der Defensive. Und teilt nun wie ein
verzweifeltes und verwundetes Tier in alle möglichen Richtungen aus.
Diese irre Blindwütigkeit könnte doch vielen von jenen die Augen öffnen,
die bislang aus einem irgendwie gefühlten Abstammungs- und Gegenrassismus
Sympathien für den Islamismus in Frankreich hegten. Wo Hunderte in den
heiligen Krieg ziehen, gibt es ein Umfeld von Tausenden, die ähnlich
denken, ohne deswegen gleich zur Tat zu schreiten.
Bislang fand die Entgrenzung der Gewalt bei den europäischen Dschihadisten
in überwiegendem Maße in Richtung Syrien statt, nach Europa schien sie
ihnen selbst nicht so recht zu passen.
Die Sprache der Anschläge vom 13.November entspricht nicht der
französischen. Keine westliche Biografie kommt heute ohne Fußball, Pop,
Bar- und Jugendkultur aus, ob in den Vorstädten oder Zentren der
Metropolen. Aus dem Grauen könnte damit die Hoffnung erwachsen, zumindest
im Inneren unserer Gesellschaften die Spaltungen zu überwinden.
15 Nov 2015
## AUTOREN
Andreas Fanizadeh
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Terroranschlag
Paris
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