# taz.de -- Ausstellung im Jüdischen Museum: Wir sind alle ein bisschen Golem | |
> Ein Mythos, alt und aktuell zugleich: Das Jüdische Museum Berlin widmet | |
> sich dem Menschgemachten, das sich gegen den Menschen richtet. | |
Bild: Künstlich und mächtig. Der Golem ist die Idee des Geschaffenen, das ein… | |
Die deutschen Romantiker liebten den Golem. Jacob Grimm schrieb 1808 in der | |
Zeitung für Einsiedler: „Die polnischen Juden machen nach gewissen | |
gesprochenen Gebeten und gehaltenen Fasttägen, die Gestalt eines Menschen | |
aus Thon oder Leimen, und wenn sie das wunderkräftige Schemhamphoras | |
darüber sprechen, so muss er lebendig werden. Reden kann er zwar nicht, | |
versteht aber ziemlich was man spricht und befiehlt. Sie heißen ihn Golem.“ | |
Wir alle haben ein von den Romantikern geprägtes Bild vom Golem im Kopf, | |
und so verwundert es, gleich im ersten Raum der am Donnerstag eröffneten | |
„Golem“-Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin eine blütenweiße | |
Baseballmütze mit dem Wahlkampfslogan Donald Trumps zu sehen. | |
Daneben ist zu lesen, was der kanadische Journalist Neil Macdonald über den | |
Retter Amerikas denkt: „Wie der Chelmer Golem scheint Trump mit jedem | |
Fernsehauftritt und jeder wahnwitzigen Rede an Macht zu gewinnen.“ | |
Das zeigt einen wesentlichen Aspekt des Golemmythos: Er entgleitet der | |
Kontrolle seines Schöpfers, weil er wie ein Roboter tut, was man ihm sagt. | |
Und bekanntlich werden beim Programmieren Fehler gemacht. In den | |
klassischen Erzählungen richtet der Golem allerlei Unfug an, bevor er Amok | |
läuft und sich gegen seinen menschlichen Schöpfer richtet. Generationen von | |
Kindern haben Goethes „Ballade vom Zauberlehrling“ gelernt, genützt hat es | |
wenig. Atomkraftwerke werden in den Super-GAU gefahren, faschistische | |
Parteien zetteln Weltkriege an. | |
## Amoklauf gegen den eigenen Schöpfer | |
Ein Echo dieser Geschichte findet sich in „The Golem“, einer großen | |
Swastika, deren Oberfläche durch vielerlei Farbauftrag uralt und organisch | |
gewachsen zu sein scheint. Michael David, einer von 30 Künstlern, deren | |
Werke in der Berliner Ausstellung nun zu sehen sind, verweist damit auf die | |
zerstörerische Geschichte des einstigen Glückssymbols und dessen neuerliche | |
Aneignung durch New Yorker Punks, von denen viele aus jüdischen Familien | |
kamen. | |
In einem der schönsten Räume der Ausstellung werden in schnellem Wechsel | |
nur wenige Sekunden lange Ausschnitte aus Filmen über Roboter, Cyborgs und | |
verrückt werdende Supercomputer auf drei Schirme gleichzeitig projiziert. | |
R2-D2 fährt eine Rampe herunter, Lemmy wird von einem Roboter angegriffen, | |
Robocop fegt mit eiserner Hand die Stadt. Paul Wegeners klassischer | |
Verfilmung „Der Golem, wie er in die Welt kam“ ist ein eigener Raum | |
gewidmet. | |
Neben Artefakten aus der Popkultur der vergangenen hundert Jahre und | |
zeitgenössischen Kunstwerken zeigt „Golem“ auch Exponate aus ganz anderen | |
Bereichen: eine Platine des israelischen Supercomputers Golem A; eine Notiz | |
Gershom Scholems, der aus einem mittelalterlichen Buch ein „Golem-Rezept“ | |
abgeschrieben hatte. | |
## Wie der Golem in die Welt kam | |
Den jüdischen Mystikern des Mittelalter ging es um den Schöpfungsakt als | |
solchen. Anders sah das der fiktive Rabbi Löw, der in vielen Legenden als | |
der Erschaffer des Golems beschrieben wird. Sein Golem sollte die Prager | |
Gemeinde vor Pogromen schützen. Der reale Rabbi Löw war ein Gelehrter | |
seiner Zeit, interessiert an den Naturwissenschaften, Astronomie und | |
Astrologie, gern gesehener Gast am Prager Hof Kaiser Rudolfs II. Aus dessen | |
Wunderkammer ist eine aus sieben Metallen gegossene Glocke zu sehen, | |
verziert mit den zwölf Tierkreiszeichen und den sieben Planetengöttern. Ihr | |
wurden magische Kräfte zugeschrieben. | |
Aber woher kommt denn nun der Golem? Das erste Mal erscheint das Wort in | |
Psalm 139, in dem Adam zu Gott spricht: „Es war dir mein Gebein nicht | |
verborgen, als ich im Verborgenen gemacht wurde, als ich gebildet wurde | |
unten in der Erde. Deine Augen haben meinen Golem gesehen.“ | |
Mit dem Golem sei der in seinen Gliedern noch nicht ausdifferenzierte | |
Embryo gemeint, schreibt Peter Schäfer, der Direktor des Jüdischen Museums, | |
der in seiner Zeit in Princeton zum Golemforscher wurde, in seinem | |
gelehrten Essay im Katalog zur Ausstellung. | |
## Golem ist Punk, Internet ist Golem | |
Dass der Golem mehr ist als Symbol menschlicher Hybris, legt die | |
israelische Punkband HaClique nah, die in ihrem Song „Golem“ von einem | |
mechanischen Wesen erzählt, dem wir Modernen zu gleichen scheinen: „Er ist | |
Golem, sie ist Golem, du bist Golem, ich bin Golem, wir sind Golem.“ Das | |
Video von HaClique findet sich nicht in dieser wunderbaren Ausstellung, | |
aber im Internet, der golemhaften Riesenmaschine unserer Tage. | |
So erscheint der Golem am Ende als das Symbol des Menschen selbst. Er kommt | |
zwar aus der Erde, ist aber keine Pflanze, die durch ihre Wurzeln in der | |
Heimaterde feststeckt und mit sich selbst identisch ist. Sondern ein immer | |
schon von sich und der Welt entfremdetes Wesen, dem der Geist eingehaucht | |
wurde, damit es sich selbst erkenne. | |
24 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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