# taz.de -- Islamismusforscher über „Charlie Hebdo“: „Nicht das letzte E… | |
> Experte Peter Neumann vermutet al-Qaida oder IS hinter dem Anschlag in | |
> Paris. Er warnt vor weiteren Angriffen und einer extremen | |
> gesellschaftlichen Polarisierung. | |
Bild: Die Gefahr von Anschlägen liege auch in den gesellschaftlichen Folgen �… | |
Herr Neumann, wie deuteten Sie als Terrorforscher den Anschlag auf Charlie | |
Hebdo in Paris? | |
Wir wissen ja noch nicht genau, mit welcher Gruppe die Täter zuletzt zu tun | |
hatten. Dieser Anschlag war etwas komplexer als die anderen der vergangenen | |
Monate, also zum Beispiel die Anschläge in Ottawa oder die Versuche, in | |
Menschenmengen zu fahren, die es zuletzt in Frankreich gab. Dieser Anschlag | |
hat mehr Planung erfordert, man wusste, dass die Redaktionskonferenz | |
stattfindet, kannte die Abläufe und die Sicherheitsvorkehrungen. | |
Was bedeutet das? | |
Da kommen in Prinzip nur zwei Gruppen in Frage. Entweder waren es Kämpfer, | |
die aus Syrien zurückgekommen sind und dort beim Islamischen Staat waren. | |
Die dort vielleicht weiter radikalisiert, brutalisiert und verroht wurden | |
und sich gewisse Fähigkeiten erworben haben. Die andere Möglichkeit ist, | |
dass es sich tatsächlich um die altgediente al-Qaida handelt. Inzwischen | |
heißt es, dass einer der Brüder eine Waffenausbildung bei al-Qaida im Jemen | |
gemacht haben soll. Das ist die am professionellsten agierende | |
al-Qaida-Gruppe, die schon lange angekündigt hat, im Westen Anschläge zu | |
verüben. Das Ziel würde auch passen. | |
Warum? | |
Al-Qaida im Jemen hat seit Jahren gegen Charlie Hebdo agitiert, hat sogar | |
Listen abgedruckt, auf denen die Namen der Redakteure standen. Außerdem ist | |
das etwas populistisch, weil sie sich mit einem Angriff auf diese Zeitung, | |
die die Karikaturen gedruckt hat, bei ihren Anhänger beliebt machen. | |
Dass die Täter ohne Organisation im Hintergrund agierten, schließen Sie | |
aus? | |
Nach dem, was bislang bekannt ist, sind die beiden Brüder in der | |
extremistischen Szene unterwegs gewesen. Es muss nicht sein, dass sie den | |
klaren Auftrag bekommen haben. Vielleicht sind sie mit diesen | |
Organisationen auch unterwegs und haben nur den generellen Auftrag „macht | |
mal was“ aufgenommen. | |
Wir wissen noch nicht, ob es auch eine Verbindung zum Islamischen Staat | |
gibt. Was deutet auf diese Organisation? | |
Der Sprecher des IS hat am 22. September 2014 in einer Ansprache gesagt, | |
ihr müsst nicht herkommen, ihr könnt auch in euren Heimatländern Anschläge | |
verüben, um den Ungläubigen eine Lektion zu erteilen. Er hat besonders | |
Frankreich erwähnt, „die dreckigen Franzosen“. Seitdem sehen wir eine Reihe | |
dieser Anschläge. Ich befürchte, dass das nicht das letzte Ereignis dieser | |
Art in diesem Jahr war. | |
Für al-Qaida wäre ein solcher Anschlag eine Strategieänderung. Sehen Sie | |
das auch so? | |
Ja, das stimmt. Aber al-Qaida glaubt weiterhin, dass sie nur durch einen | |
großen, komplexen Anschlag wieder in die Offensive kommen kann. Denn | |
momentan ist der Islamische Staat in der Offensive. | |
Welche Rolle spielt der Kampf um den Führungsanspruch zwischen diesen | |
Organisationen? | |
Für die Leute der Führungsebene ist das sehr wichtig. Es gibt zum Beispiel | |
seit einiger Zeit Hinweise darauf, dass der Islamische Staat versucht, die | |
Führungsriege von al-Qaida als unislamisch zu brandmarken, was natürlich | |
sehr drastisch ist, weil sie bis vor kurzem noch Brüder waren und gemeinsam | |
gekämpft haben. Dieser Hass treibt die Leute auch an. | |
Hat sich die Anschlagsgefahr in Frankreich, aber auch in Deutschland seit | |
Mittwoch erhöht? | |
Nachahmungstäter kann es immer geben. Aber auch ohne diesen Anschlag müssen | |
wir 2015 mit einigen dieser einfacheren Anschläge rechnen. Wir haben in den | |
letzten zehn Jahren Glück gehabt, weil die Dschihadisten so ambitioniert | |
waren, dass sie sehr komplexe Anschläge planten, an denen sie häufig selbst | |
gescheitert sind. Oder es waren zu viele Leute involviert, so dass die | |
Polizei ihnen auf die Spur kam. Seit Mitte letzten Jahres lautet die | |
Strategie eher: Schaut euch an, was der Islamische Staat zum Beispiel mit | |
der Enthauptung einer Person geschafft hat. Damit kann man genauso viel | |
Terror, Panik und Polarisierung herbeiführen wie mit einer komplexen | |
Aktion. Und diese Attacken sind viel schwerer für die Sicherheitsorgane zu | |
verhindern. | |
Wie groß ist die Gefahr in Deutschland? | |
Auch in Deutschland gibt es eine akute Gefahr, aber die ist weniger groß | |
als in Frankreich, weil es weniger Dschihadisten gibt und Deutschland | |
weniger auftaucht. Aus Deutschland sind 500 Dschihadisten ausgereist, aus | |
Frankreich 1.000. Und bei all den Problemen, die Muslime in Deutschland | |
haben: Die Gräben in Frankreich sind deutlich tiefer. Die Gefahr dieser | |
Anschläge liegt natürlich darin, dass Menschen sterben, aber auch, dass sie | |
zu einer extremen Polarisierung in der Gesellschaft führen und auf allen | |
Seiten die Ränder stärken. Da hat die Gefahr in Frankreich mit dem Front | |
National eine ganz andere Dimension als in Deutschland. Für Frankreich ist | |
das eine sehr gefährliche Situation. | |
Peter Neumann, 39, ist Politikwissenschaftler und seit 2008 | |
Gründungsdirektor des [1][International Center for the Study of | |
Radicalisation] am Londoner King's College. | |
9 Jan 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://icsr.info/ | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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