# taz.de -- Geschichte der erneuerbaren Energie: Bürger mit Rückenwind | |
> Die Energiewende in Deutschland: Das ist ein verkannter Kampf für mehr | |
> Demokratie, Mitsprache und Gemeinschaft. | |
Bild: Es ist nicht egal, woher der Strom kommt | |
Was ist das Ziel der Energiewende? Im kommenden Wahlkampf werden wir wieder | |
viel von der Energiewende als Strategie gegen den Klimawandel hören. Das | |
ist richtig und gut so. Und doch kam der Klimawandel erst Mitte der 80er | |
Jahre ins öffentliche Bewusstsein. Den Begriff Energiewende gab es damals | |
bereits seit einem halben Jahrzehnt. Er stand im Titel eines 1980 | |
gedruckten Buches: „Energiewende: Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und | |
Uran.“ Was gab es für Ziele damals? | |
Die Autoren vom damals neu gegründeten Öko-Institut haben zumindest keinen | |
Kohleausstieg propagiert, wie aus dem Titel hervorgeht. Vielmehr ging das | |
fortschrittlichste Szenario von 45 Prozent erneuerbarer Energie und 55 | |
Prozent „heimischer Kohle“ aus. Angesichts eines solchen Anfangs ist es | |
kein Wunder, dass die Kohle ein Klotz am Bein der Energiewende geblieben | |
ist. Nach zwei Ölkrisen in den 70er Jahren lag ein Schwerpunkt klar auf der | |
Unabhängigkeit von Importen; heute spricht man von „Energiesicherheit“. | |
Dieses Ziel der Energiewende wird noch immer erwähnt, steht dieser Tage | |
aber im Schatten des Klimaschutzes. | |
Warum aber wird Uran im Titel erwähnt? Die Bürger am badischen Kaiserstuhl | |
haben Mitte der 1970er erfolgreich gegen den Bau eines Atomkraftwerks | |
protestiert, aber nicht etwa, weil sie Angst vor radioaktiver Strahlung | |
hatten. Ein Flugblatt von damals spricht von einer für heutige Leser | |
überraschenden Gefahr: „Mit zu den übelsten Folgen [des geplanten Reaktors] | |
wird der Wasserdampf gehören.“ Die Bauern in Südbaden hatten ohnehin genug | |
Nässe. In den Augen des Energieversorgers und der Landesregierung des | |
Ministerpräsidenten Filbinger disqualifizierten sich die Protestler damit | |
von selbst. | |
Diese Bürger hatten tatsächlich keine Ahnung in Sachen Stromerzeugung und | |
Atomkraft. Die Landesregierung schickte ihre Experten zu den | |
Bürgerversammlungen. Einer der Ingenieure wollte den Laien weismachen, dass | |
ein AKW so funktioniere wie ein Wasserkocher: „Oben kommt Dampf raus. Sonst | |
passiert nichts.“ („Die hänn uns verdummbeutelt“, gab einer der | |
frustrierten Teilnehmer danach zu Protokoll.) | |
## Ein Jagdverein finanzierte die erste Öko-Studie | |
Nein, es waren die neuen, alternativen Forscher, die später Institute wie | |
das Institut für Energie- und Umweltforschung (ifeu) und das Öko-Institut | |
gründen würden, die die Öffentlichkeit über die Gefahren von Radioaktivität | |
nach und nach aufklärten. Diese Expertise bezahlten die Bürger aus eigener | |
Tasche. Die erste Studie für die Energiewende wurde von einem Jagdverein | |
finanziert, der damit Pläne für eine neue Vereinshütte auf Eis legte. | |
So begann eine Lernkurve. Weil sie den Experten der Staatsgewalt nicht | |
vertrauen konnten, bildeten die Deutschen sich selbst weiter. Mit einigem | |
Erfolg: „Wo sonst kann man sich so fundiert über erneuerbare Energien mit | |
Taxifahrern unterhalten wie in Deutschland?“, fragte neulich die | |
österreichische Chefin des Renewable Energy Policy Network for the 21st | |
Century (REN21). | |
Eines aber wissen wir immer noch nicht: Was war der größte Beweggrund für | |
die ersten Energiewendeproteste? 1974 kamen die ersten Südbadener und | |
Elsässer zusammen, um gegen die Industrialisierung eines wohlhabenden, | |
ländlichen Gebiets zu protestieren. Neben dem Atomkraftwerk sollte ein | |
Bleichemiewerk gebaut werden; einer musste ja den ganzen Atomstrom | |
verbrauchen – die Bauern brauchten ihn nicht. Und das war nur der Anfang. | |
Insgesamt sollten vier Reaktoren in der Region gebaut werden, die ein | |
durchgehendes Industriegebiet am Rhein bilden würden – von Rotterdam über | |
den Ruhrpott bis Basel. | |
Die Landesregierung reagierte auf die Proteste mit autoritärer Härte. Im | |
Fernsehen sah man, wie Polizisten brutal auf friedliche Demonstranten | |
einschlugen. Die Bilder erzeugten einen Sturm der Entrüstung. Innerhalb | |
weniger Tage strömten Bürger aus allen Teilen der alten Bundesrepublik nach | |
Wyhl am Kaiserstuhl, um gegen die Polizeigewalt ein Zeichen zu setzen. Die | |
Energiewende begann als Widerstand gegen einen autoritär auftretenden Staat | |
und als ein Ruf nach mehr Demokratie – das wird heute verkannt. | |
## Die Bürger als treibende Kraft | |
Mehr Demokratie haben wir dank der Energiewende auch bekommen. Filbinger | |
wurde von Lothar Späth abgelöst. Späth war der erste Politiker in der | |
Geschichte der Bundesrepublik, der sich auf direkte Verhandlungen mit | |
Bürgern einließ. Ein jüngeres Beispiel ist Peter Altmaier, der als | |
damaliger Umweltminister für seine „Strompreisbremse“ berüchtigt ist. | |
Weniger bekannt ist aber seine Aussage zu unterirdischen CO2-Speichern: | |
„Wir müssen realistisch sein: Gegen den Willen der Bevölkerung ist eine | |
Einlagerung von CO2 im Boden nicht durchzusetzen.“ Da hat einer den Ruf der | |
Energiewende gehört! | |
Wir Autoren befassen uns seit rund einem Jahrzehnt mit der internationalen | |
Kommunikation der Energiewende: Arne Jungjohann als vormals im Bundestag | |
geschulter Energiewendebotschafter für die Heinrich-Böll-Stiftung in | |
Washington, D. C., Craig Morris als US-amerikanischer, des Badischen | |
mächtiger Journalist und Analyst in Freiburg. Die Geschichte, die wir | |
nachrecherchiert haben, zeigt, dass die Energiewende mehr ist als | |
Atomausstieg und Klimaschutz. In den letzten Jahrzehnten wurde der | |
Energiesektor tatsächlich ein Stück weit demokratisiert; die Bürger waren | |
die treibende Kraft. | |
In Deutschland werden mittlerweile Energiegesetzentwürfe zur öffentlichen | |
Kommentierung online gestellt. Im englischsprachigen Ausland hält die Elite | |
die Bürger oft für zu inkompetent, als dass sie mitreden könnten – neue | |
Regeln werden dort auch unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgehandelt | |
In den nächsten Jahren fallen viele der Bürgerwindparks nach 20 Jahren aus | |
der Einspeisevergütung. Man darf die alten Windräder aber nicht einfach | |
so ersetzen, sondern man muss eine Ausschreibung gewinnen. So wird es wohl | |
passieren, dass manche der Pioniere von den damaligen Bremsern verdrängt | |
werden, wenn die großen Versorger die Bürgerenergie unterbieten. | |
Institutionelle Investoren wie Goldman Sachs haben in letzter Zeit | |
geholfen, die Windkraft auf See viel billiger zu machen, aber die Bürger | |
sind nicht auf die Straße gegangen für niedrigere Strompreise, sondern für | |
mehr Mitsprache. | |
## Zusammenarbeit auf allen Ebenen | |
Die Energiewende bietet eine einmalige Chance, den Energiesektor zu | |
demokratisieren – einmalig deshalb, weil die neue Infrastruktur auch nur | |
einmal gebaut wird. Der globale Umstieg auf erneuerbare Energien ist in | |
vollem Gange. Wem 2050 die Windparks und Solardächer gehören, der wird | |
nicht alles abreißen, nur damit eine Bürgergruppe was bauen kann. „Vielen | |
Dank für euer Engagement“, wird man den Menschen sagen, „aber das Netz ist | |
voll, und der Versorger kann eh billiger liefern.“ Wir wachen also | |
womöglich 2050 in einer CO2-armen Welt auf, aber auch in einer, wo die | |
Bürger nur noch Konsumenten sind – und die Energieversorger (immer noch) | |
„too big to fail“ sind. Konsumenten haben höchstens die Wahl, Bürger das | |
Recht. | |
Von Amerika bis Australien kämpfen die Bürger für das Recht auf ein | |
Solardach, aber die deutsche Bürgerenergie war schon immer viel mehr: | |
Bürgerwind, Bioenergiedörfer, Schulprojekte … Wenn viele zusammenarbeiten, | |
erreicht man mehr. Diese Gemeinschaftsebene, die die Menschen | |
zusammenbringt, fehlt häufig im Ausland. | |
Dabei ist Bürgerenergie der zentrale Begriff. Bei der Suche nach dem | |
englischsprachigen Äquivalent stießen wir interessanterweise auf einen | |
Begriff, der im Deutschen fehlt: energy democracy. In Brüssel kämpfen | |
Aktivisten bereits unter diesem Motto für eine EU der Bürger statt der | |
Banken und Großkonzerne. Und in den USA spricht man von energy democracy | |
im Zusammenhang mit environmental justice. Vielleicht sollten die Deutschen | |
häufiger von Demokratie in der Energiewende sprechen – eine Lektion aus | |
dem Ausland. | |
Die Deutschen lehnen mehrheitlich die Atomkraft und Fracking ab, obwohl | |
diese Energiequellen weniger CO2 ausstoßen als die Kohle. Dafür müssen wir | |
manches Mal Kritik aus dem Ausland einstecken. Eine CO2-neutrale Welt aber, | |
in der technokratische Ingenieure und autoritäre Politiker uns versprechen, | |
ihre Großprojekte gefährdeten uns nicht – und wenn doch, könnten sie auch | |
nichts für uns tun –, kommt für uns nicht infrage. Das haben wir, der | |
Energiewende sei Dank, hinter uns in Deutschland. In unserer Energiewende | |
steht eine bessere Welt im Mittelpunkt. Das Klima wird dabei genauso | |
geschützt – als schöner, wichtiger Nebeneffekt. | |
24 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Arne Jungjohann | |
Craig Morris | |
Arne Jungjohann, Craig Morris | |
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