| # taz.de -- Ex-Umweltstaatssekretär über Klimaziele: „Wir haben uns so nett… | |
| > Michael Müller brachte vor 25 Jahren zum ersten Mal ein konkretes | |
| > Klimaziel in den Bundestag. Trotz bester Voraussetzungen blieb es | |
| > unerreicht. | |
| Bild: Der Umwelt gefällt das ganz und gar nicht | |
| taz: Herr Müller, Sie gehörten zu den Abgeordneten, die 1991 den Antrag in | |
| den Bundestag einbrachten, ein Klimaziel zu beschließen. Was genau wurde | |
| damals verabschiedet? | |
| Michael Müller: Wörtlich zitiert „unverzügliche Maßnahmen im Kampf gegen | |
| den Treibhauseffekt“. Bis 2005 sollten die westdeutschen Bundesländer ihre | |
| Treibhausgas-Produktion um 30 Prozent unter das Niveau des Jahres 1987 | |
| senken. Und die neuen Bundesländer sollten eine deutlich höhere Reduktion | |
| beisteuern. | |
| Warum unterschied man damals zwischen West- und Ostdeutschland? | |
| Wir verfügten einfach nicht über valide Daten aus der DDR. Klar war uns | |
| aber, dass durch die Transformation der energieintensiven | |
| SED-Planwirtschaft deutlich mehr Reduktion möglich wäre als in den | |
| Altbundesländern. | |
| Die SPD, Bündnisgrüne und die PDS stimmten gegen dieses erste deutsche | |
| Klimaziel, sie wollten weitgehendere Vorgaben. | |
| Vorausgegangen war die intensive Arbeit einer Enquete-Kommissionen, fast | |
| drei Jahre lang unter Beteiligung von mehr als 60 wissenschaftlichen | |
| Instituten. Ergebnis war, dass Klimaschutz nach kurzfristigen Belastungen | |
| mittelfristig enormes wirtschaftliches Potenzial besitzt. Dazu kam, dass | |
| die Spitzenpolitiker vom Klimaschutz überzeugt waren: Bundeskanzler Helmut | |
| Kohl, weil ihm der Schutz der tropischen Regenwälder wichtig war und | |
| Hans-Jochen Vogel, damals Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, weil er | |
| von der Sache überzeugt war. Die SPD wollte das Klimaziel sogar mit einem | |
| Atomausstieg verknüpfen, aber das war mit den Regierungsfraktionen von | |
| Union und FDP nicht machbar. Auch das gesellschaftliche Umfeld war günstig, | |
| der Ost-West-Konflikt war Geschichte. Und wir hatten Anfang der 90er Jahre | |
| unglaubliche Frühjahrsstürme, abnormales Extremwetter. Deswegen mussten | |
| vielerorts die Karnevalszüge abgesagt werden. Außerdem hatte die fossile | |
| Mafia ihr Lobbygeflecht noch nicht konstruiert: Damals widersprach niemand | |
| der Notwendigkeit des Klimaschutzes. | |
| Aber Klimaschutz bestimmte auch damals nicht die politische Agenda, | |
| oberstes Ziel war, Ostdeutschland in eine „blühende Landschaft“ zu | |
| verwandeln. | |
| Die Arbeit der Enquete-Kommissionen hatte 1987 begonnen. Für uns kam die | |
| Wiedervereinigung gerade recht. Eine der Grundideen, die wir entwickelt | |
| hatten, war, den Umbau der Ost-Wirtschaft nach ökologischen Leitlinien zu | |
| organisieren. Unsere Maxime lautete: Wenn ökologischeres Wirtschaften im | |
| Osten funktioniert, dann würde der Westen ganz automatisch folgen. | |
| 2015 war die Bundesrepublik immer noch für 908 Millionen Tonnen | |
| verantwortlich. Die 1991 beschlossene Reduktion auf 750 Millionen Tonnen | |
| bis 2005 scheiterte also grandios. Wieso? | |
| Statt einen ökologischen Umbau Ost zu organisieren, wurde dem Osten einfach | |
| das schon damals nicht mehr zukunftsfähige „Modell West“ übergestülpt. | |
| Damit war natürlich klar, dass es keinerlei Impulse für den Westen geben | |
| würde. | |
| Der Klimaschutz in Deutschland ist also am falschen Management der | |
| Wiedervereinigung gescheitert? | |
| Eindeutig: Ja! Auch daran. | |
| 1995 tagte die erste Weltklimakonferenz in Berlin. Konferenzpräsidentin war | |
| Umweltministerin Angela Merkel, selbst Ostdeutsche. Wussten die | |
| Ostdeutschen es nicht besser? | |
| Ich glaube Angela Merkel hatte schon damals die Bedeutung des Klimaschutzes | |
| erkannt. Was ihr fehlte war ein politisches Konzept, Klimaschutz ganz | |
| pragmatisch umzusetzen. Zu ihrer Zeit kam auch die von der Kohlelobby | |
| gesteuerte Debatte auf, die besagte, „Klimaschutz ist ein globales Problem, | |
| dass nur global gelöst werden kann“. Vermutlich deshalb setzte Merkel ihr | |
| Augenmerk so stark auf einen internationalen Vertrag, den sie 1997 dann in | |
| Kyoto ja auch bekam. | |
| Das war am Anfang anders gewesen: Wir waren in der Enquete-Kommission zu | |
| dem Schluss gekommen, Klimaschutz geht alle an, deshalb müssen wir jetzt | |
| mal mit ein paar Lösungsansätzen lokal und national anfangen. | |
| Zum Beispiel? | |
| Das 1.000- später dann 100.000-Dächer-Programm: Es ging darum, Solaranlagen | |
| auf Gebäuden zu installieren und den Strom auch tatsächlich ins Netz | |
| einspeisen zu können. Rechtlich gehörte das Stromnetz den Stromkonzernen, | |
| weshalb Solaranlagen-Betreiber bis dato keine Möglichkeit hatten, selbst | |
| produzierten Strom verkaufen zu können. Das 100.000-Dächer-Programm war | |
| keine Initiative der Bundesregierung, sondern des Parlamentes. Ebenso wie | |
| die Stromeinspeiseverordnung, aus der später das Erneuerbare Energiengesetz | |
| wurde. | |
| Warum musste ausgerechnet der grüne Umweltminister Jürgen Trittin das | |
| Reduktionsziel für 2005 beerdigen? | |
| Zentraler Fehler der rot-grünen Koalition war ein gegenseitiges | |
| Missverständnis: Die Grünen haben Ökologie als ihr Thema gesehen, zentrales | |
| Thema der SPD war Wirtschaft und Soziales. Klimaschutz ist aber beides: Wir | |
| hätten mehr erreicht, wenn die Grünen das Soziale ernster und wir | |
| Sozialdemokraten das ökologische ernster genommen hätten. Gerhard Schröder | |
| hat das übrigens nach seiner Kanzlerschaft als seinen strategischen | |
| Schwachpunkt bezeichnet. | |
| Nach der Wahlniederlage 2005 wurde Sigmar Gabriel neuer | |
| Bundesumweltminister in der Großen Koalition, Plötzlich war Klimaschutz | |
| wieder ein Leuchtturm, die Bundesregierung beschloss das nächste Klimaziel | |
| – minus 40 Prozent bis 2020. Was war passiert? | |
| Gabriel hat erkannt, wie wichtig das Thema ist. Und er hat eine völlig neue | |
| Dynamik in die politische Debatte gebracht. Im August 2007 beschloss die | |
| Bundesregierung das „integrierten Energie- und Klimaprogramm“, 29 | |
| politische Einzelmaßnahmen, die als Meseberger Beschluss in die Geschichte | |
| eingingen, ein erstes politisches Konzept, dass Klimaschutz | |
| ressortübergreifend in allen Lebensbereichen ansetzte. | |
| Auch das 40-Prozent-Ziel wird scheitern: Bis 2015 sanken die deutschen | |
| Treibhausgasemissionen im Schnitt nicht einmal ein Prozent pro Jahr. Um die | |
| Marke bis 2020 noch zu erreichen, müsste der CO2-Ausstoß in den kommenden | |
| vier Jahren also dreimal so stark reduziert werden. | |
| Es gibt einen eklatanten Widerspruch zwischen Wissen und Handeln. Dieser | |
| Widerspruch ist nicht nur der Politik anzulasten, nie waren die | |
| Zulassungszahlen von SUVs höher als heute. Klimaschutz braucht einen Umbau | |
| von Wirtschaft und Gesellschaft und dieser Umbau ist anstrengend. Wir haben | |
| uns aber gerade so nett eingerichtet in unserem Leben, dass wir diese | |
| Anstrengung scheuen. Eine Umbaustrategie so zu entwickeln, dass sie | |
| gesellschaftlich mehrheitsfähig ist, das ist bislang niemandem gelungen. | |
| 28 Sep 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Nick Reimer | |
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