# taz.de -- Essay Kritik an Trump: Ende des Kuschelns | |
> Geht es den Kritikern von US-Präsident Trump wirklich um die Verteidigung | |
> gemeinsamer westlicher Werte? Schön wär’s. | |
Bild: Soweit klar. Und sonst? | |
Freiheit, Menschenrechte, Demokratie, Gewaltenteilung und gutes Benehmen: | |
Seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump ist der Eindruck | |
entstanden, dass diese Themen ein Herzensanliegen aller möglichen Leute | |
sind – von Wirtschaftsmagnaten bis zu Spitzenpolitikern. Das freut | |
diejenigen, die sich mit den meisten dieser Anliegen lange alleingelassen | |
fühlten. Aber es steht zu befürchten, dass sie sich zu früh freuen. Es gibt | |
Indizien dafür, dass die scheinbare Übereinstimmung hinsichtlich der Kritik | |
an Trump auf einem Missverständnis beruht. | |
Ja: Die Sorge bei den Verbündeten der USA wächst angesichts der politischen | |
Richtung, die Donald Trump einschlägt. Nein: Sie meinen nicht alle | |
dasselbe, wenn sie gemeinsam den neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten | |
kritisieren. Je lauter dieser Chor singt, desto seltener wird nach seinem | |
Repertoire gefragt. | |
Die Frage, wer Trump eigentlich verurteilt und aus welchen Gründen, wird | |
immer seltener gestellt. Hauptsache, Widerspruch. Das gaukelt eine | |
Gemeinsamkeit vor, die nicht besteht. | |
Kein Tag vergeht, ohne dass Bilder von Demonstrationen um die Welt gehen, | |
[1][auf denen sympathische Frauen und Männer] selbst gebastelte Schilder | |
mit freundlichen Botschaften hochhalten. Kein Tag vergeht, an dem Donald | |
Trump nicht mit einer [2][neuen, bizarren Äußerung] für Kopfschütteln sorgt | |
– in fast allen politischen Lagern, selbst in seinem eigenen. Kein Tag | |
vergeht ohne ungewöhnlich deutliche Kritik am US-Präsidenten von jemandem, | |
dem oder der man das eigentlich nie zugetraut hätte. Wenn das kein Hinweis | |
darauf ist, dass es eben doch gemeinsame westliche Werte gibt, die auch | |
gemeinsam verteidigt werden! | |
## Herzzerreißende Erzählungen über getrennte Familien | |
Schön wär’s. Davon kann keine Rede sein. Zunächst einmal und vor allem ist | |
das ein Hinweis auf die Gesetzmäßigkeiten, denen Medien folgen. Mit | |
Inhalten hat das nicht zwangsläufig etwas zu tun – und schon gar nicht mit | |
einer Analyse dieser Inhalte. | |
Medien, vor allem elektronische Medien, bedienen sich sogenannter human | |
touch stories, also besonders eindrucksvoller Geschichten über | |
Einzelschicksale, um Interesse zu wecken und Einschaltquoten zu steigern. | |
Deshalb wurde die Berichterstattung über das Einreiseverbot für Bürgerinnen | |
und Bürger aus sieben überwiegend muslimischen Ländern in die USA begleitet | |
von herzzerreißenden Erzählungen über getrennte Familien. | |
Wunderbar, dass solche Geschichten es einmal in die Hauptnachrichten | |
schaffen. Weniger wunderbar, dass im Windschatten dieser Informationen das | |
Augenmerk von dem abgelenkt wird, was in Europa, auch in Deutschland, | |
geschieht und was in den letzten Jahren geschah. | |
## Deutschland schiebt nach Afghanistan ab | |
Zur Erinnerung: Die Bedingungen für die [3][Zusammenführung von Familien | |
aus Krisengebieten] ist in Deutschland 2016 dramatisch verschärft worden. | |
Bis zu zwei Jahren müssen sie jetzt darauf warten. | |
Zur Erinnerung: Deutschland hat Asylsuchende [4][nach Afghanistan | |
abgeschoben]. Das ist ein Staat, in dem seit Jahren ein gemeinsamer | |
Militäreinsatz von Ländern stattfindet, die von sich behaupten, sie | |
verteidigten westliche Werte. Und sie verfolgten mehrere Ziele, zum | |
Beispiel die Einführung der Demokratie. Der Erfolg ist gering. | |
Kanzlerin Angela Merkel hat mit der Kürzung von Mitteln für | |
Schleswig-Holstein gedroht, weil das Bundesland gegenwärtig keine | |
Asylbewerber nach Afghanistan abschieben will. Worin besteht eigentlich der | |
Unterschied zu einer von Donald Trump angekündigten Streichung von Geldern | |
für Kalifornien, das Immigranten ohne gültige Papiere nicht juristisch | |
verfolgen will? | |
Zur Erinnerung: Gerade erst hat sich die Europäische Union auf ein | |
[5][Zehn-Punkte-Programm verständigt], mit dem die Flucht über das | |
Mittelmeer verhindert werden soll. Hüter westlicher Werte und | |
Unterzeichnerstaaten der UN-Flüchtlingskonvention behaupten zu glauben, | |
dass eine engere Zusammenarbeit mit dem Failed State Libyen das | |
Flüchtlingsproblem in Europa lösen könne. Aber: Worin unterscheidet sich | |
das – grundsätzlich – vom Bau der Mauer nach Mexiko, die Donald Trump | |
angekündigt hat? | |
## Auffanglager in Libyen? | |
Zur Erinnerung: Flüchtlinge sollen von Europa ferngehalten werden – | |
[6][mithilfe des türkischen Präsidenten]. Dabei hält ihn innerhalb der EU | |
wohl niemand mehr für einen Verbündeten im Hinblick auf Menschenrechte und | |
Demokratie. Sollte Recep Tayyip Erdoğan das Abkommen aber nicht mehr | |
erfüllen können oder wollen, dann kann man ja nach anderen Partnern suchen. | |
Erwogen werden derzeit beispielsweise Vereinbarungen mit dem ägyptischen | |
Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi, der Oppositionelle ohne jede Rücksicht | |
auf internationale Konventionen verfolgt. Immerhin ist Ägypten ein | |
langjähriger Verbündeter der westlichen Welt. Der überwältigende Anteil der | |
Militärausgaben des Landes wird von den USA bezahlt – da wird man ja wohl | |
wenigstens verlangen können, dass er uns Probleme vom Hals hält. Oder? | |
Zurück nach Deutschland. Zur Erinnerung: Thomas Oppermann – das ist der | |
Fraktionsvorsitzende der traditionsreichen sozialdemokratischen Partei | |
Deutschlands – [7][trat zunächst dafür ein], gerettete Bootsflüchtlinge vom | |
Mittelmeer in „Auffanglager“ nach Libyen zurückzuschicken. Inzwischen hat | |
er seine Position ein wenig differenziert. Ein wenig. | |
Alle menschenrechtlichen Erwägungen, die derzeit von Entscheidungsträgern | |
gegen Trump ins Feld geführt werden, sind scheinheilig. Europa verhält sich | |
– im Prinzip – nicht anders als der neue US-Präsident. Das, was ihm | |
wirklich zur Last gelegt wird, ist sein wirtschaftspolitischer Kurs. Anders | |
ausgedrückt: Wenn er sich zu internationalem Freihandel bekennt, dann wird | |
der exportorientierte Rest der Welt mit seinen Menschenrechtsverletzungen | |
schon klarkommen. War ja bisher auch nicht anders. | |
## Einfachste Ebene der Lagerbildung | |
Aber über all den Scherzen, die sich im Zusammenhang mit Donald Trump | |
anbieten – schon wieder [8][so ein blöder Tweet,] was haben wir gelacht, | |
höh, höh, höh! –, geht fast alles unter, was sonst noch so passiert. Der | |
US-Präsident macht es seinen Gegnerinnen und Gegnern leicht: Je länger man | |
seine Äußerungen auf Twitter verfolgt, desto eher gewinnt man den Eindruck, | |
dass der Mann ein ernsthaftes Intelligenzproblem hat. Und vielleicht | |
tatsächlich psychisch krank ist. | |
Nüchtern betrachtet jedoch geht es im Zusammenhang mit seiner | |
Präsidentschaft vor allem um zwei Probleme: Um die Frage, ob Trump [9][das | |
Prinzip der Gewaltenteilung anzuerkennen bereit ist]. Das ist ein | |
überwiegend innenpolitisches Thema. Und um die Frage, ob er willens ist, | |
geschlossene Verträge einzuhalten. Das ist ein überwiegend außenpolitisches | |
Thema. | |
Gegenwärtig sieht es so aus, als wolle er – geradezu lustvoll – beide | |
Fragen verneinen. Er benimmt sich wie ein Schulhof-Bully, der umso lauter | |
lacht, je mehr seiner Klassenkameraden vor ihm zurückweichen. Das ist ja | |
auch die einfachste Ebene der Lagerbildung: Du passt dich dem Typen in der | |
Hoffnung auf Vorteile an – wie zahlreiche US-Republikaner es getan haben, | |
deren devote Haltung gegenüber Trump sogar viele Parteifreunde und | |
-freundinnen schockiert hat. Genützt hat es ihnen nichts. Oder du | |
verweigerst dich in der Hoffnung, dass dein Mut irgendwann in ferner | |
Zukunft anerkannt wird. | |
## Nette Stimmung hier | |
Aber Politik ist eben kein Streit zwischen Heranwachsenden. Es ist ein | |
Unterschied, ob Bundesbank-Präsident Jens Weidmann klar Stellung bezieht | |
gegenüber der Behauptung von Donald Trump, die EU würde sich | |
Wettbewerbsvorteile mit einem absichtlich schwach gehaltenen Euro | |
verschaffen. Oder ob Menschenrechtler darauf hinweisen, dass der Kurs von | |
Donald Trump insgesamt auf Ausgrenzung, Diskriminierung und | |
Verfassungsbruch hinausläuft. | |
Wenn es zum guten Ton gehört, sich vom Regierungschef eines anderen Landes | |
zu distanzieren, ist Misstrauen angebracht. Gegenwärtig ist die Stimmung im | |
Lager all derjenigen, die den neuen US-Präsidenten kritisieren, allzu nett. | |
Sie alle tun so, als glaubten sie ernsthaft, einer Meinung zu sein im | |
Hinblick auf den neuen Kurs im Weißen Haus. | |
Das sind sie nicht. Es gibt Kritiker und Kritikerinnen des US-Präsidenten, | |
denen es vor allem um das Thema Menschenrechte geht. Andere interessieren | |
sich vor allem für das Thema Freihandel. Das ist nicht dasselbe. Man sollte | |
auch nicht so tun, als ob. Deshalb: Ende des Kuschelns, nach innen und nach | |
außen. Im Hinblick auf eine demokratische Diskussion wäre das ein – | |
überfälliger – Anfang. | |
8 Feb 2017 | |
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[8] https://twitter.com/realDonaldTrump/status/828939235499638784 | |
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## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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