Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wie funktioniert bezahlbares Wohnen?: Freiburg für alle!
> Selbstverwaltet: In Freiburg sind drei Häuser im Bau, deren Wohnungen
> deutlich billiger vermietet werden als die des kommunalen Trägers.
Bild: Freiburg, ein rosarotes Mieter-Wunderland?
Berlin taz | „Sozial“, „bezahlbar“, „unverkäuflich“. Auf großen b…
Transparenten flattern diese Worte an Baugerüsten auf einem Gelände nicht
weit vom Freiburger Hauptbahnhof. Hier entstehen etwa 530 Wohnungen in rund
30 Bauten.
Die Grundstücke für das Baugebiet Gutleutmatten hat die Stadt zur Verfügung
gestellt. Die Häuser werden von drei Gruppen errichtet: von der kommunalen
Wohnungsbaugesellschaft, von eigentumsorientierten Baugruppen und von
Investoren. Und ausgerechnet in diesem Segment wird es die günstigsten
Mieten geben. In den drei Häusern, an denen die Transparente „sozial“,
„bezahlbar“ und „unverkäuflich“ flattern. Weniger als 8 Euro Miete pro
Quadratmeter sollen die künftigen Bewohner dort zahlen. Ein für Freiburg
enorm günstiger Preis. In den Neubauten der städtischen Baugesellschaft
werden mindestens 10 Euro fällig, eher sogar 12 Euro. Wie kann das gehen?
Bauherr sind drei Projektgruppen im Verbund des [1][Mietshäuser Syndikats].
Das machte sich im letzten Jahrzehnt bundesweit einen Namen, weil es
Bewohnern zahlreicher ehemals besetzter Häuser ermöglichte, sich diese
dauerhaft zu sichern. In den letzten Jahren kamen auch erste Neubauprojekte
hinzu. Inzwischen sind bundesweit rund 110 Hausprojekte im Syndikat
organisiert.
In Freiburg kam das Syndikat zum Zuge, weil die Stadt knapp ein Drittel
ihres Geländes an Investoren vergeben hat. Allerdings nicht an diejenigen,
die am meisten Geld boten. Es zählten vor allem soziale Kriterien. Das
Syndikat versprach komplett barrierefreie Häuser, in denen es für 70
Prozent der Wohnungen eine Sozialbindung gibt und die 55 Jahre lang ein
Drittel weniger kosten als im örtlichen Mietspiegel vorgesehen.
## Augen auf bei der Investoren-Wahl
„So konnten wir uns gegen die Investoren durchsetzen“, erzählt stolz die
Architektin Helma Haselberger, die [2][die Projektgruppen „Lama“,
„Luftschloss“ und „SchwereLos“] betreut. Letztere wird in ihrem Haus au…
noch eine Kita beherbergen. „Wir bauen Wohnungen für Familien, WGs und
Einzelpersonen“, sagt die 48-Jährige. „Bei allen Projekten wird es eine
gemeinschaftlich genutzte Dachterrasse und einen Gemeinschaftsraum geben,
jeweils eine Wohnung wird für eine Familie mit Fluchterfahrung reserviert.“
Das Transparent „sozial“ ist also angebracht. Aber wieso sind die Wohnungen
auch so „bezahlbar“? Dafür erklärt Stefan Rost, gelernter Maurer und seit
Jahrzehnten im Syndikat aktiv, zunächst einmal dessen Grundprinzipien.
„Alle künftigen Bewohner*innen bilden einen Hausverein, der eine GmbH
betreibt. Dieser gehört das Haus“, sagt der 72-Jährige. Die Nutzer*innen
sind Mieter ihres eigenen Hauses und müssen sich sowohl um die Kredite und
deren Abbezahlung als auch um alle anderen Angelegenheiten eines Hauses
kümmern. Natürlich wollen auch hier alle am Ende bei null rauskommen. Aber
niemand hat Interesse, Profit aus dem Haus zu schlagen. Das hält die Mieten
dauerhaft niedrig.
Für das Eigenkapital werden Direktkredite von Freunden und Bekannten
gesammelt. Hinzu kommen auf 25 Jahre zinsfreie Kredite von der Landesbank
für sozialen Wohnungsbau, KfW-Fördermittel und normale Bankkredite. Ein
weiterer Clou: Auch Menschen, die als Einzelpersonen wegen ihres Alters
oder aus sonstigen Gründen von einer Bank keinen Cent bekommen würden,
werden dank der kollektiven Organisationsform kreditfähig.
Die Baukosten sind eine zentrale Stellschraube. „Wir bauen keine Paläste,
wir bauen eher quadratisch, praktisch, gut“, erklärt Helma Haselberger. Um
Kosten zu sparen, wird es einen „veredelten Rohbau“ geben. „Das heißt:
Sichtbeton im Treppenhaus, drei Sorten Linoleum für alle Böden, einfache
Standardkacheln in den Bädern, Wände verputzt und gestrichen, aber keine
Tapeten. Wichtig ist uns, dass alle Materialien langlebig und robust sind
und der Bau bezahlbar bleibt.“
Vor allem an der Bezahlbarkeit haben die künftigen Mieter*innen ein großes
Interesse. Unter den verschiedenen Bauherren auf dem Gelände entwickelte
sich sogar ein Wettstreit um die geringsten Baukosten. Zwar sind noch nicht
bei allen Projekten die letzten Nägel eingeschlagen und abgerechnet. Aber
Rost und Haselberger sind sich schon ziemlich sicher, dass sie am Ende auf
rund 3.400 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche inklusive Grundstück kommen.
Das ist für Freiburg sehr günstig. Allgemein wird gesagt, unter 4.000 Euro
gehe es dort nicht.
## Milliardenschwere Förderungen verpuffen oft
„Natürlich sind zum Beispiel gepflasterte Kellerböden statt teurer
Betonwannen pfiffige Ideen, um Kosten zu sparen“, sagt Haselberger. Doch
gegenüber den städtischen Unternehmen haben die Syndikalisten weitere
Vorteile. Sie müssen keinen professionellen Apparat finanzieren. Zudem
können sie als formal private Unternehmer viel freier mit Bauunternehmen
verhandeln als die bei Ausschreibungen gesetzlich eng eingebundenen
kommunalen Bauträger. „Da geht es dann auch um Kleinigkeiten wie Skonto“,
so Haselberger.
Viel entscheidender aber sei die Haltung, betont die Projektleiterin. Denn
selbst städtische Unternehmen würden langfristige Sozialbindungen scheuen
und daher zum Teil auf zinslosen Kredite der Landesbank verzichten. „Sie
denken schon an den Weiterverkauf als Eigentumswohnungen in 15 oder 25
Jahren.“
Das ist vielleicht das größte Problem im sozialen Wohnungsbau.
Deutschlandweit gehen zurzeit Jahr für Jahr rund 80.000 günstige Wohnungen
verloren, weil die Sozialbindung ausläuft. Milliardenschwere Förderungen
verpuffen ohne jede Nachhaltigkeit, weil die Eigentümer mit den vom Staat
mitfinanzierten Häusern dann machen können, was sie wollen.
Das darf auch das Syndikat. Nur will es eben gar nicht weiterverkaufen,
kann es praktisch auch gar nicht. Die GmbHs, denen die einzelnen Häuser
gehören, sind nur zu 50 Prozent im Besitz des Syndikats. Die andere Hälfte
gehört dem jeweiligen Bewohnerverein. So könnten die Bewohner ihr Haus nur
verscherbeln, wenn das Syndikat zustimmt. Umgekehrt ist auch das machtlos
ohne die Zustimmung der Mieter. Eine Pattsituation, die dazu führt, dass
das Haus „unverkäuflich“ wird – der Slogan des dritten Transparents.
## Patt als Chance und Schutz
Es gehe nicht nur darum, dass hier „für rund 150 Menschen zwischen null und
siebzig Jahren preiswerte Mietwohnungen geschaffen werden“, betont
Haselberger, sondern auch um die Funktion als Vorbild dafür, wie aktuell
bezahlbarer Mietwohnungsbau möglich ist.
Die Syndikalisten haben große Träume. In Freiburg-Dietenbach ist ein großes
Neubaugebiet mit rund 5.000 Wohnungen geplant. „Warum nicht davon 500
Wohnungen, das wären rund 30 Häuser, übernehmen?“, fragt Stefan Rost. Das
Mietshäuser Syndikat hat kürzlich zu einem ersten Interessententreffen
geladen.
Und falls dem links-grün-alternativen Milieu die Aktivisten ausgehen,
könnte man auch Teile der kommunalen Stadtbau GmbH als 'Stadtbau 2.0.’ neu
strukturieren, um die Anforderungen einer sozialen Wohnungspolitik zu
erfüllen, sagt Rost, „um Mietwohnungen dauerhaft dem Markt zu entziehen und
als Gemeingüter zu sichern: sozial, bezahlbar und unverkäuflich“.
28 Dec 2016
## LINKS
[1] http://www.syndikat.org
[2] http://www.3haeuserprojekt.org
## AUTOREN
Christoph Villinger
## TAGS
Mieten
Sozialer Wohnungsbau
Freiburg
Alternatives Wohnen
Wohnen
Immobilien
Hausbesetzer
Lesestück Recherche und Reportage
Gentrifizierung
Studiengebühren
Hochschule
Andrej Holm
Miete
Mieten
Mietpreisbremse
Protest
Investorenschutz
## ARTIKEL ZUM THEMA
Immobilienmarkt in Berlin: Syndikat für Anfänger
Zufällig erfahren Mieter in Berlin, dass ihr Haus verkauft werden soll. Wie
es ihnen gelingt, im letzten Moment einen Investor auszustechen.
Gentrifizierung in Leipzig: Boomtown zulasten der Mieter
In Leipzig gab es lange Zeit viele bezahlbare Wohnungen. Das ändert sich
nun. Doch die Menschen wehren sich.
Studiengebühren in Baden-Würtemberg: Besetzung vorbei, Protest geht weiter
Freiburger Studierende wollten mit einer Besetzung des Audimax geplante
Studiengebühren verhindern. Am Freitag beendeten sie ihre Aktion.
Studentin über Audimax-Besetzung: „Wir beharren auf Maximalforderung“
An der Uni Freiburg wird gegen das Abkassieren von Nicht-EU-Studierenden
protestiert. Marisa Zimmer fürchtet die Wiederkehr von Studiengebühren für
alle.
Vom Aktivisten zum Politiker: Ein Andrej Holm ist die halbe Miete
Die Ernennung von Andrej Holm zum Staatssekretär in Berlin ist ein Zeichen.
Ein Zeichen dafür, wie erfolgreich Politik von unten sein kann.
Mieter-Konferenz in Berlin: Wege zum bezahlbaren Wohnen
Das Netzwerk „Mieten und Wohnen“ diskutierte am Wochenende über Auswege aus
der Misere auf dem Wohnungsmarkt.
Mieten und Lebensqualität in Berlin: Eng und laut – oder draußen
Kleinere Wohnungen sind im Trend, nur dadurch bleiben sie bezahlbar. Über
die Mietmisere in Städten wird Lebensqualität verteilt.
Debatte Wohnungspolitik: Alle Macht den Mietern
Regeln wie die Mietpreisbremse bringen so gut wie nichts, solange die
Kontrolle fehlt. Ein radikaler Perspektivwechsel muss her.
Finanzieren, Häuslebauen: Initiativen doch gerettet
Was Kleinanleger schützen sollte, bedrohte vor allem selbstverwaltete
Wohnprojekte. Ihr Protest hatte Erfolg, wie ein neues Gesetz zeigt.
Schutz vor riskanten Geldanlagen: Dorfläden bleiben verschont
Gut für das Mietshäuser-Syndikat: Nun soll es im neuen
Kleinanlegerschutzgesetz Ausnahmen für Genossenschaften und gemeinnützige
Projekte geben.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.