| # taz.de -- Debatte Wohnungspolitik: Alle Macht den Mietern | |
| > Regeln wie die Mietpreisbremse bringen so gut wie nichts, solange die | |
| > Kontrolle fehlt. Ein radikaler Perspektivwechsel muss her. | |
| Bild: Die Stadt darf keine Beute sein – MieterInnen-Demo am 10. September in … | |
| Es gibt Dinge, die einen richtig wütend machen. Etwa wenn der Vermieter | |
| schreibt, dass das Haus, in dem man wohnt, verkauft worden ist. Ein paar | |
| schlichte Sätze, den Rest kann man sich denken – zumindest als Mieter in | |
| einer der Boomstädte München, Berlin, Hamburg, Düsseldorf oder Leipzig. | |
| Wenn man Glück hat, wird die Miete nur verdoppelt, nachdem man die genauso | |
| lärmige wie ungewollte Luxussanierung überstanden hat. Falls man überhaupt | |
| bleiben darf. | |
| Wie das läuft, kann man gerade in dem [1][Dokumentarfilm „Stadt als Beute“ | |
| im Kino] sehen, in dem sich Investoren über das „funny thing“ billige | |
| Wohnung kaputtlachen. | |
| In Berlin-Mitte, so hört man, wurden einer Frau kürzlich 70.000 Euro | |
| geboten, damit sie aus ihrer günstigen Einzimmerwohnung auszieht. Als | |
| Mieter fragt man sich nicht mehr: Wie schaffe ich es zu bleiben? Sondern | |
| nur noch: Wie viel kann ich selbst aus dem Immobilienboom rausschlagen? Um | |
| dann in eine kleinere, schlechter gelegene Butze zu ziehen, für die man | |
| dennoch mehr zahlen muss. Das Zuhause aber ist weg, weil ein | |
| dahergelaufener Investor es verwerten will. Dabei ist die Wohnung doch | |
| unverletzlich – behauptet zumindest das Grundgesetz. | |
| Doch der Wohnungsmarkt ist ein rechtsfreier Raum. Zwar ist es gut möglich, | |
| dass die Polizei mit mehreren Hundertschaften anrückt, um eine | |
| Zwangsräumung durchzusetzen. Aber hat jemand schon mal davon gehört, dass | |
| die Polizei kommt, um einen Mieter gegen rabiate Hauseigentümer in Schutz | |
| zu nehmen? | |
| ## Mietpreisbremse ist ein Witz | |
| Immerhin, so könnte man meinen, hat die Politik das Problem erkannt. | |
| Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) will jetzt [2][die Mietpreisbremse] | |
| nachbessern, weil er gemerkt hat, was Kritiker bereits bei der Einführung | |
| vor einem Jahr gesagt haben: Hört sich gut an, ist aber ein schlechter | |
| Witz. | |
| Eigentümer dürfen bei einer Neuvermietung „nur“ noch 10 Prozent mehr | |
| verlangen als die ortsübliche Vergleichsmiete, die wiederum nicht alle, | |
| sondern solche Verträge widerspiegelt, die in den vergangenen vier Jahren | |
| neu abgeschlossen oder verteuert wurden. Die angebliche Bremse ist somit | |
| eine legitimierte Preisspirale – die bei Neubauten, nach Modernisierung, | |
| bei Wohnungen, die vorher schon teurer waren und in allen Gebieten, wo der | |
| Wohnungsmarkt angeblich nicht angespannt ist, nicht mal gilt. | |
| Obendrauf kommt: Staatliche Kontrolle fehlt völlig! Das ist so, als käme | |
| ein Verkehrspolitiker auf die Idee, Autorasern Einhalt zu gebieten, indem | |
| er ihnen nur noch erlaubt, 10 Prozent schneller als alle anderen zu fahren, | |
| selbst dafür jede Menge Ausnahmen zulässt und dann auf Radarfallen | |
| verzichtet. | |
| Künftig will der Justizminister den Hausbesitzern vorschreiben, dass sie | |
| die Höhe der Vormiete nicht mehr verschweigen dürfen. Netter Versuch! Man | |
| hört schon das Kichern der Kapitalisten. Denn Wohnungsinteressenten können | |
| dann entscheiden, ob sie den Rechtsverstoß des Vermieters akzeptieren, und | |
| vielleicht später dagegen zu klagen. (Viel Spaß, für den Fall, dass sie mal | |
| was von diesem Vermieter wollen!) Oder sie müssen sich eine andere Wohnung | |
| suchen. Die Macht, den Hauseigentümer auf einen Verzicht des Rechtsbruchs | |
| zu drängen, haben sie nicht. | |
| Denn der Wohnungsmarkt ist völlig durchgedreht. Neoliberale Propagandisten | |
| erzählen zwar weiter das Märchen von Angebot und Nachfrage, die angeblich | |
| den Preis regeln. Doch der dafür notwendige „vollkommene Markt“, das lernt | |
| man im ersten Semester als Wirtschaftsstudent, setzt einiges voraus: Kunden | |
| dürfen weder räumliche noch zeitliche Präferenzen haben, die angebotenen | |
| Güter müssen identisch sein usw. Das mag im Aktienhandel zutreffen. Auf dem | |
| Wohnungsmarkt ist das Gegenteil der Fall. Daher hat der Anbieter einer der | |
| wenigen freien Wohnungen gegenüber der Schlange der Suchenden faktisch ein | |
| temporäres Monopol. Sprich: Er kann sich alles erlauben. | |
| Und er muss es auch. Denn in Großstädten wie München und Berlin wird für | |
| Mietshäuser beim Verkauf teils mehr als das 30-fache der Jahresmiete als | |
| Kaufpreis verlangt – und gezahlt. So was rentiert sich nur, wenn auf | |
| exorbitante Einnahmeerhöhung spekuliert wird. Also Mieten rauf. Oder | |
| Umwandlung in Eigentumswohnungen. Altmieter müssen raus, damit das Geschäft | |
| lohnt. | |
| ## Genossenschaften fördern | |
| Was also tun? Fördermilliarden für Privatinvestoren leeren nur das | |
| Staatssäckel und füllen die Kassen der Spekulanten. Obergrenzen für | |
| Mieterhöhungen oder Modernisierungsumlagen führen dazu, dass das Maximum | |
| ausgereizt wird. Kommunaler Wohnungsbau ist unumgänglich, nützt aber auch | |
| nichts, wenn nach der nächsten Wahl wieder Privatisierungsfetischisten an | |
| die Macht kommen. Raed Saleh, Fraktionschef der SPD in Berlin, hat | |
| [3][kürzlich eine Maximalrendite für Investoren vorgeschlagen]. Klingt | |
| sympathisch, nützt aber auch nichts, wenn niemand kontrolliert. | |
| Dauerhaft würde nur eins helfen: ein radikaler Perspektivwechsel. Die | |
| Politik muss sich denjenigen zuwenden, um die es geht: den Mietern. Sie | |
| sind die Einzigen, die tatsächlich ein Interesse an niedrigen Mieten haben | |
| – und sie garantierten können, wenn sie denn Einfluss haben. | |
| Beispiele dafür gibt es mitten in Berlin: Häuser mit Quadratmetermieten von | |
| 4,50 Euro, 3,50 Euro, ja sogar nur 2,50 Euro – langfristig garantiert. Die | |
| meisten davon wurden Anfang der 80er und 90er Jahre besetzt, dann | |
| legalisiert und von kleinen, [4][bewohnerorientierten Genossenschaften] | |
| oder Projekten wie dem [5][Mietshäusersyndikat] übernommen. Die Mieten dort | |
| sind fast schon obszön niedrig. Doch pervers sind nur die bis zu 15 Euro, | |
| die in der Nachbarschaft verlangt werden. Die Differenz zwischen den beiden | |
| Mietenniveaus hat einen Namen: Sie ist der Preis der Spekulation. | |
| Müssen wir also wieder Häuser besetzen? Dafür fehlt es schon am massiven | |
| Leerstand. Aber Mietermacht lässt sich auch anders herstellen. Dafür müsste | |
| der Staat nicht einmal Geld in die Hand nehmen. Schon ein gesetzlich | |
| garantiertes, umfassendes Vorkaufsrecht für Mietergemeinschaften würde | |
| Wunder bewirken. Erst wenn die Häuser von denen, die drin wohnen, | |
| kontrolliert werden, wird Spekulanten das Lachen vergehen. | |
| 12 Sep 2016 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=GbjoiQy4vdk | |
| [2] /Archiv-Suche/!5306512&s=mietpreisbremse/ | |
| [3] http://www.tagesspiegel.de/berlin/gastbeitrag-von-raed-saleh-hoechstrendite… | |
| [4] http://www.selbstbau-eg.de/ | |
| [5] https://www.syndikat.org/de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Gereon Asmuth | |
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