| # taz.de -- Bezahlbarer Wohnraum in Stuttgart: Blick aufs verdichtete Zentrum | |
| > Die Stadt Stuttgart kurbelt mit klaren Vorgaben und Plänen den Bau von | |
| > Sozialwohnungen politisch an. Es reicht dennoch nicht. | |
| Bild: Da bleibt noch viel zu tun: Innenstadt von Stuttgart | |
| Stuttgart taz | Der verkehrszerschnittene Talkessel, die Halbhöhe mit ihrer | |
| Erbenpopulation, Steilflächen, die unbebaubar, und grüne Lungen, die | |
| unverzichtbar sind. Zuzug, Studierende, verzweifelnde Familien auf | |
| Dauersuche: Wie in einem Brennglas lässt sich in Stuttgart die | |
| Wohnbaumalaise besichtigen. | |
| Die Selbstverpflichtung der Stadt, aber auch die Vorgaben für private | |
| Investoren sind schärfer als anderswo. Die Verantwortlichen wollen | |
| beweisen, dass es sehr wohl möglich ist, in absehbarer Zeit ausreichend | |
| Wohnraum auch für die mit wenig Geld zu schaffen. | |
| In der Richard-Wagner-Straße kommt vieles zusammen. Einer der schönsten | |
| Aussichtspunkte der Stadt gibt den Blick frei aufs verdichtete Zentrum, die | |
| Baustelle von Stuttgart 21 inklusive. Alte Villen und Herrenhäuser stehen | |
| hier, die längst in Büros umgewandelt sind, für die schwäbische Hausfrau | |
| aber ohnehin unbezahlbar wären, und moderne Zubauten, für die dasselbe galt | |
| – bis vor gut fünf Jahren im Gemeinderat klare Vorgaben für private | |
| Investoren beschlossen wurden. | |
| Ab einer Neubebauung von 450 Quadratmetern, auch für Handel und Gewerbe, | |
| muss eine geförderte Wohnung eingeplant sein, ab 1.350 Quadratmeter eine | |
| Sozialmietwohnung. Immobilienwirtschaft und Vermieterlobby gingen auf die | |
| Barrikaden, aber die Horrorprognosen, die Warnungen vor Abwanderung und | |
| nicht funktionierender Durchmischung haben sich nicht erfüllt. | |
| Stattdessen sind an bald 30 Standorten inzwischen mehr als tausend | |
| Wohnungen hinzu gekommen. Mittlerweile hat die Stadt entschieden, dass ein | |
| Drittel der so entstehenden Einheiten Mietwohnungen sein müssen, mit | |
| 15-jähriger Bindung und einer Miete nicht über 7,50 Euro pro Quadratmeter. | |
| Von oben betrachtet, schmückt sich Stuttgart als besonders grüne Stadt. Wer | |
| unten im Westen oder im Süden durch die Straßen geht, erkennt schnell, dass | |
| Lückenschlüsse kaum mehr möglich sind. Schon seit 1990 werden die Baulücken | |
| systematisch erfasst und deren EigentümerInnen mehr oder weniger konsequent | |
| auf Bebauungsmöglichkeiten aufmerksam gemacht. Auf mehr als 900 dieser | |
| 1.900 Flächen sind so mehr als 5.000 Wohnungen entstanden. | |
| Die Stadt baut derzeit auf drei großen Arealen insgesamt 1.225 Einheiten. | |
| 80 Prozent davon sind für die Bezieher geringer und mittlerer Einkommen | |
| reserviert. | |
| Auch Gesamtsollzahlen pro Jahr sind festgelegt. Von den 1.800 Wohnungen | |
| müssen 300 in die Kategorie sozialer Wohnungsbau fallen: hundert preiswert | |
| vermietet, hundert preiswert verkauft und hundert ausschließlich für | |
| Familien. | |
| ## Die Preise steigen | |
| Über der Richard-Wagner-Straße, oben auf dem Reitzenstein, sitzt der grüne | |
| Ministerpräsident, der mit seinem schwarzen Koalitionspartner beschlossen | |
| hat, 250 Millionen Euro in die Wohnbauförderung zu stecken – in den | |
| kommenden fünf Jahren. Die alte grün-rote Landesregierung wollte 25.000 | |
| Wohnungen in fünf Jahren fördern: ein Tropfen auf den heißen Stein. Die | |
| Kommunalen Spitzenverbände haben errechnet, dass rund 75.000 Wohnungen pro | |
| Jahr in Baden-Württemberg gebaut werden müssten – auch weil bürgerliche | |
| Mehrheiten im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends jedes Engagement im | |
| geförderten Wohnungsbau abgelehnt haben. | |
| „So eine Lücke ist nicht auf die Schnelle nicht zu schließen“, sagt | |
| Stuttgarts grüner Baubürgermeister Peter Pätzold, „vor allem in einer | |
| wirtschaftlich prosperierenden Region, mit einem starken Markt und hohen | |
| Löhnen.“ Auch weil wieder mehr Menschen in der Stadt wohnen wollen, steigen | |
| die Preise. „Praktisch automatisch“, so Pätzold. Dagegen | |
| anzusubventionieren könne sich nicht einmal eine Stadt wie Stuttgart | |
| leisten. | |
| Die Kluft zwischen Ist und Soll bleibt somit groß: Laut bundesweiter | |
| Statistik werden rund 35 Prozent zu wenig Wohnungen pro Jahr fertig. In | |
| Hamburg liegt die Quote bei 42 Prozent. In Berlin bei 48 Prozent. | |
| 13 Sep 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Johanna Henkel-Waidhofer | |
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