Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Kapitalozän: Wutanfall wegen Wuchermieten
> Immer mehr Mieter werden ausgequetscht. Einfach nur, weil es geht. Ich
> wünsche allen, die da mitmachen, Mundgeruch und Blähungen.
Bild: Die paar Schönheitsreparaturen kann man als Mieter doch wirklich selbst …
Wenn ich mich mit Immobilien beschäftige, bekomme ich Wutanfälle. Das liegt
daran, dass ich derzeit eine Mietwohnung in Berlin suche. Und ich werde das
Gefühl nicht los, dass man mich ausquetschen möchte. Einfach so, weil es
geht. Der Immobilienmarkt in Großstädten ist nur noch für Investoren da,
die sich eine goldene Penisverlängerung verdienen wollen. Im Namen des
freien Marktes.
Merkt irgendjemand, was sich da für ein Frust aufbaut? 35 Millionen
Deutsche wohnen zur Miete und müssen sich das zynische Gequatsche von
[1][Boommärkten], [2][besten Investitionschancen] und [3][renditestarken
Objekten] in bester Wohnlage anhören, während sie einen immer größeren Teil
ihres stagnierenden Einkommens für eine schlichte Wohnung hinblättern
müssen.
Mir bleibt nichts weiter, als die verbale Mistgabel zu schwingen. Momentan
ist das menschliche Grundbedürfnis nach einem netten Zuhause eine riesige
Umverteilungsmaschine von unten nach oben. Wer Kohle hat, freut sich an
seiner Traummarge. Dass man dazu Geringverdienern immer mehr Geld aus der
Tasche ziehen muss, ist egal – der Markt gibt es her und der kennt keine
Moral, nur Mechanismen.
Falls Sie das lesen und sich gerade überlegen, in Berlin eine Wohnung zu
kaufen, als Geldanlage, sichere Renditen dank steigender Mieten: Für Sie
schmeißt jemand die alten Bewohner raus. Für Ihre Rendite werden Menschen
an den Stadtrand gedrängt. Und hören Sie auf, von Niedrigzinsen zu reden.
Eigentum verpflichtet nicht, UNS ihre goldenen Löffel zu zahlen, sondern
SIE als ohnehin wohlsituiertes Privilegienrind nicht die ganze Weide allein
leerzufressen. Falls Sie mit mehr als drei Prozent Rendite kalkulieren,
bereichern Sie sich auf Kosten anderer. Ich wünsche Ihnen chronischen
Mundgeruch und unheilbare Blähungen.
Kürzlich hab ich mir in Steglitz eine Wohnung angeschaut. Es war ein
ziemliches Loch. Uralte, nach Tod und Verderben riechende Böden, ein in
uringelb gehaltenes Bad, Fenster aus der Nazizeit, die den Blick in einen
grauen, bunkerartigen Innenhof freigaben. Auf der Straße roch es nach
Bohnerwachs, das Kiezleben bestand aus einem Teich, in dem sich demente
Enten das Gefiedern rupften.
## Entgegenkommen? Äh, nein.
Für die Bude wollte „die Verwaltung“, wie der Makler vermutlich sich selbst
bezeichnete, über 1000 Euro warm im Monat. Aber das war nicht alles. Wer
das Loch mieten wollte, musste auch noch selbst renovieren und bekam, welch
Gnadengeschenk, zwei Kaltmieten frei. Also grob 1500 Euro. Ich
argumentierte, dass es mit Arbeitszeit rund 10.000 Euro kosten würde, die
Wohnung bewohnbar zu machen. Wie wäre es mit einem Entgegenkommen?
Das stehe nicht zur Disposition, sagte der Makler. Das seien die
Bedingungen. Entweder wir akzeptieren oder wir sind raus aus dem Rennen.
Übersetzt hat der Typ gesagt: Wir pressen das maximal aus Ihnen raus. Wem
die Ehre zuteil wird, uns künftig Miete überweisen zu dürfen, dem obliegt
auch das Privileg, unsere Immobilie vorher zu renovieren. Bitte knien Sie
nieder. Wir machen das, weil wir es können. Wir finden immer eine
verzweifelte Familie oder ein betuchtes Pärchen.
Das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut und die Privatbank Berenberg haben
kürzlich ausgerechnet, dass die Mieten in Berlin in guten Wohnlagen von
2004 bis 2014 [4][um 67 Prozent gestiegen sind]. In anderen Städten sieht
es kaum anders aus, außer in Duisburg. Da ist es sicher auch schön.
## Schmierig, geschmiert
Das geht immer so weiter, da hilft auch keine „Mietpreisbremse“. Das
Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat süffisant festgestellt, dass
die Mieten zusätzlich stiegen, als die Mietpreisbremse angekündigt wurde
und danach keinerlei Effekt zeigte – weil sich ohnehin niemand daran hält.
Zwar sind die Maklergebühren abgeschafft, aber ich werde den Eindruck nicht
los, dass sich die Hälfte dieser Typen von verzweifelten Wohnungssuchenden
bereitwillig schmieren lässt. (Falls Sie Makler sind und mich gerade
googeln, weil Sie mir eine Wohnung vermieten wollen: Ich meine natürlich
nicht SIE. Nein, Gott bewahre. Das hier ist ein Kolumne. Mein
Lebensunterhalt. Bitte, bitte, bitte, nicht an jemanden anderen vermieten.
Ich putze auch Ihr Klo, täglich, kostenlos, zehn Jahre.)
Das Lustige ist, dass die Immobilien, die gerade blasenhaft immer teurer
werden, wegen der letzten Immobilienblase immer teurer werden. Die platzte
bekanntlich 2007 in den USA, was eine Weltfinanzkrise auslöste, wogegen die
Zentralbanken ankämpften, indem sie die Zinsen senkten, bis auf Null, damit
die Banken wieder Kredite in die Wirtschaft pumpen, was sie trotzdem nicht
machen, also kauft die Europäische Zentralbank jetzt sogar Schuldscheine
von Unternehmen auf, wodurch auch damit keine Zinsen mehr zu erzielen sind,
also wissen Anleger nicht mehr, wohin mit ihrem Geld, und kaufen
Immobilien, da gibt es noch Rendite, weil man die Mieter auspressen kann
und das geht dann solange, bis die nächste Immobilienblase platzt.
Bumm. Was ein Wahnsinn.
Das war jetzt etwas verkürzt. Die Finanzkrise hatte eine Menge Gründe,
vielleicht lag es doch am Öl. Aber die grobe Richtung stimmt. Und am Ende
renne ich durch Berlin und finde keine Bude.
## Zum Schluss: ein kleiner Anlagetipp
Nur sollen die höheren Mächte der Weltfinanz keine Entschuldigung sein.
Liebe Anwälte, Ärzte, Abgeordnete, Oberstudienräte, Erben, Vermieter,
Spekulanten, Anleger: Man MUSS seine Mieter nicht ausquetschen, nur weil
man es kann. Das schreibt einem niemand vor. Es ist Ihre persönliche
Entscheidung, wenn Sie in Berlin oder München eine Wohnung kaufen,
Dollarzeichen in den Augen haben und meinen, die Mieter könnten doch noch
ein klein wenig prekärer leben, um Ihren persönlichen Reichtum weiter zu
mehren.
Am Ende habe ich noch einen kleinen Anlagetipp. Mein Lieblingsportal cash
online schreibt von „renditestarken Anlagemöglichkeiten“ in
Wohnhochhäusern. Hochhäuser! Da geht noch was. Da ist noch Luft nach oben.
Lassen Sie uns gemeinsam Plattenbauten in Marzahn gentrifizieren. Dann in
Brandenburg, in ganz Deutschland, in Europa, Amerika, auf dem ganzen
Planeten und dann ab ins Universum. Es warten renditestarke Wohnlagen auf
der Sonnenseite des Mondes. Helm ab und Luft holen.
13 Aug 2016
## LINKS
[1] http://www.gevestor.de/details/boommarkt-hamburg-preise-steigen-in-astronom…
[2] http://www.pwc.de/de/pressemitteilungen/2015/berlin-attraktivster-immobilie…
[3] https://kapitalanlageimmobilien.net/
[4] http://www.hwwi.org/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/hwwiberenber…
## AUTOREN
Ingo Arzt
## TAGS
Kapitalozän
Mieten
Berlin
Kapitalozän
Immobilienmarkt
Donald Trump
Kapitalozän
Die Linke
Schwerpunkt Angela Merkel
Mietpreisbremse
Kapitalozän
Miete
Finanzmarkt
Kapitalozän
Kapitalozän
Kapitalozän
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kolumne Kapitalozän: Hetzt Drogenfahnder auf Vermieter
Jamaika redet auch über die Mietpreisbremse. Das ist nett. Bringt aber
wenig, so lange Vermieter auf Regeln scheißen. Und Mieter gegeneinander
aufhetzen.
Konkurrenz auf dem Immobilienmarkt: Dieses System fickt jeden
Lügen, hassen, verraten: Unser Autor war auf Wohnungssuche. Was das mit ihm
gemacht hat, hatte er sich nicht vorstellen können.
Kolumne Kapitalozän: Die Linken sind schuld
Nach der Trump-Wahl wird es Zeit, sich mit dem Geist des Kapitalismus
auseinanderzusetzen. Der Vorteil: Er ist nicht sehr groß und frisst wenig.
Kolumne Kapitalozän: Das Ende wird so fightclubmäßig
Die US-Finanzelite hat es nicht leicht: Renditen unter zehn Prozent, Boni
unter 100 Millionen. Was löst die nächste Finanzkrise aus?
Mietpreisbremse in der Kritik: Die Linke will Schlupflöcher schließen
Durch Hintertüren im Gesetz haben Vermieter Spielraum. Doch die Opposition
will das ändern und setzt die SPD unter Druck.
Kolumne Kapitalozän: Merkel und das Es
Juhu, wir haben schon wieder ein neues Zeitalter: das postfaktische. Man
sollte die Dinge besser beim Namen nennen: Neofaschismus ist wieder in.
Debatte Wohnungspolitik: Alle Macht den Mietern
Regeln wie die Mietpreisbremse bringen so gut wie nichts, solange die
Kontrolle fehlt. Ein radikaler Perspektivwechsel muss her.
Kolumne Kapitalozän: Bunker voller gefrorener Altenpfleger
Wir sollen ja alle für die Rente sparen. Was bei Lichte betrachtet gar
nicht geht. Das zeigt ein kleiner Trip zu unseren lieben Mitameisen.
Kommentar Sozialer Wohnungsbau: Etwas beherzter, bitte
Bauministerin Hendricks will das Grundgesetz ändern, damit der Bund den
sozialen Wohnungsbau fördern kann. Doch dafür haben wir nicht genug Zeit.
Profiteure der Nullzinspolitik: Wer hat, dem wird gegeben
Während Sparer leiden, treibt das billige Geld die Vermögenswerte in die
Höhe. Das freut Besitzer von Immobilien und Aktien.
Kolumne Kapitalozän: Anleitung zum Trotzdem-Glücklichsein
Wut auf das System kommt nur noch von rechts? So ein Quatsch. Alles nur
geklaut. Scheißen Sie auf die Populisten und: Lachen nicht vergessen.
Kolumne Kapitalozän: Arschabwischen mit Rasenduft
Der richtige Umgang mit dem Fußball will gelernt sein. Tipps: Fahren Sie
Rad. Zerstören Sie die Finanzmärkte. Oder kaufen Sie eine Badeente.
Kolumne Kapitalozän: Der beste Freund des Menschen
Die Welt und ihre Probleme sind furchtbar kompliziert. Doch keine Sorge, es
gibt einen Ausweg: Sündenböcke helfen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.