# taz.de -- Kolumne Kapitalozän: Bunker voller gefrorener Altenpfleger | |
> Wir sollen ja alle für die Rente sparen. Was bei Lichte betrachtet gar | |
> nicht geht. Das zeigt ein kleiner Trip zu unseren lieben Mitameisen. | |
Bild: Zwei kahlrückige Waldameisen-Arbeiterinnen, von der Lebensleistungsrente… | |
Die Rentenkasse schickt mir wieder einen Brief, in dem steht, wie viel | |
Rente ich mal bekomme. Es ist ein poetisch dichtes, stilistisch klares | |
Werk der Bürokratie, das mich ehrfürchtig innehalten lässt. All mein Tun, | |
Rackern und Streben, erfasst in einer einzigen Zahl. Sie sagt: Du bist eine | |
kleine Wurst, in einem Wurstkübel mit 82 Millionen exakt vermessenen | |
Mitwürsten. Du wirst sterben. Was jenseits des Kübels kommt, das wissen | |
nicht einmal die Finanzmärkte. | |
Ameisen bekommen keine Rente, was sehr bedauerlich ist. Wie würde eine | |
andere Spezies, auch noch eine mit Facettenaugen und sechs Beinen, mit dem | |
Thema Altersvorsorge umgehen? Vielleicht würde sie, wie der Mensch, ihre | |
Ansprüche in Briefen notieren, und wenn die Ameise genug Zweigchen | |
geschleppt und Blattläuse gemolken hat, dann würde sie noch ein paar Tage | |
apathisch in der Landschaft sitzen, ehe sie vom großen Ameisenbären ins | |
Jenseits geschleckt wird. | |
Nur mal angenommen, die nächste Generation würde weniger Blattlausmilch | |
zapfen und könnte die vielen Ameisenrentenanspruchszettel nicht erfüllen. | |
Weil noch mehr zapfen nicht mehr geht. Was würde eigentlich Andrea Nahles | |
dazu sagen? Nun, sie würde sich zu den Ameisen hinabbeugen und sagen: Mit | |
der Lebensleistungsrente der SPD wäre das nicht passiert. Hättet ihr mal | |
zusätzlich geriestert. Dann hättet ihr noch viel mehr | |
Rentenanspruchsbriefe! | |
Und Friedrich Merz? Der würde den Ameisen sagen: Hättet ihr doch mal Aktien | |
gekauft. Der Aktienmarkt wächst viel dynamischer als die gemeine Blattlaus. | |
Dann hättet ihr jetzt Aktienanspruchsbriefe. | |
Und die AfD? Bau dichtmachen, rote Waldameisen ausweisen. | |
Finanzkrisen, Weltkriege, Seuchen | |
Während ich schreibe, rennt eine bekloppte Ameise auf meinem Rentenbrief | |
umher. Eben hat sie noch einen Krümel von meinem angebissenen | |
Marzipancroissant angefühlert. Also, folgender Gedanke, liebe Ameise: Im | |
Jahr 2050 muss die deutsche Volkswirtschaft ihre Rentner versorgen. | |
Sie wird das machen, indem sie einen Teil ihrer Waren und Dienstleistungen | |
an die Alten verteilt, die nicht mehr arbeiten. Wem wie viel zusteht, das | |
steht in Briefen. Wenn da mehr draufsteht, als da ist, dann gibts | |
Verteilungszoff. Lässt sich nur vermeiden, indem Mechanismen, die eh keiner | |
kapiert, die Ansprüche drücken – Inflation, Niedrigzinsen, Finanzkrisen, | |
Weltkriege, Seuchen. | |
Es ist aber auf gar keinen Fall so, dass von unserem, jetzt angesparten | |
Geld Vorräte für später gebunkert werden. Nirgends lagern Pumpernickel, | |
Sardinenkonserven, Marmeladengläser (Waldfrucht, 2016), Muckefuck oder in | |
Kryostase versetzte Pflegekräfte. Unsere staatlichen Rentenbeiträge gehen | |
an Opa und Oma. | |
Was wir sonst sparen, sind Überschreibungen an private Versicherer, die das | |
Geld wieder dem Staat leihen, in Ölbohrlöcher, Autokonzerne oder | |
Imbissketten stecken, in den ganzen verrückten Weltladen eben. In der | |
Hoffnung, dass all das 2050 noch da ist. Kurzum, wir sparen nichts. Wir | |
verlagern nur die Kompetenz darüber, zu entscheiden, was sinnvolle | |
Zukunftsinvestitionen sind. | |
Mehr ist das mit den Renten nicht, liebe Mitameisen. | |
1 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
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