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# taz.de -- Kolumne Kapitalozän: Anleitung zum Trotzdem-Glücklichsein
> Wut auf das System kommt nur noch von rechts? So ein Quatsch. Alles nur
> geklaut. Scheißen Sie auf die Populisten und: Lachen nicht vergessen.
Bild: Vergessen Sie den und die anderen Idioten
Kürzlich wurde ich fast Opfer von Rechtspopulisten. Hatte mir gerade einen
[1][Podcast über deren Rhetorik angehört] und meine Hirnwindungen
schaukelten sich in Rage.
Da krakeelte immer noch Donald Trump im Kopf, Frauke Petry beim lakonischen
Hitlerverharmlosen, Marine Le Pen brüllt eine aufgeheizte Menge an, Norbert
Hofer fabuliert was von Völkerwanderung, vor meinem geistigen Auge traf ich
sie alle, um ihnen mal so richtig, also, so richtig… nein, nicht, um ihnen
so richtig die Fresse zu polieren. Das käme mir nie in den Sinn. Sondern,
um ihnen so richtig die Meinung zu trompeten.
Tja, und schon bin ich an der Kochstraße gedankenverloren bei Rot über die
Ampel gelatscht und fast von einem Touristenbus überfahren worden.
Kennen Sie das? Wenn es einem Sinn und Verstand verschlägt, angesichts
dieser Idiotie? Massen von Menschen wünschen sich Stacheldraht und Grenzen
zurück, wegen folgender Predigt: Wir sind vom Islam, Flüchtlingen und
korrupten Eliten bedroht. Die Regierenden samt Medien vertuschen und lügen.
Nur mit uns gibt es Wahrheit, Sicherheit, Wohlstand und weiße Nachbarn.
Wie kommt man dem bei? Nun, man schlägt den Feind am besten mit den eigenen
Waffen. Argumentieren kann man mit den Leuten nicht, also setze ich eine
noch kürzere, noch simplere Predigt dagegen. Sie lautet: Scheißen Sie auf
Rechtspopulisten.
Werden Sie wieder Herr über die eigenen Gedanken. Bei mir geht das so: Ich
bin ein leidenschaftlicher Kritiker der herrschenden Verhältnisse. Ich
ärgere mich über schlecht recherchierte, manipulative Artikel und arrogante
Klugscheißer in den Medien. Ich ärgere mich über Lobbyisten in Brüssel und
Berlin, über Konzerne, die statt Steuern lieber Anwälte bezahlen. Ich
ärgere mich über globale Ungerechtigkeit, über einen zügellosen
Kapitalismus, der Staaten und Arbeitnehmer gegeneinander ausspielt – man
nennt es Wachstum.
Ich ärgere mich, dass niemand Großbanken in gesunde Einzelteile zerlegt.
Ich halte die EU für undemokratisch; ihr fehlt das Solidarische; sie verrät
meine Idee von Europa. Ich halte Jean-Claude Juncker für einen blasierten
Neoliberalen ohne soziale Kompetenz.
Unser Steuersystem ist ungerecht, weil es die Reichen reicher und die Armen
ärmer macht. Es ist zum Kotzen, dass Kapital freier als Menschen ist. Dass
Mieten explodieren und Innenstädte zu Maklerträumen in besten Wohnlagen
mutieren. Mich nervt, dass Wirtschaftsverbände in einem Almosen von
Mindestlohn den Untergang Deutschlands sehen.
Darüber ärgere ich mich, und das Ding ist: Rechtspopulisten würden alles
sofort unterschreiben (außer die Sache mit der globalen Ungerechtigkeit).
Auch Trump und die AFD sind gegen Freihandelsabkommen wie TTIP und Ceta.
Gut, die AFD ist gleichzeitig marktradikal. Das mag logisch widersprüchlich
sein, aber wen kümmert's, wenn man eh die Wahrheit gepachtet hat.
Aber wissen Sie was? Drauf geschissen. Wir kritisieren, was wir für
ungerecht halten. Wir domestizieren uns nicht, weil rechte Ideologen ihren
braunen Mist mit geklauten Splittern unserer Gedanken garnieren.
„Wir“, das sind alle, die wissen, dass es keine einfachen Antworten gibt.
Alle, die nicht hinter jedem Artikel, der ihrem Weltbild widerspricht, eine
Verschwörung vermuten. Alle, die wissen, dass eine freie Gesellschaft ein
Tanz der Irrtümer ist; einfach mal drüber lachen.
Ich meine alle, die es ablehnen, wenn Religion Homosexuelle oder Frauen
unterdrückt, egal welchem Gott sie huldigt. Alle, die durchschauen, dass
Rassismus auch Rassismus ist, wenn er anhand von territorialer Herkunft und
Religion ausgrenzt und erst dann auf das Äußere zu sprechen kommt.
Es gibt keine sinnvolle rechte Kapitalismuskritik. Für die Rechtspopulisten
ist Kapital eine Chiffre für offene Grenzen und gesellschaftliche
Liberalität, die es generell abzuschaffen gilt. Aus Kritik an Geld-Eliten
wird eine Verschwörung gegen das Volk, das weiß und patriarchalisch ist.
Nein, lassen Sie sich Ihre Wut und die Lust daran, eine bessere Welt zu
fordern, nicht nehmen. Kritisieren Sie nach Herzenslust das System, den
Kapitalismus, wie Sie es auch nennen. Nur nicht ständig nach rechts
schielen. Besser nach links. Das kann, das hab ich bei meinem letzten
inneren Wutanfall über rechte Idioten gelernt, auf jedem Fall beim
Überqueren einer Straße sehr ratsam sein.
20 Jul 2016
## LINKS
[1] http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2016/07/09/dradiowissen_wir_hier_…
## AUTOREN
Ingo Arzt
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