# taz.de -- Kolumne Kapitalozän: Versöhnung mit schwarzen Löchern | |
> Die Standardmodelle von Physik und Ökonomie haben eines gemein: Sie sind | |
> am Ende. Kuchen und kosmische Geschlechtsakte könnten helfen. | |
Bild: Simulation eines Geschlechtsaktes zweier Schwarzer Löcher. | |
Die Erleuchtung überkam mich, als ich den theoretischen Physiker Gian | |
Francesco Giudice in Genf besuchte. Giudice arbeitet in einem bescheidenen, | |
lichten Büro am Kernforschungszentrum Cern, schreibt Formeln an eine | |
Wandtafel und nennt sie liebevoll „ein paar Gedanken“. | |
Giudice setzte mich über News in Sachen Ursprung des Universums in | |
Kenntnis. Als wir gemeinsam über das [1][Energieniveau des Higgs-Feldes] | |
kurz nach dem Anbeginn des Seins sinnierten, erkannte ich, dass alles | |
zusammenhängt: Kapitalismus, Stringtheorie, Gravitationswellen. Und Liebe. | |
Kompliziert. Also: In der Stringtheorie besteht das Universum aus winzigen, | |
eindimensionalen Saiten, die in einem [2][elfdimensionalen | |
Raum-Zeit-Gebilde] schwingen und am Ende so etwas Leckeres wie einen | |
dreidimensionalen Schokoladenkuchen ergeben. Logisch? In der Ökonomie | |
tauschen Menschen bunte Scheinchen mit Brücken oder verstorbenen | |
Präsidenten darauf gegen Schokoladenkuchen ein. Logisch? | |
In der Physik lässt sich der fantastischste Quatsch präzise vorhersagen: | |
Falls ein [3][Komet die Erde vernichten sollte], wissen wir das garantiert | |
ein paar Jahre vorher und können noch ein wenig in Anarchie leben. Und | |
trotzdem steht die Physik vor einem Berg von Fragen. Kürzlich las ich im | |
Buch eines berühmten Stringtheoretikers einen schönen Vergleich: Die | |
mathematische Beschreibung dieser Strings sei so kompliziert, dass sich | |
ihre Vordenker fühlen wie ein Steinzeitstamm, der ein abgestürztes Flugzeug | |
entdeckt hat und anfängt, an den Knöpfen rumzudrücken. | |
Mit den Ökonomen verhält es sich ähnlich. Ich meine nicht all diese | |
bekloppten Aktienheinis. Ist schon lustig, wenn sich alle paar Jahre die | |
Kurse aufblähen und, kurz nachdem auch noch der letzte Kleinanleger sein | |
Erspartes an die Börse trägt, wieder zusammenschnurzeln. Dann wundern sich | |
alle wie die Stiere, die sich beim ersten Frost den Schniedel abfrieren. Da | |
hätte ein wenig Volkswirtschaftslehre wohl geholfen. | |
Nein, ich spreche von handfesten ökonomischen Modellen. Mit denen lassen | |
sich zwar die Zyklen der Wirtschaft grundlegend beschreiben. Dennoch sind | |
die Standardmodelle der Ökonomie so sehr am Ende wie die der Physik. | |
Momentan pumpen Notenbanken unendlich Geld in die Wirtschaft, erfinden | |
negative Zinsen, der Ölpreis spinnt, die Staaten sind überschuldet, die | |
Geldschwemme führt zu Ungleichheit, kein Mensch kann sich mehr eine | |
Immobilie leisten. Jeder weiß, dass es [4][so nicht weitergehen kann]. | |
Das ist deprimierend, es gibt aber noch die Liebe. Kürzlich haben wir | |
gelernt, was passiert, wenn sich zwei schwarze Löcher in einem kosmischen | |
Geschlechtsakt verschlingen: [5][Sie erzeugen dann Gravitationswellen]. Die | |
kann man eine Milliarde Jahre später am anderen Ende des Universums messen, | |
als Verzerrung der Raumzeit. Und wie wir wissen, passiert das auch, wenn | |
sich zwei Menschen lieben. Dann gibt es Gravitationswellen, die durch das | |
All sausen. Das sagt das Standardmodell der Physik, nicht das der Ökonomie. | |
Weshalb mir schwarze Löcher sympathischer sind als Ökonomen. | |
24 Feb 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://tedxcern.web.cern.ch/video/2013/what-higgs-might-mean-fate-universe | |
[2] https://en.wikipedia.org/wiki/M-theory | |
[3] https://www.ligo.caltech.edu/detection | |
[4] http://www.ft.com/intl/cms/s/2/7333e92a-d4a2-11e5-829b-8564e7528e54.html#ax… | |
[5] https://www.ligo.caltech.edu/detection | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
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