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# taz.de -- Kolumne Millionär: Geld, Glück und Gelatine
> Geld ist ihnen egal, trotzdem reicht es für eine Weltreise und
> Himalayasalz aus dem Biomarkt. Warum bloß sind alle meine Freunde
> Postmaterialisten?
Bild: Wenn Sie jetzt erregt sind, sind Sie kein Kapitalist.
Postmaterialisten sind die Pest. Sie haben die Gesellschaft unterwandert.
Es gibt kein Entrinnen vor ihnen. Ist man, wie ich, auf persönliche
Bereicherung bedacht, bleibt nur ein Leben in ständiger Camouflage, um
nicht geächtet zu werden.
Postmaterialisten sind wie Mäuse, die in einem Berg aus Käse wohnen. Dort
liegen sie in Hängematten, schieben sich Büffelmozzarella in die Schnauze
und mümmeln: „Käse? Käse ist mir wirklich nicht so wichtig.“ Im echten
Leben sagen sie: „Geld? Geld macht nicht glücklich. Hauptsache, es reicht
so zum Leben.“
In der Regel reicht es gerade so für eine zweijährige Weltreise nach dem
Abi. Und eine nach dem Bachelor. Nach dem Master ein Jahr Vereinigte
Staaten, ein Sabbatical mit Anfang 30, sonst zwei Urlaube im Jahr,
Himalayasalz aus dem Biomarkt, kein eigenes Auto, dann erben und Haus
bauen.
Leider sind all meine Freunde Postmaterialisten. Ich reise gerade mit einem
umher. Er denkt, ich ticke wie er. Liege also tippend auf einer Pritsche in
einem VW-Bus, blicke raus, da brandet der Atlantik an einen verlassenen
Strand. Der Postmaterialist, Mitte 30, reicht mir eine Tasse Kaffee herein
und sagt: „Fairtrade, Alter.“ Ist mir scheißegal. Nicke aber anerkennend,
um seine Zuneigung nicht zu verlieren.
Und alle, wirklich alle Frauen sind Postmaterialistinnen. Kommst du mit
einer Frau in einer Bar ins Gespräch, dann sag mal den Satz: „Ich versuche,
Millionär zu werden.“ Die guckt dich an, als würdest du auf einer
Kaffeeplantage von Nestlé als Kinderauspeitscher arbeiten. Schwups, wendet
sie sich dem nächstbesten bärtigen Postmaterialisten zu. Kapitalisten haben
keinen Sex. Denken Sie daran, wenn demnächst mal wieder das Bankensystem
zusammenbricht.
Mein ständiges Tarnen führt zu seltsamen Wünschen. Kürzlich las ich von
folgendem Fetisch: Manche Menschen führen sich einen Schlauch in ihren
After oder ihre Vagina ein und pressen dann durch diesen Schlauch kleine,
künstliche Eier aus Gelatine tief in ihren Körper. Das erregt sie, weil sie
sich vorstellen, mit einem Alien zu kopulieren.
Ich finde das eklig. Aber wie gern hätte ich, statt jener unersättlichen
Geldgier, diese Gelatineeierneigung! In unserer Gesellschaft sind Gespräche
über derartige Praktiken absolut akzeptiert. Bei meinem Arbeitgeber auf
jeden Fall. Da kann man sagen: „Ich stehe auf Gelatineeier“, dann nicken
alle anerkennend, und man schreibt einen subjektiven Aufmacher am
Wochenende darüber. Aber nirgends kann man sagen, dass man Kapitalist ist.
Nur mein Vater verstand mich. Er sagte immer: „Mein Sohn, besser du bist
reich und gesund als arm und krank.“
Trotz allem birgt das Reichsein einen unschätzbaren Vorteil: Man ist reich.
Mein Problem ist, ich bin es nicht, versuche es aber zu werden. Das fühlt
sich an, als bringt man jeden Tag im Park einen Jogger um und niemanden
interessiert’s. Ich starre traurig aus dem Bus. Mein postmaterialistischer
Freund spielt einen Song auf seiner 3.000-Euro-Gibson-Gitarre. Ich brauch
mal wieder ein Sabbatical.
15 Oct 2015
## AUTOREN
Ingo Arzt
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