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# taz.de -- Kolumne Kapitalozän: Die Linken sind schuld
> Nach der Trump-Wahl wird es Zeit, sich mit dem Geist des Kapitalismus
> auseinanderzusetzen. Der Vorteil: Er ist nicht sehr groß und frisst
> wenig.
Bild: Sieht so der Geist des Kapitalismus aus? Nein. Aber fast!
Seit ein paar Tagen wohnt der Geist des Kapitalismus bei mir. Er verträgt
sich gut mit dem Hund, das ist wichtig.
Es passierte am Wochenende, ich aß gerade zu Abend. Auf einmal tritt ein
etwa 30 Zentimeter großer, wohl gekleideter Zwerg mit sehr selbstbewussten
Schritten ins Wohnzimmer. Ich schwenke guten Weißwein im Glas, kaue auf
einer frisch gebratenen, pazifischen Königsgarnele herum, als der Wicht
freundlich den Hut zieht. Der Hund knurrt von seiner Decke aus so einen
ICH-werd-ihm-nichts-tun-Sound in meine Richtung und pennt weiter.
Der Geist ist gut gekleidet, trägt ein elegantes Rüschenhemd unter einem
maßgeschneiderten Frack, eine Blume im Knopfloch, dazu der Zylinder, fein
getrimmter Vollbart und Gehstock. Er verneigt sich ohne Umschweife vor mir
und spricht in Wiener Mundart: „Gestatten, ich bin Friedrich August, der
Geist des Kapitalismus.“
Ich bin sehr verwirrt über diese Erscheinung. Der Zylinderzwerg nutzt meine
Sprachlosigkeit und hebt zu einem längeren Monolog an. Er habe, erklärt er,
schon bei vielen gewohnt und hoffe nun auch auf mein Wohlwollen. Der
Einzige, der ihm jemals Obhut verwehrte, sei Luther gewesen, der habe sogar
ein Tintenfass nach ihm geworfen. Die beste Zeit habe er mit Marx gehabt.
„Und für Sie als Bewohner eines so reichen Landes dürfte es ja ein Leichtes
sein, einen bescheidenen Herren wie mich auszuhalten“, schließt er.
Ich spüle ein Stück zypriotischen Hirtenkäse auf marokkanischer Feige mit
einem Schluck südafrikanischen Sauvignon herunter und fange mich
allmählich. „Das geht eigentlich nicht. Ich bin links“, sag ich, krame mein
neues iPhone 7 aus der Tasche und versuche ein Foto von dem Wicht vor mir
zu machen. „Und Sie sind ja wohl, trotz Ihres freundlichen Auftretens, für
Ausbeutung und schlimmste Exzesse der Weltgeschichte verantwortlich“,
ergänze ich.
„Verzeiht, der Herr“, antwortet der Wicht, „aber schreibt Ihresgleichen
gerade nicht bei jeder Gelegenheit, die Linken seien an aller Unbill der
Welt schuld, weil sie die verarmten Globalisierungsverlierer in den
Industrieländern vergessen haben?“ Friedrich August ist offenbar belesen.
Ich biete ihm als Sitz eine Kilopackung äthiopischen Hochlandkaffee an, er
erklimmt behände den Tisch und nimmt Platz. „Stück kenianische Bio-Mango?�…
frage ich. „Nein danke, aber wenn ich etwas Kapital akkumulieren könnte?“
Ich gebe ihm ein Zwei-Euro-Stück, das er bedächtig anknabbert. Vielleicht
isst er auch meine alten Münzen? Die von den vielen Reisen übriggeblieben
sind. Man weiß ja nie, wohin damit.
„Also ich glaube ja, es liegt an IHNEN. SIE, mein Lieber, profitieren von
der globalen Ungleichheit und verdienen sich den goldenen Knauf auf Ihrem
Gehstock mit Ausbeutung von Lohnsklaven in Entwicklungsländern, während
hier die Leute ihre Jobs verlieren.“
„Könnte ich mal das Salz . . .“, fragt der kleine Friedrich. Ich reiche ihm
eine Prise Totes-Meer-Salz zur Münze. Er gähnt.
„Müde“, frag ich?
„Ja“, sagt er, schläft ein und plumpst von der Kaffeepackung. Wir müssen …
unserer Dialogfähigkeit arbeiten. Aber wir wohnen ja jetzt zusammen.
24 Nov 2016
## AUTOREN
Ingo Arzt
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