# taz.de -- Hausbesetzer über Wohnungsnot: "Wir bleiben hier" | |
> Ein Pariser Kollektiv kämpft mit Partys und Besetzungen gegen horrende | |
> Mietpreise. Das "Jeudi Noir" entstand aus Frustration – und ist zu einem | |
> Symbol geworden. | |
Bild: "Wir richten uns hier auf längere Zeit ein": Laurent Dubouchet von Jeudi… | |
Seit Ende Oktober besetzt das Pariser Kollektiv [1][Jeudi Noir] das | |
Geburtshaus der Marquise de Sévigné, 3.000 Quadratmeter mit Sicht auf den | |
historischen Place des Vosges. Dieser Stadtpalast war seit 1965 unbewohnt. | |
Trotz gerichtlichen Räumungsbefehls wollen die Besetzer bleiben. Sie wollen | |
erreichen, dass die Behörden tausende leer stehende Wohnungen | |
beschlagnahmen, instand setzen und zu erschwinglichen Preisen vermieten. | |
Wie das Kollektiv entstand und was es vorhat, sagte uns der Maler Laurent | |
Dubouchet von Jeudi Noir. | |
taz: Herr Dubouchet, was will Jeudi Noir und wie entstand dieses Kollektiv? | |
Laurent Dubouchet: In Paris werden donnerstags traditionellerweise in einem | |
Heft die Wohnungsannoncen publiziert. Für die vielen Leute – Studierende, | |
junge Erwerbstätige und Familien mit geringem Einkommen – ist dies jedes | |
Mal eine Frustration. Aus dieser Frustration heraus, dass es für viele ganz | |
einfach keine erschwingliche Wohnung gibt, entstand Jeudi Noir. | |
Eines Tages haben sich einige spontan zur Besichtigung eines luxuriösen | |
Mietobjekts eingefunden und dann in dieser Pariser Wohnung eine Party | |
steigen lassen. Das war dann unsere erste Kampfform, um die Öffentlichkeit | |
auf die skandalöse Wohnungsnot aufmerksam zu machen. Seit mehr als drei | |
Jahren versuchen wir auch, mit Besetzungen längerfristige Lösungen für | |
Betroffene zu finden und zusammen mit anderen Organisationen politischen | |
Druck zu machen, damit sich die katastrophale Wohnpolitik ändert. | |
Offiziell ist von 16.000 oft seit Jahren leeren Wohnungen und Häusern in | |
Paris die Rede, fordern Sie deren Enteignung? | |
In Wirklichkeit sind es viel mehr, annähernd hunderttausend oder sogar | |
mehr, wenn man auch die leeren Büroflächen hinzuzählt. Wir stellen das | |
Eigentum nicht grundsätzlich infrage und schon gar nicht, wenn es sich um | |
kleine Hausbesitzer handelt, die aus diversen Gründen die Immobilien nicht | |
vermieten: aus Angst vor insolventen Mietern, wegen Erbstreitereien oder | |
weil das Geld zur Instandsetzung fehlt. Wir verlangen hingegen, dass die | |
öffentliche Hand einspringt, um mit den Besitzern und potenziellen Mietern | |
eine Lösung zu finden, um diese Wohnflächen nutzbar und zugänglich zu | |
machen. Das wäre aufgrund des existierenden Rechts möglich, doch die | |
Gesetze, vor allem das Requirierungsgesetz von 1945, werden heute nicht in | |
diesem Sinne angewandt. | |
Ein Gericht hat Sie, d. h. die etwa 30 jungen Besetzer am Place des Vosges, | |
Mitte Januar zur Zahlung einer hohen Schadenersatzsumme verurteilt und die | |
polizeiliche Räumung angeordnet. Was werden Sie tun? | |
Wir bleiben. Die Besitzerin, eine durchaus charmante 87-jährige Dame, die | |
in einem Altersheim lebt und keineswegs die Absicht hat, je hier zu wohnen, | |
hat uns besucht und selbst kein gerichtliches Vorgehen gegen uns gewünscht. | |
Aber sie steht unter Vormundschaft, und ihre entfernten Verwandten haben | |
offenbar exzellente Beziehungen zum Élysée. Wir richten uns hier auf | |
längere Zeit ein, wir haben nicht nur nichts beschädigt, sondern alles | |
wohnlich und sauber gemacht. Wenn der Staat mit einer Räumungsaktion und | |
Repression eine Kraftprobe sucht, werden sich viele mit uns solidarisieren. | |
Unsere Aktion ist zu einem Symbol geworden. | |
8 Feb 2010 | |
## LINKS | |
[1] http://www.jeudi-noir.org/ | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
## TAGS | |
Mietpreisbremse | |
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