# taz.de -- Philosoph über Festessen und Tierrechte: „Fleisch ist keine allt… | |
> Massentierhaltung ist Tierquälerei, aber die wenigen Veganer ändern kaum | |
> etwas daran. Konrad Ott empfiehlt Koalitionen aus Tierrechtlern und | |
> -schützern. | |
Bild: Welches von den Gänschen wird an Weihnachten auf dem Festtagsteller land… | |
taz: Herr Ott, warum dürfen Menschen Tiere essen – zum Beispiel als | |
Weihnachtsbraten? | |
Konrad Ott: Die meisten Nutztiere können als Augenblicksgeschöpfe gelten, | |
denen man nicht viel nimmt, wenn man sie nach einem guten Leben rasch und | |
schmerzlos tötet und durch andere Tiere der gleichen Art ersetzt. Von | |
Menschen unterscheiden sie sich hinsichtlich Eigenschaften wie | |
Selbstbewusstsein und Reflexivität. Tiere sind empfindende Wesen, aber | |
keine geistig-diskursiven Wesen. Deshalb setze ich Menschen und Tiere nicht | |
einfach moralisch gleich. Genau dies tun Tierrechtler. | |
Was meinen Sie damit, dass man einem Tier nicht viel nehme, wenn man es | |
tötet? | |
Tiere sind durch Artgenossen ersetzbar. Ersetzbarkeit halten wir beim | |
Menschen nicht für zulässig, weil jeder Mensch eine eigene Person mit einer | |
unwiederholbaren Individualität ist. Da die meisten Tiere | |
Augenblicksgeschöpfe ohne ausgeprägte Individualität sind, gilt für sie | |
kein striktes Tötungsverbot. | |
Warum wehren sich Tiere trotzdem gegen ihre Tötung? | |
Tun sie das? Schafe beispielsweise wehren sich interessanterweise kaum. Ich | |
habe mal an einer indischen Opferzeremonie teilgenommen. Es war alles voll | |
Blut, und die Schafe blieben völlig ruhig und knabberten an ihrem | |
Kräutlein. | |
Schweine widersetzen sich aber schon, oder? | |
Ja, Schweine geraten in Panik und könnten Todesangst empfinden. Dies sollte | |
bei Schlachtungen unbedingt vermieden werden. | |
Manche Tierrechtler argumentieren, Schweine seien intelligenter als ein | |
durchschnittliches 3-jähriges Kind. Darf man solche Tiere wirklich töten? | |
Menschen haben viel mehr Potenziale als Tiere. Ein Säugling entwickelt sich | |
zu einer Individualität und einer Persönlichkeit, wozu ein Schwein nicht in | |
der Lage ist. Es mag Tierarten geben, die uns in puncto Kommunikation und | |
Intelligenz so nahekommen, dass wir ihren Exemplaren einen Personenstatus | |
zuerkennen sollten. Ich würde auch ein Tötungsverbot für diese Tiere | |
verteidigen. Dies sind insbesondere Schimpansen, Gorillas und andere | |
Menschenaffen sowie Meeressäuger wie Wale und Delfine. Auch Elefanten und | |
Raubkatzen kommen in Betracht. Die Tierethik sollte Art für Art betrachten. | |
Sind solche Grenzziehungen nicht willkürlich? | |
Die absolute Gleichbehandlung aller Tiere ohne Ansehen der Artzugehörigkeit | |
– vom Schimpansen bis zur Maus – ist kontraintuitiv. Das heißt: Sie | |
widerspricht sehr stark unserer Alltagsmoral und auch unserem biologischen | |
Wissen. Dadurch haben wir ein Recht, gewisse Festlegungen und | |
Unterscheidungen zu treffen. Wir treffen ja auch andere Festlegungen, zum | |
Beispiel, dass man ohne Erlaubnis der Eltern mit 18 heiraten darf, und | |
nicht schon mit 14 und nicht erst mit 28. Solche Festlegungen sind für das | |
praktisch-moralische Leben unvermeidlich. Sie müssen nur sachgerecht sein. | |
Früher war auch die Sklaverei moralisch weitgehend akzeptiert. Das hat sich | |
halt geändert. | |
Es gibt Praktiken, die muss man verbieten, und Praktiken, die man graduell | |
so verbessern kann, dass sie moralisch akzeptabel werden. Sklaverei lässt | |
sich nicht graduell reformieren; die Nutztierhaltung vielleicht doch. | |
Müssten wir für ein absolutes Verbot, Tiere zu nutzen, auch in anderen | |
Weltregionen kämpfen? | |
Wenn Tiere Rechte haben, dann haben sie sie immer und überall. Dann müssen | |
sie auch die Mongolen, die Massai und die anderen nomadischen | |
Tierhaltervölker beachten. Oder wir sagen: Das ist eine Moral nur für | |
westlich urbanisierte Lebenswelten. | |
Diese Völker könnten ohne Tierhaltung nicht überleben – anders als wir in | |
den Industrieländern. | |
Man könnte auch sagen: Die Massai werden zwangsweise zu Ackerbauern | |
umgeschult, da ihre Lebensform unmoralisch ist. Das wäre extrem | |
paternalistisch. Die Inuit und Sami müssten wir dann mit Gemüsekonserven | |
ernähren. Aber das sind nicht so viele Menschen, und das würden wir auch | |
noch hinkriegen. Sie dürften nur kein Robben- und Rentierfleisch mehr | |
essen. Tierrechtler können auch die Jagd nicht billigen. | |
Welche Konsequenzen hätte ein Tierhaltungsverbot für die Tiere? | |
Das Problem bei den Tierrechtlern ist, dass sie sich zwar für die Rechte | |
der Tiere einsetzen. Aber die Umsetzung ihrer Forderungen würde darauf | |
hinauslaufen, dass es sehr viel weniger Schweine und Rinder gäbe. Wäre dies | |
im Sinne dieser Tiere? Dagegen sorgen die gemäßigten Tierschützer, die das | |
Leben der Nutztiere deutlich verbessern möchten, letztlich dafür, dass | |
viele Tiere existieren, um deren gutes Leben sich die Tierhalter kümmern | |
müssen. | |
Wie müssen Tiere gehalten werden, wenn wir sie essen wollen? | |
Den Nutztieren sind wir ein hohes Maß an Tierwohl, also ein tier- und | |
artgerechtes Leben schuldig. Wir müssen ihnen die sogenannten 5 Freiheiten | |
gewähren. Erstens: Freiheit von Hunger und Durst. Zweitens: Kontakt mit | |
Artgenossen. Drittens: Müssen sie den Tieren viel Bewegungsfreiheit geben. | |
Deshalb sollten Nutztiere mehr in der Landschaft und nicht nur in Ställen | |
gehalten werden. Viertens: Sind Menschen für tierische Gesundheit | |
verantwortlich. Und fünftens: Sollte ein Tier die Erfahrung der | |
Fortpflanzung machen können. | |
Erfüllt die Tierhaltung bei uns diese Bedingungen? | |
Vor allem Bewegungsfreiheit – noch dazu in einem halbwegs artgemäßen Umfeld | |
– wird in der industriellen Tierhaltung kaum gewährt. Die industrielle | |
Tierhaltung muss tiefgreifend reformiert werden. In ihrer jetzigen Form ist | |
sie weder nachhaltig noch tiergerecht. | |
Wo gibt es so eine akzeptable Tierhaltung? | |
Manche Bauern halten ihre Kühe ganzjährig auf der Weide. Es wäre auch für | |
den Naturschutz besser, wenn wir extensive Weidewirtschaft auf Flächen | |
machen würden, die für Ackerbau nicht besonders gut geeignet sind. Ich | |
wünsche mir viel mehr Tiere in der Landschaft: Rinder, Schafe, Ziegen. | |
Warum nicht wieder Waldweide mit Schweinen und Selbstversorgung mit | |
Kleinvieh? Bio ist ein guter Ansatz, doch auch da gibt es teilweise | |
Verbesserungsbedarf. | |
Aber selbst artgerecht gehaltene Tiere werden am Ende getötet. Wie muss das | |
geschehen, damit es moralisch vertretbar ist? | |
Die Tötung muss extrem schnell und schmerzlos erfolgen, am besten so, dass | |
das Tier davon praktisch nichts mitbekommt. Und es darf nicht zu Todesangst | |
kommen, anders als bei langen qualvollen Transporten zum Schlachthof. Wenn | |
ein Rind dagegen von der Weide weggeschossen wird, kriegt es von seinem Tod | |
praktisch nichts mit. Man könnte auch mit Betäubungen arbeiten. | |
Im Schlachthof werden Rindern meist mit einem Bolzenschussgerät Teile des | |
Gehirns zertrümmert, um sie zu betäuben. Wie beurteilen Sie das? | |
Wenn das in Fließbandarbeit gemacht werden muss, kommt es wahrscheinlich in | |
vielen Fällen dazu, dass die Tiere nicht sofort betäubt sind und dass sie | |
von den weiteren Schritten etwas mitbekommen. Das ist sehr grausam. | |
Fließbandtötung sollte unzulässig sein. | |
Kann man für Massenverzehr überhaupt genug Fleisch unter akzeptablen | |
Bedingungen produzieren? | |
Wohl kaum. Wir essen durchschnittlich viel zu viel Fleisch. Das Töten eines | |
Tieres ist kein Akt, den man auf die leichte Schulter nehmen oder | |
verniedlichen darf. Fleisch ist daher eine besondere und außergewöhnliche, | |
keine alltägliche Form der Nahrung. Man sollte nur anständig erzeugtes | |
Fleisch konsumieren; und dies eher selten. | |
Im Moment essen Männer in Deutschland im Schnitt rund 1.100 Gramm Fleisch | |
pro Woche. Müssen die Zahlen drastisch sinken? | |
Ich wäre in einem ersten Schritt schon zufrieden, wenn man die Ziele der | |
Deutschen Gesellschaft für Ernährung erreichen würde – also um die Hälfte | |
weniger essen als derzeit. Es wäre auch schon viel gewonnen, wenn die | |
Männer in Deutschland nur so viel verzehrten wie die Frauen, die ungefähr | |
nur die Hälfte zu sich nehmen. Von einigen kulturellen Praktiken sollte man | |
Abstand gewinnen: Wenn im Sommer tagtäglich billiges Schweinefleisch auf | |
die Grills geschmissen wird, sollte man sich davon schon aus | |
gesundheitlichen Gründen verabschieden. | |
Tragen Veganer wirklich dazu bei, dass weniger Tiere leiden? | |
Der Veganer und die Veganerin setzen ein Zeichen. Sie handeln nach ihren | |
moralischen, häufig tierrechtlichen Prinzipien. Dies ist ehrenwert auch | |
dann, wenn man diese Prinzipien nicht teilt, also Tieren kein Lebensrecht | |
zuerkennt. Aber da diese Prinzipien nicht gesellschaftsweit verbindlich | |
sind, ändert sich durch individuelles Verhalten nichts Grundlegendes an | |
dem, was in Schlachthöfen und in den Ställen passiert. Zielführender ist | |
es, gemeinsam mit Tierhaltern an runden Tischen Verbesserungen | |
auszuhandeln, wie dies in einigen Bundesländern geschieht. | |
Was empfehlen Sie Tierrechtlern? | |
Tierrechtler und gemäßigte Tierschützer sollten auf kurze und mittlere | |
Sicht eine starke Koalition bilden. Nur in den ganz langfristigen Zielen | |
unterscheiden sie sich. Aber die nächsten 20, 30 Jahre plädiere ich dafür: | |
Lasst uns mal die rein tierethischen Differenzen ein Stück weit | |
zurückstellen und kräftige Koalitionen schmieden, um dann für die gezähmten | |
Tiere politisch wirklich etwas herausholen zu können. Ein allererster | |
Schritt wäre die Einführung des vollen Mehrwertsteuersatzes auf alle | |
Fleischprodukte. | |
23 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
## TAGS | |
Massentierhaltung | |
Tierschutz | |
Fleischkonsum | |
Veganismus | |
Tierrechte | |
Hund | |
Vegetarismus | |
Landwirtschaft | |
Artgerechte Tierhaltung | |
Massentierhaltung | |
Nutztiere | |
Ernährung | |
Tierschutz | |
Ernährung | |
Bio-Fleisch | |
Rinder | |
Initiative Tierwohl | |
Massentierhaltung | |
Landwirtschaft | |
Legehennen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Hunde als Nahrungsmittel: Runter von der Speisekarte | |
Südkorea ist das einzige Land mit einer kommerziellen | |
Hundefleischindustrie. Zu den Olympischen Spielen soll nun Schluss damit | |
sein. | |
Philosophin über Nutztierhaltung: „Bio ist keine Alternative“ | |
Friederike Schmitz lehnt Öko-Tierhaltung ab: So oder so werde ein Wesen | |
getötet. Sie findet, dass man sich auch ohne Fleisch, Milch und Eier gut | |
ernähren kann. | |
Massentierhaltung in NRW: Die Schweinereien der Ministerin | |
Die neue Agrarministerin Christina Schulze Föcking steht unter Druck. In | |
ihrem Schweinemastbetrieb sollen schlimme Bedingungen geherrscht haben. | |
Grünen-Plan für artgerechte Tierhaltung: Die Kuh als Wahlkampfhelferin | |
Die Partei will die Haltung der Tiere künftig auf der Verpackung | |
kennzeichnen lassen. So will sie den Ausstieg aus der „Massentierhaltung“ | |
erreichen. | |
Fleischkonsum in Deutschland: Fiese Keime auf dem Teller | |
Eine Bundesbehörde warnt: Menschen können sich übers Essen mit | |
antibiotikaresistenten Tier-Krankheitserregern anstecken. | |
Lachszucht in Norwegen: Massensterben im Netzgehege | |
Norwegens Lachszucht ist die Nutztierhaltung mit der höchsten | |
Sterblichkeitsrate. Jeder fünfte Fisch verendet vor Schlachtreife. | |
Fünf Liebeserklärungen an Soulfood: Essen, das keine Fragen stellt | |
Die Welt wird immer komplizierter, heißt es. Doch Omas Kartoffeln, | |
tröstender Geflügelsalat und der Leberkäse aus der Kindheit bleiben. Sie | |
sind da, wie gute Freunde. | |
Überwachung in Frankreich: Filmen für den Tierschutz | |
In Frankreich sollen auf Schlachthöfen Kameras eingeführt werden. Deutsche | |
Tierschützer sehen das nicht nur positiv. | |
Trend zur Fertigkost in Deutschland: Warum selbst kochen? | |
Nicht einmal zwei von fünf Deutschen bereiten sich selbst täglich ein | |
warmes Essen zu. Immer mehr sagen: „Ich koche gar nicht.“ | |
Vorschriften zur ökologischen Tierhaltung: Tierschützer wollen härtere Bio-R… | |
Die EU soll vorschreiben, wie gesund Ökovieh sein muss, fordert der | |
Tierschutzbund. Bislang sind viele Ökotiere so krank wie konventionell | |
gehaltene. | |
Am liebsten schön weich: Unromantisch, aber tiergerecht | |
Große moderne Ställe ermöglichen eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung der Rinder. | |
Die mögen das, weil sie fast nie schlafen | |
Regierung plant Tierwohllabel: Glückliche Schweine überall | |
Landwirtschaftsminister Schmidt will ein freiwilliges staatliches | |
Tierwohllabel einführen. Der Bauernverband will dieses eng mit der | |
Initiative Tierwohl verzahnen. | |
Frische Luft für niedersächsische Schweine: Regen trifft auf Schweinehaut | |
Ein Osnabrücker Verein setzt sich für mehr Offenställe ein, in denen | |
Schweine frische Luft bekommen. Niedersächsische Bauern sehen dafür keinen | |
Markt. | |
Akzeptanz für Raubtiere im Norden: Wölfe reißen sich um Schafe | |
Die Zahl der Wölfe in Norddeutschland wächst, die der Angriffe auf | |
Nutztiere auch – aber nicht im gleichen Maße. Nabu sorgt sich um Ruf der | |
Tiere. | |
Veränderungen bei Tierschutz-Siegel: Ein Angebot für die Agrarindustrie | |
Bislang will kaum eine Legehennenfarm das Label „Für mehr Tierschutz“. | |
Deshalb lässt der Tierschutzbund nun deutlich größere Betriebe zu. |