# taz.de -- Urlaub in der Ägäis: „Entspannen, nicht ans Elend denken“ | |
> Die griechischen Inseln gelten als Fluchtorte. Das schreckt viele | |
> Urlauber ab. Auf Lesbos verbucht man einen Rückgang von 60 Prozent an | |
> Gästen. | |
Bild: Ankunft auf Lesbos | |
Heiß brennt die Sonne auf den kleinen Strand vor dem Hotel Votsala auf der | |
ostägäischen Insel Lesbos in Griechenland. Kinder spielen Ball im flachen | |
Wasser vor den blauen Liegestühlen, die unter den schattenspendenden Bäumen | |
stehen. Im Hintergrund glimmen die ockerfarbenen vier freistehenden | |
einstöckigen Gebäude mit insgesamt 42 Zimmern in der Hitze. Zwischen | |
Hotelanlage und Strand befindet sich die weite Terrasse des | |
familiengeführten Hotels. Bücher und Informationsbroschüren in | |
verschiedenen Sprachen liegen im Aufenthaltsraum für die internationalen | |
Gäste aus. Es herrscht eine gelassene Urlaubsatmosphäre. Die Rezeption des | |
Hotels Votsala schließt an den Aufenthaltsraum an. | |
Dort sitzt Jannis Troumbounis, der Eigentümer des Hotels, und beantwortet | |
E-Mails. Anfang der 90er Jahre hat Votsala das Hotel von seinem Vater | |
übernommen. „In diesem Jahr werde ich immer wieder gefragt, wie gefährlich | |
die Flüchtlingssituation hier ist“, so der 62-Jährige. Er lacht kurz auf, | |
zeigt auf den Strand. Wenn man nicht direkt in die zwei großen | |
Flüchtlingslager außerhalb der Ortschaften gehe, bekomme man nichts von den | |
etwa 3.400 Flüchtlinge und Migranten mit, die sich aktuell auf Lesbos | |
befinden. Dennoch sind die Buchungen in diesem Jahr stark | |
zurückgegangen.Heimweh nach Idomeni | |
„Wir müssen einen Rückgang von knapp 60 Prozent verbuchen“, seufzt er und | |
klickt energisch auf „senden“. Dann klappt er seinen Laptop zu, geht in den | |
Aufenthaltsraum zu einigen seiner Gäste, wechselt ein paar Worte mit ihnen. | |
Eigentlich hat der Tourismus in Griechenland in diesem Jahr um 7,6 Prozent | |
zugenommen und erreicht neue Rekorde – gut für das krisengeschüttelte Land, | |
denn eine der wichtigsten und größten Einnahmequellen ist hier der | |
Tourismus. Das gilt allerdings nicht für die Inseln nahe der türkischen | |
Grenze. | |
Tausende Menschen flüchteten im letzten Jahr über die Türkei hierher. Den | |
Inseln haftet nun das Image der Flüchtlingsinseln an. „Seit über zwanzig | |
Jahren kommen Flüchtlinge über die Türkei auf Lesbos an, um nach Europa zu | |
gelangen – wir sind das gewohnt“, erzählt Troumbounis, nachdem er einigen | |
Gästen die eine Tour ins nächstgelegene Dorf geplant haben, noch wertvolle | |
Tipps mitgegeben hat. Jährlich kamen etwa 20.000 Menschen pro Jahr auf | |
Lesbos an. „Wir haben hier schon immer geholfen“, sagt der Hotelbesitzer. | |
## Von der Hilfsbereitschaft zur Abwehr | |
Im letzten Sommer erreichten pro Tag allerdings mehr als 4.000 Menschen die | |
Insel, berichtet er weiter. „Das war nicht mehr zu bewältigen.“ Troumbounis | |
zeigt schmunzelnd auf eine Karikatur, die ihm ein Stammgast gezeichnet hat. | |
Darauf sind SpaziergängerInnen auf Lesbos zu sehen, die eine Straße | |
entlanglaufen. Ein Auto hält neben ihnen und bietet ihnen Wasser an. „Nein | |
danke, wir sind keine Flüchtlinge“, sagt einer der Spaziergänger. | |
Bis in den Oktober vergangenen Jahres hinein gab es fast nur einheimische | |
HelferInnen und kleine griechische Hilfsorganisationen hier, keine großen | |
NGOs, die kamen erst später, erinnert er sich. Troumbounis und seine Frau | |
Daphne trommelten daraufhin zahlreiche Gäste von Votsala zusammen. Sie | |
bildeten eine Gruppe, die die Menschen mit ihren Autos in die Stadt | |
brachte. „Wir haben uns zusammengesetzt, und ich habe einige Dinge erklärt, | |
zum Beispiel, dass der Transport der Flüchtlinge eigentlich illegal ist“, | |
erzählt er. Das Gesetz wurde nach ein paar Wochen geändert. Der Transport | |
war nun legal. | |
## Bricht die Insel zusammen? | |
Die Gäste vom letzten Jahr hätten sehr viel geholfen, sagt Troumbounis. | |
Auch Lebensmittelspenden habe man gemeinsam organisiert. Dann hält er kurz | |
inne, sucht nach Worten. Doch nun seien viele von ihnen ausgeblieben – sie | |
denken vermutlich, dass es in diesem Jahr wieder so ist, mutmaßt er. „Und | |
das, obwohl seit dem Deal zwischen der EU und der Türkei kaum noch | |
Flüchtlinge neu auf den griechischen Inseln ankommen.“ | |
„Lesbos – Die Insel der toten Flüchtlinge“ oder „Lesbos – die | |
Albtrauminsel“ – solche Zeitungstitel brächten zahlreiche Gäste dazu, in | |
diesem Jahr nicht mehr zu buchen, sagt Troumbounis. „Ich kann es ihnen | |
nicht verübeln. Sie wollen einfach entspannen und nicht ans Elend denken“, | |
sagt er. Viele würden schreiben , dass sie nicht direkt neben den | |
Flüchtlingen Urlaub machen könnten. | |
„Die Insel ist am Zusammenbrechen“, sagt Perikles Antoniou, Präsident der | |
Hotelvereinigung Lesbos. Allein im Mai verbuchte man hier einen | |
Besucherrückgang um 65 Prozent. Nur 4.217 Touristen kamen nach Lesbos, im | |
selben Monat letzten Jahres waren es noch 12.043. Dadurch habe die Insel | |
bereits jetzt rund 5 Millionen Euro verloren. | |
Zahlreiche Flüge wurden gestrichen: 38 Charterflüge pro Monat anstatt 85 | |
fliegen die Insel in diesem Jahr an. Besonders die Sommersaison ist wichtig | |
für die HotelbesitzerInnen. Von den Umsätzen leben sie dann auch im Winter. | |
Das gilt auch für die Familie Troumbounis. „Wir arbeiten von April bis | |
Oktober durch“, sagt Troumbounis. „Im Winter werden Ausbesserungen am Hotel | |
vorgenommen – Fenster und Türen ausgetauscht, die Zimmer neu gestrichen“, | |
erklärt er. Seit letztem Jahr könne man das nun nicht mehr tun. Das Paar | |
habe schon geahnt, was in diesem Jahr passieren würde, und kein Geld | |
ausgegeben. Jeder auf Lesbos versuche nun alles, um sich über dieses Jahr | |
hinwegzuretten. | |
## Die Hoffnung stirbt zuletzt | |
„Ich bin sehr enttäuscht darüber, dass uns unsere potenziellen Gäste | |
verschmähen“, sagt auch Spyros Galinos, Bürgermeister von Lesbos. Er habe | |
das nicht erwartet. Man habe doch gesehen, was die Einheimischen in den | |
letzten Monaten geleistet hätten, sagt Galianos. Es gebe aktuell gar kein | |
Problem, die Touristen wie sonst auch zu beherbergen – „alles ist sauber | |
und organisiert. Außerdem wurde durch die Flüchtlingskrise nur die | |
Gastfreundschaft der Menschen der Insel unterstrichen“, sagt Galianos. „Man | |
sagt ja, die Hoffnung stirbt zuletzt. Und nun hoffe ich auf die | |
Feinfühligkeit und auch auf das Verantwortungsbewusstsein der Touristen – | |
man kann uns doch nicht doppelt bestrafen.“ | |
Die Einsparungen der Hotelbesitzer ziehen Kreise. Sie lasten auf den | |
Schultern der ArbeiterInnen und Saisonkräfte. Auch bei Troumbouris. Der | |
Monatslohn seiner MitarbeiterInnen wurde von 800 Euro auf 600 Euro gekürzt. | |
70 Prozent Buchungsrückgang! Troumbouris seufzt. Denn das Hotelkonzept | |
lautet: ausschließlich Familien mit kleinen Kindern. Diese bekommen hier | |
eine tägliche Kinderbetreuung. Doch wer wolle mit seinen Kindern schon auf | |
die sogenannte Todesinsel. Troumbounis zuckt mit den Schultern. | |
Erst Ende Juli kämen neue Gäste – einen Monat stehen die Zimmer leer. Einer | |
der Gäste dort ist Anwalt Martin aus Wien. Seinen Nachnamen nennt Martin | |
nicht – er sei im Urlaub. Der 49-Jährige ist an die Rezeption gekommen, um | |
sich ein paar Insiderinformationen über das Dorf zu holen, die der | |
Hotelbesitzer gerne preisgibt. Er hat mit seiner Freundin und ihrem kleinen | |
Sohn eines der Apartments gebucht. | |
Ja, anfangs habe auch er sich gefragt, ob die Situation auf Lesbos | |
kritisch sei. Er strahlt. Nein, es sei ganz normal hier, sagt Martin. | |
Troumbounis setzt sich wieder an seinen Schreibtisch an der Rezeption und | |
klappt den Laptop auf: „Ich hoffe, das Lesbos nicht mehrmit so reißerischen | |
Schlazeilen auf den Titelseiten der internationalen Presse erscheint“. | |
2 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Theodora Mavropoulos | |
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