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# taz.de -- Winter auf der griechischen Insel: Rhodos Winterblues
> Der Treffpunkt der Ausländer im Winter ist die legendäre Rock-Bar „Walk
> Inn“. Überhaupt kommt Rhodos erst im Winter zu sich.
Bild: Auch den Sonnenuntergang, hier an der Westküste von Rhodos, hat man im W…
Es ist ruhig, es ist sogar tiefenentspannt ruhig. Wenn sich Anfang Dezember
nach einem heftigen Regentag die Wolken langsam wieder verzogen haben, hört
man bei einem kleinen Sonnenbad im Garten die Geräusche der menschlichen
Zivilisation nur noch ganz gedämpft, wie aus weiter Ferne. Unser Häuschen
liegt an einer winzigen Gasse mitten in der historischen Altstadt und ist
für Fremde praktisch nicht zu finden. Dennoch sind es nur wenige Schritte,
bis man zu einem Sträßchen kommt, in dem sich im Sommer ein Touristenshop
an den anderen reiht.
Jetzt sind alle Rollläden geschlossen und werden nur noch an den Tagen
geöffnet, wenn im Hafen eines der großen Kreuzfahrtschiffe angelegt hat,
die Rhodos auch im Winter anlaufen. Für wenige Stunden verwandelt sich dann
ein Teil der Altstadt wieder in eine historische Kulisse für internationale
Shoppingkunden, doch der Spuk ist so schnell vorbei, wie er begonnen hat.
Danach sind die wenigen Winterbewohner der mittelalterlichen Stadt wieder
unter sich.
Bewohner, die man im Winter überhaupt erst richtig wahrnimmt. Ärmere
Rhodier, wie das Ehepaar Fanos und Michaelis, die in einem etwas
renovierungsbedürftigen Haus uns gegenüber wohnen, oder die Witwe nebenan
und der Tischler Janos, der in einer Quergasse wohnt und jetzt, wo es kaum
noch etwas zu tun gibt, den halben Tag lang auf den Stufen seiner Werkstatt
sitzt. Die Ausländer, die noch da sind werden gegrüßt und schon bald als
Teil der Wintergemeinschaft akzeptiert.
## Der Fremde wird eingemeindet
Als wir Mitte November, nachdem, die meisten Touristen längst verschwunden
sind, immer noch da sind, werden wir langsam in die Nachbarschaft
eingemeindet. Die Witwe von nebenan kommt mit Kuchen und Michaelis von
gegenüber hilft uns, unsere Markise vor dem Haus mit einer Plastikplane
abzudecken, damit wir auch bei den gelegentlichen Herbst- und
Winterschauern noch draußen sitzen können. Es ist, als käme der Ort erst
jetzt zu sich selbst.
Die mehrere Kilometer lange gigantische Festungsmauer, die die Ordensritter
der Johanniter im 14. und 15. Jahrhundert um die damalige Stadt anlegen
ließen, schützt heute zwar nicht mehr vor Feinden, hält dafür aber gleich
den ganzen Lärm der übrigen Welt draußen. Bei einem Sparziergang in der
frühen Dämmerung, erinnern nur die elektrischen Straßenlampen in den
ausgestorbenen Gassen daran, dass das Mittelalter auch in der Altstadt von
Rhodos vorbei ist.
Die ganz überwiegende Zahl der rund 80.000 Bewohner von Rhodos-Stadt lebt
außerhalb der alten Stadtmauern. Das hat praktische und historische Gründe.
Die praktischen Gründe sind, dass Autos kaum durch die engen Gassen der
Altstadt fahren können und die mittelalterlichen Gemäuer im Innern oft
recht dunkel und schwer zu heizen sind. Der moderne Grieche zieht moderne
Betonhäuser vor. Dazu kommt, dass die heutige Altstadt seit Jahrhunderten
der Sitz ausländischer Invasoren war und die Autochthonen nur einen
eingeschränkten Zugang zu ihr hatten.
Erst bevölkerten die fränkischen Kreuzritter die Stadt, dann die Osmanen,
die den gesamten Dodekanes von Rhodos aus verwalteten, und zum Schluss
kamen noch die Italiener, bevor die Insel erst im Jahr 1947 wieder
griechisch wurde. Griechen durften in all diesen Jahrhunderten innerhalb
der Mauern zwar arbeiten, aber nicht siedeln. Sie gründeten deshalb die
Neustadt Mandraki, die sich heute von der Nordspitze der Insel nach Süden
erstreckt.
## Viele strandeten hier
Das einst stolze Rhodos, dessen Bewohner im dritten Jahrhundert vor unserer
Zeit nach einem glänzenden Sieg gegen einen der Diadochen Alexanders des
Großen den berühmten Koloss von Rhodos errichteten, wurde später zuerst
römische Kolonie und nach Gründung des Oströmischen Reiches ein
vergessener, immer wieder überfallener Außenposten von Byzanz.
Das änderte sich, als Anfang des 14. Jahrhunderts die Ordensritter der
Johanniter gemeinsam mit genuesischen Piraten die byzantinische Besatzung
von Rhodos niedermachten und mit dem Segen des Papstes Rhodos zu einem
katholischen Bollwerk im östlichen Mittelmeer ausbauten. Nach dem Fall von
Jerusalem und Akko 1298 waren die Kreuzritter zunächst nach Zypern
ausgewichen, suchten aber schon bald nach einer eigenen Basis. 1309 war
Rhodos dann in der Hand der Johanniter, die sich dort über 200 Jahre
festsetzten, bis Sultan Süleyman der Prächtige 1522 die Insel und den
Stützpunkt für das Osmanische Reich eroberte.
Die Osmanen blieben fast 500 Jahre, bis das Reich am Ende des Ersten
Weltkrieges unterging und Italien als eine der Siegermächte sich Rhodos
unter den Nagel riss. Immerhin dauerte es bis nach dem Ende des Zweiten
Weltkriegs, nämlich bis 1947, bis Rhodos und der gesamte Dodekanes endlich
wieder zum griechischen Mutterland zurückkam. Zwischendurch gab es durch
Wehrmacht und SS noch ein blutiges Intermezzo auf der Sonneninsel.
Noch 1944 deportierte die SS rund 1.500 jüdische Rhodier nach Auschwitz und
vernichtete damit die gesamte jüdische Gemeinde der Insel. Auf einem Platz
in dem ehemals jüdischen Quartier der Altstadt erinnert heute ein Mahnmal
an diese Barbarei. Darüber hinaus haben die Deutschen auf Rhodos zum Glück
keine Spuren hinterlassen. Anders als in Athen oder Saloniki hatten die
deutschen Besatzer auf Rhodos keine Zeit, sich zu verewigen. Deshalb ist in
Rhodos ein architektonischer und kultureller Mix erhalten geblieben, der
weltweit seinesgleichen sucht.
Nähert man sich mit dem Schiff der Insel, was ungleich spektakulärer ist,
als mit dem Flugzeug dort zu landen, schimmern schon von Ferne die
Bollwerke der Kreuzritter im Sonnendunst. Der Palast des Großmeisters, ein
Ausbund gotischer Architektur, ragt über die Zinnen, was allein schon ein
ungewöhnlicher Anblick im Mittelmeer ist. Neben den Kirchtürmen der
gotischen Altstadt strecken aber auch noch etliche Moscheen ihre Minarette
in den Himmel, ebenfalls bereits deutlich bei der Einfahrt in den Hafen zu
erkennen.
Die gepflegten Repräsentationsbauten am Hafen sind dann aber weder
fränkisch noch osmanisch, sondern vollendete italienische
Kolonialarchitektur, wie sie Mussolini in den von Italien eroberten
Gebieten in Äthiopien, Eritrea, Libyen und eben auf Rhodos errichten ließ.
## Berühmt für die Winterschwimmer
Jetzt im Winter lässt sich das alles, ungestört vom Betrieb der Restaurants
und Shops, der die Altstadt im Sommer in einen touristischen
Erlebnisparcours verwandelt, genießen. Plötzlich entdeckt man neben der
historischen Freitreppe am Platz des Hippokrates, die im Sommer einer der
beliebtesten Plätze skandinavischer Teenager ist, ein offenes Tor, das in
eine wunderbare Stadtbibliothek führt. Am oberen Ende der Sokratesstraße,
der Einkaufsmeile von Rhodos, liegt die muslimische Bibliothek gegenüber
der Süleyman-Moschee, die allerdings für Besucher geschlossen ist.
Dafür ist die Ibrahim-Moschee, etwa 200 Meter von der Stadtbibliothek
entfernt, für Gläubige und andere Besucher geöffnet. Hier trifft sich jeden
Freitag die muslimische Gemeinde von Rhodos zum Gebet, und hier feiern die
letzten Osmanen, wie sich die Türken auf Rhodos nennen, einige Male im Jahr
das Beschneidungsfest für ihren männlichen Nachwuchs.
Auch dass Türken oder Osmanen auf Rhodos leben, ist etwas Besonderes in der
Geschichte. Während alle Muslime beim türkisch-griechischen
Bevölkerungsaustausch 1922 die Ägäis-Inseln verlassen mussten – im Gegenzug
mussten die orthodoxen Griechen ihre Heimat auf dem türkischen Festland
verlassen –, konnten die Türken auf Rhodos bleiben, weil die Insel ja
damals zu Italien gehörte.
Süleyman, der unweit der Moschee einen Shop betreibt, kommt aus einer
Familie, die schon seit Jahrhunderten auf Rhodos lebt. Obwohl viele zur
türkischen Küste abgewandert sind, will er bleiben. „Es geht in den letzten
Jahren wieder ganz gut mit den Griechen“, erzählt er. „Je besser sich beide
Länder vertragen, umso besser für uns.“ Tatsächlich hat sich die
Stadtverwaltung der sichtbarsten Hinterlassenschaften der Osmanen erbarmt
und die Gebäude auf dem muslimischen Friedhof restauriert.
Am Ende des parkähnlichen Geländes, nur hundert Meter vom Strand entfernt,
steht noch das Haus, in dem der berühmteste britische Besatzungsoffizier
(die Briten waren von 1945 bis 1947 auf Rhodos), Laurence Durrell, das Buch
über Rhodos („Leuchtende Orangen“) als Teil seiner Griechenland-Trilogie
geschrieben hat.
Überhaupt der Strand. Rhodos ist berühmt für seine Winterschwimmer. Bis
Ende Dezember, Mitte Januar liegt die Wassertemperatur noch bei 18 bis 20
Grad. Auch wenn die Lufttemperatur manchmal schon darunter liegt, ziehen
die Winterschwimmer jeden Tag regelmäßig ihre Bahnen. Die Stadtstrände
ziehen sich von der Ostseite um die Nordspitze der Insel herum bis weit
nach Westen. Weil der Wind fast immer aus Nordwest bläst, ist der östliche
Elli Beach der windabgewandte geschützte Strand, wo auch das große
Spielcasino von Rhodos steht. Jetzt, wo die Sonnenliegen längst weggeräumt
und die Strandbars geschlossen sind, tummeln sich die Rhodier hier an
sonnigen Tagen zuhauf.
Der Treffpunkt der Ausländer ist im Winter die legendäre Rock-Bar Walk Inn.
Was im Sommer wie eine Kneipe unter vielen wirkt, entpuppt sich im Winter
als Knotenpunkt für Aussteiger und Ex-Pads, die begeistert mitgehen, wenn
ein langhaariger Barde erst eine Coverversion von Bob Dylans bekanntesten
Songs anstimmt und anschließend eine Eigenkomposition eines griechischen
Folk-Songs hinterherschiebt.
Selbst wenn draußen Winterregen die Nacht verfinstert, ist Rhodos doch „one
oft he best places to be“, wie Willi aus Wuppertal nicht müde wird zu
betonen. „Trotz sieben Jahren Krise sind die Griechen meist noch immer viel
relaxter als die reichen Deutschen.“ Sagt es und verschwindet in den Gassen
der alten Stadt
25 Dec 2018
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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