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# taz.de -- Wahl in der Türkei: Griechenlands Angst vorm Nachbarn
> Die Bewohner griechischer Inseln vor der türkischen Küste fürchten neue
> Spannungen. Die türkische Minderheit setzt auf Erdoğans Herausforderer
> İnce.
Bild: Muharrem Ince (2. v.c r.) beim Gebet auf dem muslimischen Friedhof der gr…
Rhodos taz | Es waren geradezu idyllische Bilder, als der
Präsidentschaftskandidat der Opposition, Muharrem İnce, in der vergangenen
Woche zu einem überraschenden Besuch nach Griechenland reiste. Eine
Dorfversammlung unter der großen Platane, Männer und Frauen im Kreis um den
Redner, der von seiner Familie sprach, die früher einmal in der Gegend
gelebt hatte.
İnces Besuch in Komotini, einem der Dörfer im Norden Griechenlands, in dem
hauptsächlich Angehörige der rund 150.000 Mitglieder zählenden türkischen
Minderheit leben, war ein erster Versuch, die zuletzt wieder stark
gestiegenen Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland etwas
abzubauen.
Trotz massiver Proteste der konservativen Opposition hatte die Regierung
von Alexis Tsipras dem Kurzbesuch İnces zugestimmt, und der gab sich Mühe,
den Erwartungen zu entsprechen. Auf Fragen von griechischen Journalisten,
warum er gekommen sei, sagte er, er wolle Freunde und Verwandte besuchen.
Angesprochen auf die aktuellen Probleme zwischen den beiden Ländern, gab er
sich zurückhaltend. Sein Credo: miteinander reden statt streiten, davon
würden beide Seiten profitieren.
In der griechischen Öffentlichkeit schwankt derzeit die Stimmung gegenüber
dem großen Nachbarn im Osten zwischen Empörung und der Angst vor neuen
Zwischenfällen. Seit Anfang März häufen sich wieder die Zusammenstöße.
## Als Geiseln gehalten
Es begann damit, dass zwei griechische Grenzsoldaten Anfang März, nachdem
sie versehentlich auf die türkische Seite der Grenze geraten waren,
festgenommen wurden und seitdem im Hochsicherheitsgefängnis in Edirne
sitzen. Sie werden als Geiseln gehalten, für deren Freilassung die
türkische Regierung die Auslieferung von acht türkischen Offizieren
erzwingen will, die nach dem Putschversuch im Juli 2016 nach Griechenland
geflohen waren und dort Asyl erhalten haben.
In der Folge häuften sich Zwischenfälle auf dem Wasser und in der Luft,
wobei ein griechischer Kampfpilot zu Tode kam, als er nach einem
simulierten Luftkampf mit türkischen Kampfflugzeugen auf dem Rückweg
abstürzte.
In Griechenland ist die Angst vor dem großen Nachbarn zurück. Das gilt
insbesondere auf den Inseln, die nahe vor der türkischen Küste liegen. Auf
Symi, einer kleinen Insel in der Süd- Ägäis, unweit von Rhodos, sind die
Leute alarmiert. Sie haben Angst, dass der Tourismus nach den
Flüchtlingsdramen in der Ägäis 2015 jetzt erneut einbrechen könnte.
„Erdoğan verunsichert doch die Touristen“, sagt eine Wirtin. „Die kommen
aus Angst vor weiteren türkischen Provokationen nicht mehr.“
Ähnliche Einschätzungen sind in jedem Café zu hören. Nun liegt Symi nur
einen Katzensprung vom türkischen Festland entfernt, doch die Angst vor dem
großen Nachbarn ist auf allen Inseln entlang der türkischen Küste
Gesprächsthema.
## Völlig verrückt
„Erdoğan ist völlig verrückt geworden“, meint Dimitri, ein Hotelbesitzer
auf Rhodos. Auch er hat Angst, dass die Spannungen zwischen Griechenland
und der Türkei die ganze Saison versauen könnten. In den letzten Wochen war
der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan im griechischen Fernsehen fast
so häufig zu sehen wie in der Türkei.
Was er sagte, versetzte die meisten Griechen in Schrecken. Einmal stellte
er den Friedensvertrag von Lausanne infrage und macht indirekt Ansprüche
auf diverse küstennahe Inseln geltend. Dann schickte er Kriegsschiffe, um
in den Gewässern um Zypern Bohrungen nach neuen Erdgasfeldern zu
verhindern.
Als Erdoğan verkündete, die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen auf den
24. Juni vorzuziehen, gab es in den griechischen Medien die Befürchtung,
dass der türkische Präsident den Konflikt mit Griechenland eskalieren
würde, um nationalistische Wähler zu mobilisieren.
Damit rückt automatisch die türkische Minderheit in den Blick. Die rund
150.000 ethnischen Türken in Griechenland sind fast ausnahmslos griechische
Staatsbürger. Das zeigte sich bei der Abstimmung über die
Verfassungsänderung im April, als nur rund 800 Türken in Griechenland
abstimmten.
## Bitterer Konflikt
Für die türkische Minderheit ist der Konflikt besonders bitter. Lange
hatten sie unter der gegenseitigen Abneigung der beiden Länder gelitten,
erst in den letzten Jahren konnten sie von der 1999 begonnenen Entspannung
profitieren. „Erdoğan macht jetzt alles wieder kaputt“, klagt eine junge
Frau in Rhodos. „Vielleicht können wir bald nicht mehr hin- und herfahren
und die Griechen könnten zu uns wieder auf Distanz gehen.“
Viele von ihnen hoffen jetzt auf Muharrem İnce. Als der in Komotini gefragt
wurde, was er für die gefangenen griechischen Soldaten tun würde, sagte er:
„Wenn ich Präsident werde, wird die Justiz wieder unabhängig entscheiden
können.“
4 Jun 2018
## AUTOREN
Wolf Wittenfeld
## TAGS
Griechenland
Türken
Präsidentschaftswahl in der Türkei
Opposition in der Türkei
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