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# taz.de -- „Journeys #3“-Album von Jim Kroft: Singen und fliehen
> Der schottische Künstler Jim Kroft war mehrere Wochen auf Lesbos und in
> Idomeni unterwegs. Davon erzählt er auf seinem neuen Album.
Bild: Der schottische Songwriter Jim Kroft
Jim Kroft ist wie ein Ballen Stroh, in den man ein Streichholz wirft.
Zumindest wirkt es so, wenn der 37-Jährige über sein Album „Journeys #3“
und das ihm zugrunde liegende Projekt spricht. Die Sätze purzeln nur so aus
ihm heraus, zu jedem Stichwort beschreibt er Situationen, hat Ideen und tut
Meinungen kund. Er hat viel erlebt.
Je drei Wochen verbrachte der in Schottland geborene Wahlberliner Anfang
des Jahres auf der Insel Lesbos und in dem griechisch-mazedonischen
Grenzort Idomeni. Genau zu jener Zeit, als sich der Zaun zwischen
Griechenland und Makedonien schloss und sich die Zahl der dort strandenden
Menschen binnen kurzer Zeit vervielfachte.
Der Musiker und Filmemacher war im Epizentrum der europäischen
Flüchtlingsfrage angekommen, die er bis dahin vor dem Fernseher verfolgt
hatte. „Ich habe mich hilflos gefühlt und mich gefragt, wie ich meinen
Beitrag leisten könnte“, begründet er seine Reise. Vorherige Trips haben
ihn nach China, Ostafrika und Russland geführt. Stets hatte er im Vorfeld
einige Konzerte organisiert, diesmal nicht.
Er wolle keine Musik für Leute spielen, die andere Sorgen haben. Zunächst
habe er nicht einmal seine Gitarre mitnehmen wollen, erst sein Begleiter,
der Fotograf Bastian Fischer, habe ihn dazu überredet. Gemeinsam haben sie
ihre Eindrücke festgehalten, einige von ihnen sind bereits auf Jim Krofts
Homepage veröffentlicht.
Kroft geht auf sein Gegenüber ein, auch im Gespräch mit Journalisten. Sein
Interesse wirkt nicht gestellt. Ähnlich wirken auch die Videos, die ihn mit
Helfern und Geflüchteten zeigen. Der Sohn einer Journalistin spricht mit
ihnen, lacht mit ihnen, reflektiert seine Erlebnisse. „Ich habe viele
verschiedene Menschen kennengelernt, manche sind Freunde geworden“, erzählt
der Musiker.
Als eindrucksvollstes Erlebnis schildert Kroft die Begegnung mit Sara,
einem Flüchtlingsmädchen, das eines Nachts mit seiner Familie an der
griechischen Küste ankommt, durch gefroren und entkräftet. Jim Kroft
verlässt seinen Platz hinter der Kamera, eilt zu Hilfe, wärmt das Mädchen
und zieht ihr warme Kleider an. Sie überlebt, während wenige Meter weiter
ein Kind in den Armen seiner Eltern stirbt.
Er hat diese Geschichte schon oft erzählt, trotzdem schaudert es ihn immer
noch, wenn er darüber berichtet. Diese Begegnung wird zur Schlüsselszene
der Reise. „Sie hat mich erkennen lassen, wie privilegiert ich mit meiner
Kunst bin und mich motiviert Songs über meine Erlebnisse zu komponieren.“
Ein nach dem Mädchen benannter Song ist auch der Auftakt des Albums.
## Crowdfunding
Zusätzlich hat er eine Crowdfunding-Kampagne namens „Boat for Sara“
gestartet. Knapp 20.000 Euro sind so für ein Rettungsboot zusammengekommen,
das Hilfskräften der Organisation „Proem-Aid“ die Arbeit vor der Küste von
Lesbos erleichtern soll. Zentraler Teil der Kampagne war „Journeys #3“.
Die meisten Spender haben mit ihrem Beitrag ein Exemplar seines Albums
vorbestellt. Sein Ziel, mit der Musik einen Beitrag zu leisten, kann damit
als erfüllt angesehen werden.
Das auf insgesamt sechs Teile angelegte Projekt „Journeys“ ist für Kroft
eine Art künstlerischer Befreiungsschlag. Nach einem geplatzten Deal mit
dem Majorlabel EMI ändert seine künstlerische Arbeit und bezieht seither
aus seinen Reisen neue Inspirationen.
„Ich wollte mehr veröffentlichen“, sagt er. Bis jetzt sind zwei EPs und ein
Album erschienen, „Journeys #1“ bis „Journeys #3“. Das aktuelle Album h…
Jim Kroft innerhalb von 48 Stunden aufgenommen, direkt nach seiner Rückkehr
nach Berlin, ohne Budget. „Das macht die Sache spontan. „Journeys“ ist ke…
wasserdichtes Kunstprojekt“, erklärt Kroft.
Dennoch klingt „Journeys #3“ routiniert – es sind elf Songs in der Grauzo…
zwischen folkigen Pop und Rock. In seinen Texten hält Kroft Situationen und
Gefühle während seiner Reise schnappschussartig fest. Obwohl er die
Umstände in Europa und den Umgang mit den Geflüchteten beklagt, ist der
Tenor der Songs hoffnungsvoll. „We’ll cross that bridge together“, heißt…
beispielsweise in „Shadowlands“ – er erhebt seine Stimme für ein
friedliches Miteinander, genau so, wie es Jim Kroft in Idomeni erlebt hat.
23 Sep 2016
## AUTOREN
Ronny Müller
## TAGS
Idomeni
Lesbos
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Flucht
Neues Album
Berghain
Singer-Songwriter
Schwerpunkt Flucht
Country
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Reiseland Griechenland
Folkmusik
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