# taz.de -- Neues Album von Ryley Walker: Stilvolles Danebenbenehmen | |
> Komplizierte Musik für einfache Menschen: Der US-Songwriter Ryley Walker | |
> jazzt und folkt auf „Golden Sings That Have Been Sung“. | |
Bild: Folkie mit Punkroots: Riley Walker | |
Vierzig Minuten für acht Songs, in den Siebzigern war das die | |
Durchschnittslänge klassischer Rockalben. Die ausgedehnten | |
Instrumentalparts beanspruchten Platz für Streicherpassagen oder Drumsolo. | |
Letzteres verkneift sich Ryley Walker generell, schließlich ist er kein | |
Rocker, sondern ein Folkie, mit Jazz-Attitüde. | |
„Primrose Green“ hieß das Werk des US-Singer-Songwriters, mit dem er 2015 | |
den Durchbruch schaffte. Sein Albumtitel weckte Assoziationen an den | |
Hippie-Traum von der Wiese voller Primeln. Das Cover zeigt Walker in | |
Doppelbelichtungsoptik, umrankt von Grün wie einst der Ire Van Morrison auf | |
seinem Signalwerk „Astral Weeks“. | |
Ein Album, das wohl in Walkers Regal steht, genau wie solche von Tim | |
Buckley, Roy Harper und vor allem John Martyn. Der 2009 verstorbene | |
britische Sänger, der seine Gitarre virtuos wie kein anderer mit Effekten | |
verfremdete, veröffentlichte 1973 mit „Solid Air“ das bis heute gültige | |
Meisterstück an der Schnittstelle von Jazz und Folk. | |
Walkers Song „Sweet Satisfaction“ beginnt beinahe so wie Martyns „Don’t | |
Want To Know“. Und auf seiner England-Tour begleitete Walker den | |
Kontrabassisten Danny Thompson, Gründer von The Pentangle und langjähriger | |
Sidekick von Martyn. | |
Nun veröffentlicht Ryley Walker ein neues Album namens „Golden Sings That | |
Have Been Sung“: Achtung, es hat acht Songs und sie dauern eben 41 Minuten. | |
Das knallbunte Cover verweist mit seiner spacigen Mondphasen-Illustration | |
eher auf Halluzinogene als auf Blumen. | |
„Goldene“ britische Folkassoziationen gibt es nach wie vor, aber nun zeigt | |
sich auch der Einfluss von Walkers Heimatstadt: „Golden Sings . . .“ sei | |
„the most Chicago record I’ve ever made“, sagte er. Und es stimmt, sein | |
Album schlägt eine Brücke vom pastoralem Folkrock made in England hin zum | |
„Windy City“-typischen, instrumentalen Postrock und Jazz, wie ihn die | |
Chicagoer Bands Tortoise und The Sea and Cake praktizieren. | |
Für „Golden Sings . . .“ standen statt freier Jamsessions klar | |
strukturierte Aufnahmen mit einer anderen wichtigen Chicagoer Figur an. | |
LeRoy Bach, früher Teil der Band Five Style, produzierte das Album. Bach | |
hat als Multiinstrumentalist maßgeblich den Sound der Band Wilco veredelt. | |
Als Produzent hat er nun vor allem Ryley Walkers Gesang hervorgehoben. | |
Walker singt nun weniger gepresst als früher, das ist cool, denn der | |
27-Jährige, der seinen Stil einmal als „komplizierte Musik für einfache | |
Menschen“ bezeichnete, ist in erster Linie Gitarrist. Das Singen schien ihm | |
immer etwas lästig. | |
## Durch Chicago stromern | |
Vorbei, wie das fabelhafte Stück „The Roundabout“ beweist. Darin spielt | |
Walkers Akustikgitarre ein repetitives, beinahe monotones Riff und baut | |
einen warmen, optimistischen Sound auf, der bald von E-Gitarre und Drums | |
verstärkt wird. | |
Das Video zum Song zeigt, wie Walker am Unabhängigkeitstag durch sein | |
Viertel in Chicago stromert, eine Bierdose mit dem Taschenmesser öffnend. | |
Er mag ein Folkie sein, aber seine Punk-Wurzeln vergisst er nicht. Hatte | |
„Primrose Green“ noch rockistische Rohheit, so ist „Golden Sings . . .“ | |
fokussierter, geprägt von dem barocken Folk eines Jim O’Rourke. | |
Zuweilen reduziert Walker die Geschwindigkeit bis zur tranceartigen | |
Zeitlupe („Sullen Mind“), nur um am Ende doch noch in wirbelnden E-Gitarren | |
zu enden. Denn der Sänger verspricht: „I can still cut loose on a weekday | |
night“. Ein Verweis auf alte Punk-Tage? Ohne Zweifel wird sich Ryley Walker | |
auch mal unter der Woche danebenbenehmen. Aber stilvoll, mit Jazz-Attitüde. | |
10 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Jan Paersch | |
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