| # taz.de -- Neues Album von Van Morrison: Der Song, der dich singt | |
| > Ein fortwährendes Umkreisen der Musik des Mythischen: Van Morrison macht | |
| > mit seinem Album „Keep Me Singing“ alles richtig – wie immer. | |
| Bild: Die Stimme reißt alles raus. Van Morrison bei einem Konzert in Wien | |
| Hier singt der Mann und kann nicht anders. Van the Man. Der Belfast-Cowboy. | |
| Der Grummeligste unter den Grummeligen, der Stimmgewaltigste unter den | |
| Stimmgewaltigen, der Beseelteste unter den Beseelten. Getauft auf den Namen | |
| George Ivan Morrison, Sohn eines Platten sammelnden Werftarbeiters. | |
| Geistesverwandt mit fahrenden Bluessängern und trinkfreudigen irischen | |
| Dichtern. | |
| In seinem „yarragh“ – das ist das, was William Butler Yeats einmal als | |
| eindringlichen und gequälten Laut beschrieben hat, den man in keltischen | |
| Songs finden könne, ein Schrei, in den sich Trauer und Klage eingeschrieben | |
| hätten – klingen auch die tausend Geschichten, Shouts, Stimmen mit, die | |
| durch Morrison hindurchgegangen sind. Von Ray Charles über Muddy Waters bis | |
| zu Bobby Bland. Es ist ein wunderbarer Schauder, ein Durchgeschüttelt- und | |
| Durchgerütteltwerden, eine Epiphanie zuweilen. Die entscheidende Frage ist, | |
| sagte Morrison mal, ob der Song dich singt. | |
| Man höre sich nur die Live-Aufnahmen aus dem Jahr 1973 an, das Doppelalbum | |
| „It’s Too Late To Stop Now“, gerade neu erschienen und nun um drei weitere | |
| CDs und eine DVD ergänzt, unbändige Energie und Geschichtsbewusstsein, | |
| Verrücktheit und Selbstbewusstsein stecken in diesen Konzerten. Man wäre | |
| gern dabei gewesen, damals, vor mehr als 40 Jahren in Kalifornien. | |
| Immerhin: Man kann ja immer noch dabei sein. Diesen Sommer trat der | |
| 71-Jährige wieder in Deutschland auf, sich dabei hermetisch gerierend wie | |
| eh und je. | |
| Wahrscheinlich gibt es nur wenige Menschen auf diesem Planeten, die ihn mal | |
| lachen oder wenigstens lächeln gesehen haben; man weiß auch nicht so recht, | |
| was es bedeutet, wenn er unter seiner Hutkrempe die Stirn runzelt – man | |
| möchte dann jedenfalls nicht in seiner Nähe und schon gar nicht einer | |
| seiner Mitmusiker sein. Es ist faszinierend, wie nah einem diese Musik, | |
| diese einzigartig alchimistische Mischung aus Blues, Jazz und Soul, geht, | |
| wie sie einen berührt, irgendwo da, wo man auch anfällig ist fürs | |
| Transzendente. Und wie fern dabei dieser Klotz von einem Mann wirkt. Fern | |
| und einschüchternd. | |
| ## Zurück zum alten Morrison | |
| Nun müssen Künstler zum Glück nicht zum Anfassen sein. Es genügt, wenn sie | |
| großartige Kunst machen. Es gab in den letzten drei Jahrzehnten immer mal | |
| wieder den Verdacht, Van Morrison würde auf vielen Alben seine Talente | |
| allzu routiniert zum Einsatz bringen. Völliger Quatsch. Selbst auf seinen | |
| schlechtesten Alben (und welche sollen das sein?), sind immer sensationell | |
| gute Songs zu finden. Die Stimme reißt alles raus. Vielleicht ist da keine | |
| Entwicklung (wo sollte es auch hingehen nach „Astral Weeks“ oder | |
| „Moondance“), aber eine fortwährende Vertiefung und Verfeinerung, ein nie | |
| endendes Umkreisen des Mythischen in der Musik. | |
| Sein jetzt erscheinendes neues Studioalbum „Keep Me Singing“ (sein 36.!) | |
| macht nicht unbedingt da weiter, wo er mit „Born To Sing: No Plan B“ | |
| aufgehört hat. Das war 2012 auf Blue Note erschienen, „Close Enough for | |
| Jazz“, und der Romantiker und Nostalgiker wetterte da eher untypisch gegen | |
| den allgegenwärtigen Kapitalismus und die Macht der Medien. | |
| Jetzt gibt es hingegen wieder den alten Morrison, der sich in seinen Songs | |
| mit Geistesverwandten verabredet, mit Jack Kerouac oder Allen Ginsberg, mit | |
| Chet Baker oder Vince Guaraldi; der die alten Topoi der Sehnsucht zu | |
| langsam schwoofenden oder swingenden Midtempo-Stücken zelebriert, gemahnend | |
| an Alben wie „Avalon Sunset“ oder „Hymns to the Silence“, der melanchol… | |
| die fallenden Blätter im November betrachtet, sich auf der „Memory Lane“ | |
| und „Out in the Cold“ wähnt. | |
| Im Titelstück schlendert der Sänger zur nächsten Ecke, wo ihn die Kumpels | |
| in die Arme schließen, während im Hintergrund leise Sam Cooke mit „That’s | |
| Where It’s At“ und „Let The Good Times Roll“ tönt. „Well I’m singi… | |
| playing my songs / Doing just what I know how to do / Right here where I | |
| belong“. Und ob er weiß, wie man’s macht. | |
| ## Es kommt nicht auf die Texte an | |
| „Keep Me Singing“ wurde natürlich the old fashioned way aufgenommen, live | |
| im Studio. Man kann das hören. In Van Morrisons Songs scheint alles | |
| organisch zusammenzufließen, und selbst in den Momenten, wo manchem das | |
| Wort Kitsch in den Sinn kommen würde, ist da noch eine sanfte Erhabenheit. | |
| Das hat damit zu tun, wie Morrison selbst einzelne Worte durch seine | |
| Phrasierung mit immenser Bedeutung aufladen kann. Wie die Songs in seiner | |
| Stimme aufgehoben sind, wie es letztlich nicht auf die Texte ankommt, | |
| sondern auf ihren Klang. „Ich arbeite eigentlich nur dann mit Worten“, | |
| sagte er Ende der siebziger Jahre, „wenn ich ein Lied komponiere. Wenn es | |
| fertig ist, befreie ich die Worte; und immer, wenn ich singe, singe ich | |
| Silben. Ich singe Zeichen und Phrasen.“ So ist das: „Syllables, Signs and | |
| Phrases“ – und da macht ihm so schnell keiner was vor. Yarragh! | |
| 2 Oct 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Rüdenauer | |
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