# taz.de -- Meister Bob zum 75.: Draußen auf dem Highway 61 | |
> Befreiung, Verrat und die emanzipatorische Kraft des Rock – Nachdenken | |
> über Bob Dylan, anlässlich seines 75. Geburtstages. | |
Bild: Bob Dylan bei einem Konzert auf der Berliner Waldbühne 1984 | |
Niemand kann es besser sagen als er selbst, was man ihm, dem großen Bob | |
Dylan, zu seinem 75. Geburtstag am morgigen Dienstag zuflüstern möchte: | |
„mach schon – lass deine mystische ballade flattern“. So schrieb Dylan es | |
in „Tarantula“, seiner ersten Prosaveröffentlichung 1971. Genau: Mach | |
schon. Stimm noch mal eine deiner vorzüglichen Balladen an. Lass flattern, | |
Bob! 75 Ausrufezeichen möchte man dahintersetzen. | |
Dem kleinen kryptischen Text in „Tarantula“ hat Dylan übrigens den Titel | |
„Heilige gebrochene Stimme & der Tingeltangel-Morgen“ gegeben, der | |
Sprachsound erinnert an einen bekifften Stream of Consciousness. Aber in | |
dem Text klingt vieles an, was Dylan in seiner wichtigsten Schaffensphase | |
Mitte der 1960er Jahre beeinflusst hat und was ihn zum vielleicht | |
bedeutendsten US-amerikanischen Songwriter und Dichter des 20. Jahrhunderts | |
gemacht hat. | |
Es war die Zeit, in der sich der politische Liedermacher Dylan der | |
Rockmusik zuwandte. Die Zeit, in der er mit „Bringing It All Back Home“, | |
„Highway 61 Revisited“ und vor allem „Blonde On Blonde“ Alben aufnahm, … | |
schlichtweg nicht mehr zu toppen waren und auf denen elektrische Gitarre | |
und Westerngitarre, Hammondorgel und Mundharmonika, näselnder und quäkender | |
Gesang kongenial zusammentrafen. So verdichtet geschah dies im Rock und Pop | |
zuvor und danach nie wieder. | |
Dylan also schrieb in „Tarantula“ im paradigmatischen, fragmentarischen | |
Stil: „(…) Hysterisch – melodie im Hysterischen – im gegensatz zu der m… | |
die jeden sound darbietet um das leben lebbar zu machen außer das in der | |
stille … Houdini & der rest der gewöhnlichen sterblichen machen | |
zerknitterte Jesus poster ab, draußen auf dem highway 61 – (…) dies land | |
ist dein land & dies land ist mein land – klar – aber die welt wird regiert | |
von leuten die sich sowieso nie musik anhören – enthusiasmus ist musik die | |
eine taschenlampe braucht damit man sie hört', sagt jedenfalls Pest (…)“. | |
## Wilder, enthusiastischer | |
Mit diesen wenigen Zeilen ließe sich das Werk Bob Dylans, der am 24. Mai | |
1941 als Robert Allen Zimmerman in Duluth, Minnesota geboren wurde, | |
ziemlich gut interpretieren. Darin steckt der von der Folktradition Woody | |
Guthries („This land is your Land“) und Pete Seegers geprägte Dylan, der | |
fortan nicht mehr an die Parteigänger-Songs und -Rhetorik seiner Vorbilder | |
glaubt. Stattdessen entdeckt er den Highway 61 für sich – und mit ihm die | |
wildere, enthusiastischere Musik. Denn dieser Highway führt nicht nur an | |
Dylans Heimatstadt Duluth, Minnesota entlang, sondern verbindet ihn auch | |
mit den Blues-, Soul-, Rock‘n' Roll und Jazz-Orten wie St. Louis, New | |
Orleans oder Memphis. | |
Für die Folkpuristen wurde er mit der Hinwendung zum elektrifizierten Sound | |
zum Verräter; bei einem Konzert in England wurde er 1966 mit „Judas“-Rufen | |
bedacht. Wichtiger aber ist es, dass Dylan damit den Weg wies für alles, | |
was in der Rockmusik – von Pink Floyd über Black Sabbath bis Motörhead – | |
noch folgen sollte. Denn der Bezichtigung während des Konzerts entgegnete | |
er, indem er seine Band anwies „Play fuckin’ loud!“ Die emanzipatorische | |
Kraft, die der Rock in den späten Sechzigern und den Siebzigern entfachen | |
sollte, nahm er vorweg. | |
Nicht umsonst spielt er in dem Text auf den Entfesselungskünstler Harry | |
Houdini an – denn den Gewerkschaftsfolk, in dessen Folge er bis dato stand, | |
empfand Dylan als Fessel. Genauso natürlich die Nachwirkungen der | |
McCarthy-Ära und der 1950er Jahre in den USA. | |
## Immer wieder Verräter | |
Um sich zu befreien, um die Musik zu befreien würde er noch mehrmals zum | |
Verräter werden müssen. Später etwa wendete er sich etwa dem Country-Rock | |
zu – und rehabilitierte ein als erzkonservativ verschrienes Genre. Und dass | |
er sich heute, im Jahr 2016, auf den Alben „Shadows in the Night“ und | |
„Fallen Angels“ (soeben erschienen), Sinatra-Songs und Liedern des Great | |
American Songbook widmet, versteht auch nicht jeder. | |
Was die Flatterballaden des Meisters Bob betrifft, so wurden die eher noch | |
schöner, nachdem Dylan die E-Gitarre für sich entdeckte. Was sind das für | |
wunderbare, vielseitige Nummern, die er ab Mitte der 60er mit „Visions Of | |
Johanna“, „I Want You“, „Sad-Eyed Lady Of The Lowlands“, „It’s al… | |
Baby blue“ und vielen weiteren schrieb. | |
Heute wird das Land, von dem Bob Dylan damals schrieb, übrigens (noch) von | |
jemandem regiert, der sehr gute Musik hört. Bob Dylan selbst ist nicht ganz | |
unschuldig an dieser Entwicklung. | |
24 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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