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# taz.de -- Bob Dylan in Berlin: Bobs Abendrevue
> Der Americana-Großmeister spielt am Dienstag sein erstes von zwei
> Konzerten im Tempodrom. Er waltzt, swingt und ist in guter Form.
Bild: In Berlin ließ er sich nicht fotografieren – hier, in Spanien 2012, sc…
Um 22.06 Uhr geht das Saallicht wieder an, schlagartig verschwindet die
schummrig-stilvolle Atmosphäre; die normale Welt wird wieder angeknipst.
Bob Dylan, gekleidet in feinstem schwarzen Zwirn und mit hellbeigem Hut auf
dem Kopf, verlässt die Bühne.
Zuvor stand kleines, dünnes Dylan für wenige Sekunden einfach nur da,
inmitten seiner Band, zaghaft nach vorne gebeugt, und blickte gen Publikum,
das ihm lange applaudierte. Seine letzten gesungene Worte, „Just don’t know
what to do / I’d give anything to be with you“ aus dem Song „Love Sick“,
hallen noch nach, da ist der Americana-Altmeister auch schon wieder weg.
Obwohl Dylan, der für zwei Konzertabende in Berlin weilte, im großen
Tempodrom vor rund 3.000 Zuschauern spielte, wirkte es viel intimer, als
der 74-Jährige samt fünfköpfiger Begleitband spielte. Es war eine ruhige,
konzentrierte Atmosphäre, eher Theater- als Rockkonzert-Stimmung, was wohl
auch daran lag, dass das Tempodrom bestuhlt war.
Während der zwei Stunden schien es, als holte Dylan ein gehöriges Stück
US-amerikanischer Kulturgeschichte auf die Berliner Bühne – und mit ihr
eine genauso elegante wie eloquente Form von Abendunterhaltung, die heute
im Verschwinden begriffen ist.
## Intimer Charakter
Der intime Charakter erklärte sich zum einen in der Songauswahl – Dylan
spielte zum Beispiel einige Frank-Sinatra-Stücke und weitere Coversongs von
Irving Berlin oder Cy Coleman, alle von seinem aktuellen Album, „Shadows in
the Night“ –, es waren Songs, die sich bestens in diese Country-, Waltz-
und Bluegrass- Abendrevue fügten.
Zudem lag es daran, dass seine Band sehr reduziert daherkam – mal jazzig
leicht, mal soft swingend –, sodass die an diesem Abend überwiegend sehr
stabile Stimme Dylans oft über allem thronte. Mal gehaucht, dann näselnd,
dann tief und belegt. Diese Stimme weiß den Raum an diesem Abend zu füllen
– das war bei Dylan-Konzerten auch schon mal anders.
Nicht zuletzt lag es auch am schlichten Bühnenbild, das zum Teil nur aus
sieben großen Strahlern bestand, die sich auf die Bühne richteten. Hin und
wieder gab es eine simple Lichtprojektion.
## Reduzierter Roadtrip
Bereits während der ersten Lieder – Dylan beginnt pünktlich zur
„Tagesschau“ – zeigt sich, dass eine Melange aus Werkschau und
musikalischem Roadtrip durch das US-Amerika des 20. Jahrhunderts folgen
soll: Dylan switcht zwischen Eigenkompositionen aus den Jahren 2009
(“Beyond Here Lies Nothin’“) und 1965 (“She Belongs To Me“), macht mit
Sinatra einen Schlenker durch die 1940er Jahre (“The Night We Called It a
Day“), ehe er vor einer kurzen Pause – ja, das hier ist gediegene Kultur
für gediegene Menschen – mit „Tangled Up in Blue“ eins der stärksten St…
des Abends spielt: Von der ursprünglichen, sehr Songwriter-orientierten
Version ist hier wenig zu hören, nun ist eine swingende, mit großartiger
Sologitarre und lässig plätscherndem Schlagzeug versehene Fassung zu hören.
Erste markerschütternde Jubelschreie in den Stuhlreihen.
Die Pause scheint dem Abend nicht gutzutun. Kaum in Fahrt, wird Bob auf
seinem Roadtrip wieder gebremst. Es braucht erst ein paar Songs, ehe Dylan
mit „Scarlet Town“ (2012) noch mal zu Hochform aufläuft – Americana trif…
dabei auf leichten Latin-Sound.
Dylans Band spielt den Abend über mit ihren Möglichkeiten, wechselt in der
Begleitung etwa zwischen E-Bass oder Kontrabass, setzt Banjo, Keyboard,
Violine oder Ukulele ein. Das nicht allzu üppige Personal ist völlig
ausreichend, zudem klingt der Saalsound trocken, meist ist die Stimme
Dylans leicht höher gepitcht als die Instrumentierung. Was in diesem Fall
passt.
Das zufriedene, aber nicht enthusiastische Publikum ist untypisch für
hiesige Konzerte: Von der üblichen Berliner Mischung ist wenig zu sehen –
wohl wegen der Eintrittspreise zwischen 78 und 112 Euro istvor allem das
gesetzte und bürgerliche Berlin zu Gast. Ach so, auch ein paar Auswärtige
sind angereist: Wolfgang Niedecken und Herbert Grönemeyer etwa, die unweit
voneinander Platz genommen haben.
Mit „Blowin’ In The Wind“ spielt Dylan am Ende doch noch einen seiner Hit…
allerdings am Klavier und im Vergleich zum Original in kaum erkennbarer
Version, ehe er sich mit „Love Sick“ verabschiedet.
Im Anschluss an das Konzert konnte man sich im Foyer überlegen, ob man
nicht noch eine Gibson-Akustikgitarre Marke Dylan am Merchandisestand
erwerben wollte. Draußen an der frischen Luft versuchten derweil
Dylan-Plakatverkäufer ihr Glück. Und irgendwo klimperte auch noch ein
Outdoor-Musiker vor sich hin. Bob Dylan hatte da seinen Dienst schon längst
beendet.
14 Oct 2015
## AUTOREN
Jens Uthoff
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