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# taz.de -- Neues Album von Grimes: Die Aura eines Aliens
> Experimentell, kurios, geschlechtslos: In ihrem Album „Art Angels“ erhebt
> die kanadische Musikerin Grimes den Stilbruch zum Programm.
Bild: Fabelhaft: Grimes.
Eigentlich hätte Claire Boucher alias Grimes ihr neues Album an Halloween
veröffentlichen sollen. Der makaber-düstere Kosmos der 26-jährigen
Kanadierin ist schließlich bekannt als Spielwiese für Aliens, Elfen und
merkwürdige Monster – sowohl in ihrem Sound als auch in ihrer visuellen
Semantik.
Doch Grimes wäre nicht die Künstlerin, die sie ist, wenn sie leicht in
Schubladen einzuordnen wäre. Mit ihren schrägen Visionen ist Boucher ihrer
Zeit voraus. Als Songwriterin, Produzentin, Illustratorin,
Videoregisseurin, Multiinstrumentalistin und visuelle Künstlerin hat sie
den Ruf eines Wunderkindes – aber sie spricht von sich selbst weiterhin als
Do-it-yourself-Musikerin.
Ihr Äußerliches wirkt zunächst überladen: Langes, pastellfarbenes Haar,
selbst gestochene Tattoos auf den Händen und ein flamboyanter Kleidungsstil
verleihen auch Boucher die Aura eines Aliens. In Interviews trifft sie
recht deutliche feministische Aussagen – sie spricht über Sexismus im
Musikbusiness und Gendervarietät. Auf die Frage, wer ihr Bühnenvorbild sei,
nennt sie die Rap-Größe Lil’ Wayne und fügt hinzu: „Aber ich bin nicht so
cool.“
Dabei ist sie es eigentlich auf einem sehr hohen Level: Sie bekennt sich
öffentlich als geschlechtslos, legt auf hochkarätigen Partys poppige
Smash-Hits auf und rezensiert auf ihrem Tumblr-Blog vegane Eissorten. Ihren
Künstlerinnennamen leitete sie von dem Musikgenre „Grime“ ab, von dem sie
vor einigen Jahren zum ersten Mal auf MySpace las und nicht einmal wusste,
was genau das eigentlich ist.
## Vorbild Lil’ Wayne
Nicht minder kurios ist ihr Produktionsprozess. Sie schließt sich
wochenlang in ihrem abgedunkelten Zimmer ein, fastet und nimmt Amphetamine,
wobei sie auch schon mal drei Wochen ohne Schlaf und Essen durcharbeitete.
In dieser kreativen Einsiedelei entstehen viele Alter Egos, die in ihren
Songs zu Wort kommen.
Auf „Art Angels“, ihrem vierten Album, lässt sie diesen viel Raum, löst
sich stark von ihrer Schüchternheit und macht vielleicht deshalb in ihrer
musikalischen Entwicklung einen großen Sprung: Sie erfindet sich neu und
bleibt zugleich schwerer zu definieren denn je. Obwohl die neuen 14 Tracks
zugänglicher und griffiger sind als zuvor, ist die Scheibe in ihrer
Gesamtheit die bisher experimentellste von Grimes. Das Spektrum von Genres
und Tempi ist breit. Es lässt eine Vielzahl von Einflüssen erahnen,
zwischen denen Welten liegen, wie zwischen Marilyn Manson, Mariah Carey und
Lana Del Rey.
Ihre Popularität begründete Grimes mit ihrer hypnotischen Platte „Visions“
von 2012. Kosmisch-verträumte und düstere Loops kreieren da mit ihrer
hochgepitchten Stimme eine magische Klangwelt, die irgendwo zwischen Witch
House und Futurepop schwebt. Trotz oder gerade wegen der Schwierigkeit, den
Sound in Worte zu fassen, ist „Visions“ eines der einflussreichsten Alben
des Jahrzehnts. So tauchen immer mehr Künstler_innen auf, die in ihrer
Ästhetik mit Grimes verglichen werden. Wer sie für diesen vielschichtigen,
weichen Dreampop-Electroclash liebt, könnte sich an den scharfen Kanten von
„Art Angels“ schneiden.
## Girly, funky, bloody
Stark erweitert scheint die Palette an Instrumenten. Die bisher rein
digitalen Klangwerkzeuge werden teilweise ersetzt von einem Klavier, von
Streichern und Gitarren. Bereits das erste Stück erweist sich als eine
äußerst dramatische Komposition. Grimes lädt zur Zeitreise ein – dieses Mal
allerdings nicht in die Zukunft, sondern in den Barock, mit
finster-dystopischer Note.
Der Stilbruch folgt sogleich: Der Song „California“ transportiert über die
helle Gesangsstimme, das höhere Tempo und die Gitarren die Sonne des
Bundeslands, in dem sie beheimatet ist. Ihr Umzug von Montreal ins warme
Los Angeles äußert sich unüberhörbar. Während hier softer Dreampop schallt,
kommt im Folgetrack „Scream“ eine Härte, die sie und der taiwanische
Newcomer-Rapper Aristophanes durch Schreie, treibende Bässe und hastigen
Sprechgesang auf Mandarin schaffen.
In „Flesh Without Blood“ tritt dann endlich der fließende Grimes-Stil
zutage, mit dem ihre Fans gerechnet haben. Immerhin haben sie diesen in
ihrem Kunstblut-Musikvideo als Vorgeschmack zu hören bekommen. Umso
überraschender wirkt der hohe Anteil an experimentellem Rock auf „Art
Angels“.
Der Riot-Grrrl-Einfluss sticht markant hervor, viele Songs sind laut und
gitarrendominiert. Und auch sehr girly, wie in „Artangel“, wo funky Riffs,
heller Gesang und für Indietronic typisch gut gelaunte Melodien vor allem
an die 90er Jahre erinnern. Mit lebhaft-versponnenem Elektropop hält sie
das Tempo hoch und liefert mehrere tanzbare Clubhits wie „Pin“ oder „Kill
V. Maim“.
Herausragend ist „Venus Fly“, ihre Kollaboration mit der R-’n’-B-Musike…
Janelle Monáe – das Stück kommt mit hohem Tempo, epischen Genre-Mash-ups
und dynamischen Beats à la M.I.A. daher – toll klingt die Violine.
Am Ende steht mit „Butterfly“ ein poppig-elektronischer Abgang mit ravigen
Bässen. Die Zeile „I’ll Never Be Your Dream Girl“ knallt allen die Türe…
und wirkt wie ein feministischer Mittelfinger an jene, die ein solches
Dream Girl in ihr sahen.
18 Nov 2015
## AUTOREN
Hengameh Yaghoobifarah
## TAGS
Popkultur
Queer
Pop
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Pop
Madonna
Bob Dylan
Los Angeles
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