# taz.de -- Popstar Madonna in Berlin: Abgrundtiefe Coolness | |
> Madonna muss nichts mehr beweisen. Beim Konzert in Berlin zeigt sie, dass | |
> sie auch gemütlich und rührend direkt sein kann. | |
Bild: Madonna bei ihrer „Rebel of Heart“-Tour in Berlin. | |
Was nun folgt, ist ein langer Text über Madonna. Weil sie ihr dreizehntes | |
Studioalbum, „Rebel Heart“, am Dienstag und Mittwoch in der Berliner | |
Mercedes-Benz Arena vorgestellt hat. Und nicht etwa, weil sie einen runden | |
Geburtstag feiern würde (ihr „Prana“ wird erst in drei Jahren für 60 Kerz… | |
reichen müssen). Oder weil sie spektakulär gestorben wäre. Oder ein spätes | |
Coming-out gehabt hätte. | |
Nein, Madonna, einst Hüpfmaus, dann jungfräulich, dann Tomboy, dann | |
christlich, dann sexy, dann eso, dann ikonisch, dann Disco, permanent | |
Mutter, und durchgehend irgendwie … sportlich konserviert, Madonna, die man | |
– als Reminiszenz an Ol’ Blue Eyes – vielleicht langsam mal in „Ol’ Y… | |
Arms“ umbenennen müsste, Madonna hat sich einen langen Text verdient. | |
Weil sie bald der älteste praktizierende weibliche Popstar der Welt sein | |
wird. Zum Vergleich: Kylie ist 47, JLo 46, Gaga 29, Michael Jackson ist tot | |
und Prince keine Frau. Und sobald Cher (69) nicht mehr aus dem Bett kommt, | |
oder einfach ihre schöne operierte Nase voll hat von dem Mist, ist es so | |
weit. Madonna ist nämlich wirklich „spry“, rüstig, um in der Sprache ihrer | |
Generation zu bleiben. | |
Sie tanzt. Sie singt. Sie spricht. Sie spielt Gitarre und Ukulele, wobei | |
man beim Konzert am Dienstag klar feststellen musste, dass die schwarze | |
Metal-Axe, die sie bei „Burning Up“ schlägt, einfach zu groß für sie war, | |
der kleinen Madonna steht die Ukulele besser. Was ihr ansonsten am besten | |
stand aus dem umfassenden Bühnenoutfitfundus der „Rebel Heart“-Tour: die | |
Torero-Klamotten. Die trug sie bei dem langen, flamencogepeitschten Mix aus | |
„La Isla Bonita“, „Dress you up“ und „Lucky Star“, später steht si… | |
gemeinsam mit zwei weitere Tänzerinnen auf einem runden Podest, während | |
unten Tänzer mit Stierhörnern herumlaufen: Subtil ist das nicht, aber | |
irgendwie rührend direkt. | |
## Keine Frau fürs Subtile | |
Sie ist eben wahrhaftig nicht die Frau fürs Subtile. Im Rückblick auf die | |
langen fabulösen Jahre der Musikerin aus Michigan zieht sich die | |
Holzhammersymbolik wie ein roter Faden durch ihr Leben. „Like a Prayer“: | |
Kirche, gekreuzt mit Sex, und dann noch Race Issues (zumindest im Video) | |
ergaben Ärger mit dem Vatikan und den Sponsoren. „Erotica“: „I’ll give… | |
love / I’ll hit you like a truck / I’ll give you love / I’ll teach you how | |
to …“ könnte auch aus einem Herrenabend-Witz stammen und ist nur einen | |
einzigen Wimpernschlag entfernt von Robin Thickes Zeile aus „Blurred | |
Lines“: „You wanna hug me / hey hey hey/ what rhymes with hug me/ hey hey | |
hey“. Und „Frozen“, Madonnas Einstand in der spirituellen Welt voll Kabba… | |
und Liebe, reimte schamlos „Mmmmmmmh / give yourself to me / mmmmmh / you | |
hold the key“ – es gibt genau 937 Worte und Silben, die sich auf „key“ | |
reimen, und Madonna hat anscheinend nicht lange gesucht. | |
Die neue Platte allerdings ist bei den meisten KritikerInnen durchgefallen. | |
Bei den Fans nicht, jedenfalls im internationalen Vergleich, und eine | |
international bekannte Künstlerin wie Madonna kann nur darauf schauen: Sie | |
erreichte in vierzehn Ländern Platz eins der Charts, wenn man darauf noch | |
irgendetwas geben kann. Am Dienstag in der ziemlich ausverkauften | |
Mercedes-Benz Arena waren viele, die auch die neuen Songs mitsingen | |
konnten, „Iconic“, das den Abend eröffnete, oder „Bitch I’m Madonna“. | |
Mit den „Bitches“, für die es im Deutschen keine angemessene Übersetzung | |
gibt, denn „Luder“ ist sogar noch älter als Madonna, und „Miststück“ … | |
sich nur schwer in schnellen, juvenilen Slang integrieren, hat sie es | |
ohnehin: Die Wörter „Bitch“, „Queenbitch“ fallen beim Konzert noch des | |
Öfteren, und manchmal möchte man fast die Yoga-Arme tätscheln (die | |
interessanter- und sympathischerweise nicht gänzlich tantenwinkerfrei sind) | |
und sagen: „Ja ja, du bist wirklich ganz, ganz böse!“ | |
Dabei ist sie gar nicht böse. Madonna ist eine Entertainerin vom alten | |
Schlag – sie trennt Politik und Pop streng voneinander, das eine bleibt im | |
Privaten, das andere gehört zum Image. Dass sie sich dennoch manchmal mit | |
den Gesetzen anlegen musste, hat mit der allgemein üblichen, unguten | |
Vermischung von Staatsreligionen und Regierungsparteien zu tun. Aber | |
eigentlich kämpfte Madonna als einer der ersten Popstars stets um ihr | |
sexuelles Selbstbewusstsein als Frau. Darum kämpften auch schon andere, | |
doch nicht im Pop, somit oft knapp unterhalb des öffentlichen Radars. | |
Am Dienstag ist sie das Thema Sex allerdings fast ein wenig schüchtern | |
angegangen: Beim Song „Sex“ verschwindet sie zum Kostümwechsel, nur ihre | |
Konservenstimme beschallt die Mehrzweckhalle, und das Publikum schaut | |
interessiert auf vier Betten, in denen vier Pärchen ihre „Body | |
Shop“-gestählten Leiber zur Schau stellen. M/F, M/F, M/F und M/M. Zwei | |
Frauen sind nicht dabei, aber wer Madonna jetzt etwa Lesbenfeindlichkeit | |
vorwirft, der hat den Schuss nicht gehört. | |
Apropos Schuss: Madonna scheint neuerlich tatsächlich weniger aggressiv als | |
in den letzten Jahren. Sie setzt sich am Dienstag zwischendurch immer | |
wieder gemütlich auf die vier Buchstaben im Spitzenhöschen, spielt | |
Saiteninstrumente und singt dazu wie Dolly Parton. Sie quatscht lange mit | |
ihren Tänzern, dann mit jemandem aus dem Publikum, der ihren Stammtischwitz | |
nicht versteht: „Kennst du die drei Liebesringe? The engagement ring, the | |
wedding ring, and the suffering, harhar!“ | |
## Mit Deutschlandfahne als Cape | |
Am Ende kommt sie mit einer Deutschlandfahne als Cape auf die Bühne und | |
singt „Holiday“, und es versteht sich jawohl von selbst, dass sie mit | |
dieser Fahne unmöglich auch den Rest der Tour absolvieren wird, sondern | |
brav 13 verschiedene Flaggen für 13 verschiedene europäische Länder im | |
Kleidergepäck hat, das Abend für Abend von 60 verschiedenen | |
KostümexpertInnen betreut wird. Hoffentlich verwechselt nicht mal jemand | |
welche. | |
Aber aggressiv ist Madonna wirklich nicht mehr. Eher ein klein wenig | |
angestrengt zuweilen, ein bisschen außer Atem, man merkt es minimal, sie | |
springt nicht mehr die vollen zwei Stunden durch, sondern nutzt drei lange | |
Umziehpausen. Und ihre moves sind manchmal nur halftime, bei einigen | |
Songparts promeniert sie schlichtweg königlich langsam im Takt über die | |
Bühne. Das machen die spektakulären TänzerInnen dann glücklicherweise mit, | |
damit es nicht auffällt. | |
Ist ja auch alles völlig in Ordnung. Madonna muss nichts mehr beweisen, das | |
hat sie alles schon hinter sich. Sie muss sich bei niemandem anbiedern, | |
keine Handherzen machen, dem Publikum nicht ihre Liebe versichern. Von | |
Weitem sieht sie langsam aus wie Bette Davis – weißes, straffes Gesicht, | |
roter Mund mit leicht spöttischen Mundwinkeln. Und das ist ein Kompliment: | |
Madonna bekommt nämlich langsam eine abgrundtiefe Coolness. Man kann sich | |
vorstellen, dass sie nach der Show den 20 TänzerInnen, die aufgekratzt und | |
-gegeilt mit ihr in die Garderobe eilen, nonchalant den alten | |
Mae-West-Spruch hinwirft: „Ich bin müde, Leute! Zwei können gehen.“ | |
11 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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