| # taz.de -- Selbsthilfe in Griechenland: Ein Hotel nur für Flüchtlinge | |
| > Seit dem 22. April ist das ehemalige City Plaza Hotel in Athen von | |
| > Anarchisten besetzt. 400 Menschen aus aller Welt dient es nun als | |
| > Unterkunft. | |
| Bild: Am 16. Juni führten die BewohnerInnen des Hotels eine Demo für Flüchtl… | |
| Athen taz | „Auf unserer Reise haben wir viel über das Leben gelernt“, sagt | |
| die 24-jährige Nour Tamin. Ihre Wortwahl ist so schlicht wie ihr Auftreten. | |
| Mit der „Reise“ meint sie ihre Flucht aus Jarmuk bei Damaskus, das | |
| palästinensische Lager, das UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon als „tiefste | |
| Hölle im syrischen Horror“ bezeichnete, bis hierher ins City Plaza Hotel in | |
| Athen mit seiner ausgelassenen Atmosphäre. Das City Plaza ist ein vor zwei | |
| Monaten von griechischen Anarchisten besetztes Hotel, das seitdem als | |
| autonome Flüchtlingsunterkunft geführt wird. | |
| Nour spricht leise, während gefühlt 185 Kinder – so viele leben tatsächlich | |
| hier – um sie herum toben: „Ich habe Maschinenbau studiert, aber in meiner | |
| Universität sind ständig Bomben eingeschlagen.“ Schließlich sei sie mit | |
| ihrer Mutter, ihrer Schwägerin und deren Kindern geflohen. „Sechs Mal sind | |
| wir bis zur Grenze gekommen, aber die Polizei hat uns mit Gewehren bedroht | |
| und zurückgeschickt“, erzählt Nour. Das siebte Mal hatten sie Glück. | |
| Um nach Griechenland zu gelangen, hätten sie 1.700 Dollar pro Person an | |
| Schlepper gezahlt: „Das Boot füllte sich mit Wasser und die Schlepper | |
| hatten unsere Westen geklaut.“ Die Küstenwache habe sie gerettet. „Doch das | |
| Härteste war: hier anzukommen und nichts vorzufinden.“ | |
| Auf Umwegen hat die Familie vom City Plaza gehört, vor einem Monat sind sie | |
| eingezogen: „Wir fühlen uns hier endlich sicher.“ Neben Nour sitzt ihre | |
| Mutter am Tisch und hilft ihrem Neffen in einen Spiderman-Anzug, den sie | |
| aus der Kleiderkammer des City Plaza von „Solidarys“ – so nennen sich die | |
| Aktivisten und freiwilligen Helfer – ergattert hat. Sein Freund präsentiert | |
| einen neuen Haarschnitt, den er im improvisierten „Barbershop“ im | |
| Eingangsbereich des Hotels bekommen hat. | |
| ## Nothilfe trotz Krise | |
| Im Café herrscht ein Stimmengewirr aus Griechisch, Arabisch, Englisch und | |
| Farsi. Die 27-jährige Lina Theodorou, eine der Aktivistinnen der | |
| „Solidaritätsinitiative für Flüchtlinge“, die das 2010 in Konkurs gegang… | |
| und seitdem ungenutzte City Plaza besetzt hat, sagt: „Als die Grenzen | |
| geschlossen wurden, wollten wir ein Exempel statuieren und zeigen, dass man | |
| trotz Krise Menschen in Not versorgen kann. Wir wussten, dass dieses Hotel | |
| das notwendige Inventar wie Betten und Küchenausstattung hat.“ Also haben | |
| sie am 22. April das Hotel besetzt und für Flüchtlinge geöffnet. | |
| Seit der Grenzschließung sind 55.000 Flüchtlinge in Griechenland | |
| gestrandet, laut UNHCR sind 60 Prozent davon Frauen und Kinder. Die | |
| staatlichen Flüchtlingslager sind überbesetzt, die Unterkünfte bestehen | |
| meist aus Zelten. Oft gibt es nur gut zehn Bäder für mehrere hundert | |
| Einwohner und nur unzureichendes Essen. | |
| Im City Plaza leben nun 400 Menschen aus Syrien, Afghanistan, Iran, Irak, | |
| Pakistan, Palästina sowie Kurden. Die Gruppen seien anfangs unter sich | |
| geblieben, so Lina. Denn in den staatlichen Lagern wurden einige | |
| Nationalitäten benachteiligt. „Bei uns wird jeder gleich behandelt. Und das | |
| gemeinsame Arbeiten führt dazu, dass Menschen sich näherkommen.“ Alle essen | |
| zusammen im Speiseraum, und sich abwechselnde Köche bereiten jeden Tag | |
| Frühstück und 900 warme Mahlzeiten zu. | |
| ## Keine offizielle Unterstützung | |
| An den Wänden der Lobby hängen neben Putz- und Kochplänen auch Kurspläne. | |
| Solidarys geben Sprachkurse in Griechisch, Englisch, Arabisch und Farsi. Da | |
| viele Bewohner noch kein Englisch sprechen, läuft viel Kommunikation über | |
| die Übersetzer. Rabee Abotara, 25, aus Damaskus, ist einer von ihnen – und | |
| den ganzen Tag auf Achse. Soeben übersetzte er in der „Klinik“, einen zum | |
| Behandlungszimmer umfunktionierten Raum für die Kinderärztin, jetzt kommt | |
| der syrische Koch auf ihn zu: Die Familie, die heute mithelfen sollte, sei | |
| nicht gekommen. „Jeden Tag müssen einige Zimmer putzen, andere kochen“, | |
| erklärt Rabee. Wer sich nicht daran halte, müsse das Hotel verlassen. | |
| Im Gegensatz zu den meisten hier ist Rabee als Flüchtling registriert. | |
| Mittlerweile können sich Flüchtlinge nur noch an bestimmten Tagen über | |
| Skype registrieren. Eine nervenzehrende Prozedur, die Monate dauern kann. | |
| Umso wichtiger ist es, dass sie in dieser Zeit unter menschenwürdigen | |
| Bedingungen leben. | |
| In der Lobby werden jetzt Tische und Sofas verschoben. Gleich beginnt eine | |
| Versammlung, auf der Bewohner und Solidarys das Zusammenleben und | |
| politische Aktionen planen. Das City Plaza bekommt weder vom Staat noch von | |
| NGOs finanzielle Hilfe. Alles wird durch individuelle Spenden gedeckt. Doch | |
| trotz Krise teilt man hier. Statt Menschen in Not in Camps an den Rand der | |
| Gesellschaft zu verbannen, werden sie hier in das Herz der Stadt | |
| integriert. „Ich habe so viel gelernt“, sagt Lina, „offener sein, besser | |
| zuhören – und was gelebte Solidarität ist.“ | |
| 6 Jul 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Elena Beis | |
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