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# taz.de -- Gekündigte Anhörer im Asylverfahren: So läuft das eben beim Bamf
> Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stellte Hunderte neue
> Mitarbeiter ein. Viele wurden nach drei Wochen Schulung wieder entlassen.
Bild: Grund für das Vorgehen des Bamf sind die etwa 460.000 unbearbeiteten Asy…
So einfach hatte er sich das nicht vorgestellt. Im März bewarb sich Johann
Sacher per E-Mail auf eine Stelle als Anhörer beim Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge (Bamf). Anhörer, das sind die Sachbearbeiter im
Asylverfahren, die den Flüchtling zu seinen Asylgründen befragen. Per
E-Mail bekam er auch die Antwort. Er war eingestellt, ein
Bewerbungsgespräch fand nicht statt. Was Sacher zu diesem Zeitpunkt nicht
weiß: So schnell, wie ihn das Bamf eingestellt hatte, würde es ihn auch
wieder entlassen.
Sacher heißt eigentlich anders. Er will anonym bleiben, weil er Nachteile
für seinen Berufsweg befürchtet. Gerade hat er sein Jurastudium beendet,
das erste Staatsexamen bestanden und wartet auf einen Referendariatsplatz.
Im Februar erhielt er einen Brief des Berliner Justizsenators, dem es nicht
an Pathos fehlte: „Deutschland ist ein starkes Land“, heißt es darin. Doch
die „Flüchtlingswelle“ sei eine große Herausforderung, die nur bewältigt
werden könne, wenn viele Menschen mithelfen würden. „Ich bitte Sie, sich
das beiliegende Angebot des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
(Bamf) anzusehen und sich für eine der dort ausgeschriebenen Stellen als
Anhörer zu bewerben.“
In ihrer Wartezeit auf das Referendariat sollten die Jura-Absolventen beim
Bamf arbeiten, Nachteile würden ihnen nicht entstehen. Was nicht im Brief
stand: Am Ende sollten Sacher und viele weitere Mitarbeiter, die
Deutschland angeblich so dringend braucht, einen Vermerk in ihrer
Personalakte haben und ein Verbot, für zwei Jahre im Asylrecht zu arbeiten.
Sachers Arbeitsbeginn wird dreimal per Mail um Wochen verschoben. Dann ist
es so weit, 25. April, Dienstantritt. In einem unauffälligen Bürogebäude in
Berlin-Wilmersdorf unterschreiben Sacher und 36 weitere Mitarbeiter ihre
Verträge. Sie sind jetzt Anhörer im Asylverfahren.
Hier erfahren sie, dass die Arbeit mit einer dreiwöchigen Schulung beginnt.
Früher habe man neues Personal ein halbes Jahr lang geschult, erzählt ihnen
einer der Ausbilder. Grund für die kurze Ausbildungszeit sei der aktuelle
„Ausnahmezustand“ wegen der vielen unbearbeiteten Asylanträge. „So läuft
das eben beim Bamf“, erklärt er.
## Lernen im Schnellverfahren
Sacher und die anderen lernen im Schnellverfahren, worauf sie beim Gespräch
mit den Asylbewerbern achten sollen: Rechtsgrundlagen, Bescheide schreiben,
Einführung ins Computersystem. Das Material für die Schulung wird selbst
von einem Ausbilder als „schlecht“ bezeichnet. Am Ende mancher Einheiten
wird schriftlich abgefragt. Zum Beispiel so: „Ich benutze hippe Sprache, um
nicht altmodisch zu wirken. Richtig oder falsch?“ „Falsch“ ist die richti…
Antwort.
Die zweite Woche der Schulung. Die Tür geht auf, Einzelne werden
aufgerufen. Ohne dass der Theorieunterricht beendet wird und ohne jemals
bei einer Anhörung nur zugesehen zu haben, soll eine neue Mitarbeiterin
eine syrische Frau befragen. Unter anderem geht es darum, die
Glaubwürdigkeit der Antragstellerin zu prüfen. Wie das geht, hat sie nicht
gelernt. Auf ihre Frage, warum ihr die Anhörung nicht früher angekündigt
wurde, um sich vorzubereiten, antwortet die Ausbilderin: „So läuft das eben
beim Bamf.“ Anschließend wird die Neue von der Ausbilderin gelobt.
Gekündigt werden wird ihr trotzdem.
Nach drei Wochen ist die Schulung beendet, Sacher und die anderen neuen
Mitarbeiter sollen ihre Büros beziehen. Doch für acht von ihnen gibt es
kein Türschild und keinen Büroplatz. Sie erkundigen sich bei einer
Vorgesetzten, der rutscht heraus, „dass ich das jetzt machen muss“. Dann
beteuert sie aber, nichts zu wissen. Im Aufenthaltsraum treffen sie
Mitarbeiter aus dem Vorgängerkurs. Sie erzählen, dass ihnen gekündigt
wurde. Sacher und die anderen werden misstrauisch.
Als der Referatsleiter sie über den Flur laufen sieht, flieht er in sein
Büro. Andere Vorgesetzte sagen, sie wüssten von nichts. Sie sollten am
nächsten Tag wiederkommen. Am Nachmittag ist die Versammlung aller
Mitarbeiter in Berlin, hier muss sich Sacher wie alle anderen auch mit
Namen und Funktion vorstellen. Es wird sein letzter Arbeitstag sein.
## Er habe sich „nicht bewährt“
Am nächsten Tag sind Sacher und die anderen um 7.30 Uhr in der Spandauer
Außenstelle. Sie wollen Antworten. Nach mehr als acht Stunden Wartezeit
wird Sacher mitgeteilt, dass er sich „nicht bewährt“ habe. Gründe erfährt
er nicht. Auch 17 weiteren Mitarbeitern wird gekündigt, jedem zweiten im
Kurs.
Sacher und fünf weitere klagen nun. Die Kündigung mit der Begründung, sich
„nicht bewährt“ zu haben, ist ein Problem, denn der Vermerk in der
Personalakte erschwert einen späteren Einstieg im öffentlichen Dienst.
Hinzu kommt, dass der Arbeitsvertrag beim Bamf vorsieht, dass die Arbeit im
Bereich des Asylrechts für die nächsten zwei Jahre ausgeschlossen ist. Auch
dagegen klagen sie.
Diese Einstellungspolitik ist für den öffentlichen Dienst ungewöhnlich und
teuer. Im Bamf scheint sie eine neue Vorgabe zu sein. Auch in Bayern hat es
Entlassungen am Anfang der Probezeit gegeben, berichtete Ende vergangener
Woche der Bayerische Rundfunk und sprach von bundesweit über 200 Fällen.
Das Bundesamt nannte 120 Kündigungen.
Etwa 3.000 Euro brutto verdienen die Anhörer. Zwei Monate werden auch jene
bezahlt, denen nach der Schulung wieder gekündigt wurde. Mit den Kosten für
die Schulung beläuft sich die Investition in die 18 aussortierten
Mitarbeiter allein in Berlin also auf etwa 100.000 Euro. Dazu kommen die
Kosten für die fünf klagenden Mitarbeiter. Und es ist möglich, dass einige
von ihnen wegen Formfehlern ihr Gehalt für mehr als zwei Monate erhalten.
## 460.000 unbearbeiteten Asylanträge
Grund für das Vorgehen des Bamf sind die etwa 460.000 unbearbeiteten
Asylanträge. Im vergangenen Herbst wurde die Bundesbehörde von der
Unternehmensberatung Mc Kinsey beraten, jetzt werden offenbar neue Wege
ausprobiert.
Auch der Personalrat kritisiert die neue Einstellungspraxis ohne
Bewerbungsgespräch, er wurde bei den Einstellungen seit Anfang des Jahres
nicht mehr beteiligt. Schon Anfang März war von 750 Fällen die Rede, da war
Sacher noch gar nicht eingestellt. Gegen diese Praxis hatte der Personalrat
geklagt.
Am Dienstag dieser Woche haben Vertreter des Bamf vor Gericht nun Fehler
eingeräumt. In Hunderten Fällen seien die Mitbestimmungsrechte des
Personalrats missachtet worden. In Zukunft soll der Personalrat wieder
beteiligt werden. Ein Mitarbeiter des Bamf, der anonym bleiben will,
kritisiert: „Jahrelang wurde hier versäumt, Personal einzustellen.“ Jetzt
könne es nicht schnell genug gehen. „Das ist ein Fehler der Politik.“
## Die Kündigungen? Ein „normaler Vorgang“
Das Bamf rechtfertigt sich: „Deutschland stand im letzten Jahr mit über
einer Millionen Asylsuchenden vor einer besonderen Herausforderung“, sagte
eine Sprecherin der taz. Zu den einzelnen Kündigungen in Berlin wollte die
Behörde nicht Stellung nehmen, sprach aber von einem „normalen Vorgang.“
Bundesweit seien nur um 5 Prozent der Neueingestellten betroffen. Die
Kündigungen würden zeigen, „dass wir über das Einstellungsverfahren hinaus
die Qualität der Bewerber prüfen“, sagte ein Sprecher dem BR.
Sacher wundert sich, wie das Bamf in den drei Wochen seiner Schulung zu
dieser Einschätzung gekommen ist. „Die Schulung war zum größten Teil
frontal. Und die Bescheide, die wir testweise schreiben sollten, wurden
nicht gelesen. Uns wurde gesagt, dafür habe niemand Zeit.“ Sacher glaubt,
dass nicht für alle neuen Mitarbeiter Büroraum zur Verfügung stand. Zudem
ist er überzeugt, dass auch nach politischen Kriterien ausgesiebt wurde.
Gekündigt worden seien jene, die sich in der Schulung kritisch geäußert
hätten. Einer von ihnen hatte gefragt, warum zehn Asylbewerber aus einem
Herkunftsland auf denselben Termin geladen würden, obwohl diese dann sehr
lange warten müssten. „Die wollen etwas, die können auch warten“, habe ein
Ausbilder geantwortet, und: „Wir brauchen hier niemanden, der Strukturen
infrage stellt, sondern welche, die Anhörungen machen.“
## Asylbewerbern lieber nicht die Hand geben
Sacher war auch überrascht, wie im Bamf über die Antragsteller gesprochen
wurde. Ein Teamer, der seine Schulung durchführte, empfahl, den
Asylbewerbern nicht die Hand zu geben: wegen übertragbarer Krankheiten.
„Schützen Sie sich, schützen sie andere“, habe ein anderer Ausbilder
ergänzt. Er habe empfohlen, zwei Schreibtische zwischen sich und die
Antragssteller zu stellen. So vermeide man die Begrüßung.
Sacher glaubt deshalb, dass die Zustände im Bamf nicht allein dadurch
besser werden, dass in Zukunft der Personalrat wieder an Einstellungen
beteiligt wird.
25 Jun 2016
## AUTOREN
Kersten Augustin
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
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Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
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