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# taz.de -- Beratung durch Computerprogramme: Ein Chatbot für Flüchtlinge
> Ein 19-Jähriger entwickelte einen Bot, der Falschparker vor Knöllchen
> retten soll. Jetzt will er damit Flüchtlingen beim Asylantrag helfen.
Bild: Künstliche Intelligenz oder doch lieber Menschenverstand?
Joshua Browder ist 19 Jahre alt. Aufgewachsen ist er in einem Stadtteil
Londons. Diesen September wird er ein Studium in Wirtschaft und Informatik
beginnen. Soweit klingt das nach einem ganz normalen Teenager. Googelt man
ihn jedoch, dann findet man seinen Namen nicht nur in Artikeln namenhafter
Medienhäuser, wie der Washington Times, des Guardians oder des Independet
wieder – sondern auch als Programmierer einer Website. „Robin Hood des
Internets“, nennt ihn BBC deshalb. Ein 19-jähriger Retter der Bedürftigen?
Für bislang rund 160.000 Londoner und New Yorker ist er das. Denn seine
ursprüngliche Mission war es, vermeintliche Falschparker vor einem
Knöllchen zu bewahren. Diese Hilfe hat man in London nötig, denn für ein
mal falsch parken kann man, laut Daily Mail, schon mal umgerechnet bis zu
145 Euro blechen. Wer wissentlich falsch parkt, dem kann auch Joshua nicht
helfen. Wer allerdings zu kleine Parkplätze findet, kein „Parken
verboten“-Schild sieht oder eine Klausel auf dem Strafzettel nicht
versteht, für den hat er einen Chatbot entwickelt – einen „Robo-Anwalt“,
für die, die sich keinen echten leisten können. Auf Joshua Browders Website
[1][DoNotPay] kann man mit diesem Bot chatten, der Fragen zum Parkvorgang
stellt. Wenn er ein Schlupfloch gefunden hat, bietet er einen fertigen
Antrag auf Erlassung des Knöllchens an, den man dann an das zuständige Amt
schicken kann – mit angeblich 64 prozentiger Erfolgsquote. Der Bot kann
mittlerweile auch dabei helfen, sich die Kosten für einen gecancelten Flug
rückerstatten zu lassen.
Der junge Entwickler hat sich allerdings noch höhere Ziele gesteckt, als
Falschparker vor dem Schuldenberg zu retten: Er möchte seinem Robin Hood
Image alle Ehre machen und „nicht nur für die Rechte von Verbrauchern
kämpfen, sondern für Menschenrechte“. Den ersten Schritt hat er bereits
getan: Seine Entwicklung hilft HIV-positiven Menschen dabei, ihre Rechte zu
wahren. Sie können ihrem Sexualpartner mithilfe des Bots im Vorhinein ein
[2][Dokument zusenden], in dem dieser von der Erkrankung in Kenntnis
gesetzt wird. Somit soll, laut Webseite, ausgeschlossen werden, dass ein
Sexualpartner hinterher vor Gericht gehen kann weil er nichts von der
Krankheit wusste.
Flüchtlingshilfe auf Robo-Art
Browder arbeitet bereits an seinem nächsetn Hilfsprojekt: Er will vor allem
syrischen Flüchtlingen mit einer veränderten Version des Chatbots dabei
helfen, einen Asylantrag zu stellen. Mit dieser Hilfestellung trifft der
junge Entwickler auch hierzulande einen Nerv. Das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge (Bamf) steht bei der Bearbeitung von Asylanträgen immer
wieder in Kritik: Es sei überlaufen, die Mitarbeiter schlecht ausgebildet.
Aktuell bleiben rund 460.000 Asylanträge unbearbeitet, wie die taz kürzlich
berichtete. Wer einen Asylantrag im Erstaufnahmelager ausfüllen möchte,
muss sich außerdem auf einen Dolmetscher verlassen, der das Beamtendeutsch
übersetzt. Könnte ein Bot dafür sorgen, menschliche Fehler zu vermeiden und
Ordnung in das Chaos zu bringen?
Die neue Version des Chatbots wird nicht direkt in das Asyl-System
eingreifen, wie sie es bei den Knöllchen tut. Stattdessen soll der Bot
Flüchtlingen im Chat Informationen über ihr Recht auf Asyl bieten. In
Großbritannien will der Entwickler auch dabei helfen, mögliche Folgen für
das Asylsystem nach dem Brexit kenntlich zu machen, wie er dem Onlineportal
Quarz erzählt.
In Deutschland gibt es bereits einige Webseiten, die dabei helfen sollen,
den Ablauf des Asylverfahrens zu verstehen. So zum Beispiel [3][die Seite
des Informationsverbunds Asyl und Migration] und [4][die des Münchner
Flüchtlingsrats], die Informationen bereitstellen. Der Kölner
Flüchtlingsrat hat außerdem mithilfe einiger Filmemacher [5][einen Film
über die Anhörung beim Bamf produziert] – in 14 Sprachen.
## Hilfsplattformen sind wichtig
Bernd Mesovic, Stellvertretender Geschäftsführer von Pro Asyl ist
skeptisch, wenn es um automatisierte Hilfen bei Asylanträgen geht: „Die
Hektik der deutschen Rechtsgebung ist im Inland schon schwer zu greifen,
wie soll ein Roboter da mitkommen?“. Es habe immerhin einen Grund, warum
Beratungsstellen und Anwälten die Türen eingerannt werden. Der Entwickler
müsste schon sehr nah mit deutschen Juristen zusammenarbeiten und immer die
neuesten Entwicklungen kennen: „Man hat eine große Verantwortung, keine
falschen Informationen preiszugeben“. Außerdem gebe es Formulierungen, die
häufig keine direkten Übersetzungen haben und erklärt werden müssten.
Trotzdem seien solche Hilfsplattformen wichtig, um den Menschen den groben
Ablauf zu erklären. Ein echtes Gespräch, vor allem wenn es um Einzelfälle
geht, könne das aber wahrscheinlich nicht ersetzen: „Viele surfen vor einem
Arztbesuch auch durch Internetforen. Beruhigt sind sie danach trotzdem
nicht“.
Das zeigt sich auch bei einem anderen Chatbot, den zwei niederländische
Programmierer speziell für Flüchtlinge entwickelt haben. Er soll
psychologische Hilfe leisten, wenn sonst keiner da ist, wie die digitale
Plattform Tech Insider bereits 2015 berichtete. Der Bot chattet mit
Flüchtlingen, die über ihre Probleme sprechen möchten. Sollte sich während
des Gesprächs zeigen, dass der Flüchtling gefährdet ist, sendet der Chatbot
eine Nachricht an einen zuständigen Psychologen, denn psychologische
Beratung kann er nicht ersetzen.
Joshua Browder möchte noch in diesem Jahr beide Versionen seiner Chatbots
auch in Deutschland einführen. Dass seine Idee so große Wellen schlägt,
bringt das eigentliche Problem zum Vorschein: Der, der dafür zuständig sein
müsste, Straßen korrekt zu beschildern, Parktickets verständlich zu
beschriften und Flüchtlinge über ihre Rechte aufzuklären ist der Staat –
und kein Chatbot, programmiert von einem Schüler.
1 Jul 2016
## LINKS
[1] http://www.donotpay.co.uk/signup.php
[2] http://www.donotpay.co.uk/disclose/disclose.php
[3] http://www.asyl.net/index.php?id=329
[4] http://muenchner-fluechtlingsrat.de/infobus/infokontakt/
[5] http://www.asylindeutschland.de/de/film-2/
## AUTOREN
Michelle Sensel
## TAGS
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