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# taz.de -- Onlineangebote für Flüchtlinge: Sommer der Innovation
> Vor einem Jahr entstanden viele digitale Angebote für Geflüchtete. Was
> ist aus den Diensten im Internet geworden?
Bild: Auf der Flucht, aber auch nach der Ankunft sind Smartphone und Internet f…
Moustafa Abdulrazzak lebt seit dem vergangenen Herbst in Dresden. Zunächst
als Asylsuchender in einem Flüchtlingslager. Wie viele Asylbewerber*innen
brauchte Abdulrazzak zunächst vor allem eines: einen Bleiberechtsanwalt.
Den fand er online, über die Infoplattform [1][Afeefa.de].
Dahinter verbirgt sich eine digitale Dresdner Stadtkarte. Die Website
vermittelt reine Informationen. Der Hintergedanke: In Dresden gibt es
bereits viele Initiativen, die gute Arbeit machen. Geflüchtete müssen sie
aber finden. „Wir wollen einen Prozess unterstützen und ihn nicht
ersetzen“, sagt Clara Burkhardt, die Mitglied des Teams ist. Das Team setzt
auf den direkten Austausch mit potenziellen Nutzer*innen, sprach mit
Geflüchteten in Heimen und Erstaufnahmeeinrichtungen, mit
Sozialarbeiter*innen, mit dem Roten Kreuz.
Von der Idee bis zur ersten Version verging ein halbes Jahr, Anfang Juni
2015 ging die Karte online. Hauptamtliche und Unterstützer*innen sollen
über die Karte in Kontakt kommen. Und natürlich Asylsuchende wie Moustafa
Abdulrazzak. Sie alle können dort Informationen eintragen: Wo finden
Sprachkurse statt, wie finde ich einen Rechtsanwalt, wer kommt am
Wochenende mit zum Joggen an der Elbe? Afeefa gibt es auf zehn Sprachen –
zumindest theoretisch. „Wir schaffen es momentan leider nicht, die neuen
Einträge auf alle Sprachen zu übersetzen“, sagt Burkhardt. 9 von 10
Einträgen kommen von den Nutzer*innen selbst und müssen moderiert und
übersetzt werden. Die Übersetzer*innen arbeiten ehrenamtlich. Wie in so
vielen Einrichtungen.
Ein Rückblick. Im Sommer 2015 hat das ehrenamtliche Helfen Konjunktur, in
der realen Welt genauso wie in der virtuellen. Hilfsangebote koordinieren,
Wohnungen vermitteln, Adressen sammeln: Die Zahl an digitalen Diensten für
Geflüchtete ist im vergangenen Jahr rasant gestiegen. Rund 100 Plattformen
haben Engagierte, Behörden und Social-Start-ups auf den Weg gebracht. Die
Medien fungieren als Geburtshelfer, präsentieren vieles davon als
Innovation für die gute Sache.
Inzwischen ist die Zahl neu Ankommender gesunken und mit ihr die
Hilfsbereitschaft. Deutschland wechselt vom Ausnahme- in den Normalzustand.
Aber wie steht es um die Willkommenskultur im Netz?
## Tausende unbearbeitete Anfragen
Ein weiterer Rückblick. Im November 2014 geht die Internetseite
„[2][Flüchtlinge Willkommen]“ online. Sie ist eines der ersten digitalen
Projekte, lange bevor von „Flüchtlingskrise“ die Rede ist. Die Idee: Wohnen
in WGs oder bei Familien, raus aus den Sammelunterkünften. Die
Medienresonanz ist groß, bereits zwei Tage nach dem Launch geben die
Initiator*innen die ersten Interviews.
Aber die Abhängigkeit von der Berichterstattung wird für „Flüchtlinge
Willkommen“ auch zum Problem. „Es ist ein ewiger Kreislauf“, sagt
Mitinitiatorin Mareike Geiling. „Berichten die Medien, steigt die Zahl der
Anmeldungen, woraufhin die Medien wieder berichten.“ Hunderte WGs, Familien
und Alleinstehende melden sich jeden Monat. Im September 2015 wird der
Höhepunkt erreicht: 1.000 neue Einträge registriert die Plattform von
potentiellen Wohnungsgeber*innen. „Das war mit unserem kleinen Team nicht
mehr zu bewältigen“, sagt Geiling. Viele Angebote gehen zu dieser Zeit
unter.
Auch die Anfragen von Geflüchteten schnellen hoch. „Zum Teil haben uns
Leute schon aus Libyen, Syrien oder Ägypten kontaktiert“, sagt Geiling.
Mehrere tausend Anfragen liegen momentan in der Datenbank. Die Zahl der
erfolgreichen Vermittlungen ist im Vergleich dazu niedrig, seit dem Start
sind es gerade mal 340. Oft passen Vorstellungen und Wünsche nicht zusammen
oder die Asylsuchenden sind nicht mehr kontaktierbar. Auch die hohen
bürokratischen Voraussetzungen sind ein Problem.
Zuletzt sind die Anmeldungen wieder deutlich zurückgegangen. Im Mai diesen
Jahres haben sich nur 58 Wohnungsgebende neu registriert. Die
Spendengelder, mit denen sich das neunköpfige Team bis jetzt ausschließlich
getragen hat, gehen trotzdem bald aus. Für die Zeit danach schreiben sie
gerade Förderanträge.
## Früher Erfolg mit Til Schweigers Hilfe
Die Helfer*innen-Plattform [3][ichhelfe.jetzt] steht finanziell besser da.
Es hakt dennoch. Ichhelfe.jetzt ist deutschlandweit als Tauschbörse für
Sach- und Zeitspenden zwischen Helfer*innen und Hilfsorganisationen
angelegt worden. Als das Portal im August 2015 in Dresden startet, ist der
Bedarf offensichtlich. Um diese Zeit werden die ersten
Flüchtlingsunterkünfte angegriffen, in Heidenau randalieren Rechtsradikale.
Wieder sind die Medien da: die Tagesschau, die großen Zeitungen. Im Januar
spricht sich Til Schweiger für das Projekt aus, natürlich auch öffentlich.
„Das fand zu einem Zeitpunkt statt, an dem die Plattform noch nicht
ausgereift war“, sagt Mandy Pearson von ichhelfe.jetzt. 27.000 Angebote für
Sach- und Zeitspenden sind seitdem aus ganz Deutschland eingegangen; das
Projekt hat Mühe, sie an Hilfsorganisationen zu vermitteln. Im Raum Dresden
werden nur die Hälfte aller potentiellen Spender*innen überhaupt von
Organisationen kontaktiert. Ob die Hilfe dann auch in Anspruch genommen
wird, ist nicht erfasst. Seit ein paar Monaten nimmt die
Spendenbereitschaft jedenfalls ab – das scheint jedoch im Moment eher eine
Erleichterung zu sein. Zu oft standen Angebot und Nachfrage in einem
Missverhältnis. Und nicht alle Angebote sind zielführend. Organisationen
suchen häufig Menschen, die für einen längeren Zeitraum flexibel einsetzbar
sind. Das sind die meisten Helfer*innen aber nicht. Viele Angebote sind
daher unattraktiv und bleiben unbeantwortet. Die Folge: „Es kommt vor, dass
potenzielle Helfer, die kurzfristig einspringen könnten, ungeduldig werden,
weil sich niemand bei ihnen meldet“, sagt Pearson.
Der Ansatz von [4][Afeefa] scheint hingegen zu funktionieren. 2.000
Besucher*innen hat die Seite pro Monat, seit einem Jahr nun schon. Mustafa
Abdulrazzak zufolge ist Afeefa für viele Geflüchtete in Dresden eine
Unterstützung. „Die Flüchtlinge kennen Afeefa und erzählen sich gegenseitig
davon“, sagt er. In Dresden wohnen derzeit etwa 5.000 Asylsuchende, hinzu
kommen anerkannte Geflüchtete und Unterstützer*innen, die die Seite nutzen.
Mittlerweile fördert das Land Sachsen das Projekt, bezahlt zunächst für ein
Jahr zwei volle Stellen. Auch Moustafa Abdulrazzak ist weiterhin voll
überzeugt. Er ist Informatiker und hat angeboten, für Afeefa eine App zu
programmieren.
5 Aug 2016
## LINKS
[1] https://afeefa.de/
[2] http://www.fluechtlinge-willkommen.de/
[3] https://ichhelfe.jetzt/
[4] https://afeefa.de/
## AUTOREN
Jonas Seufert
## TAGS
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