# taz.de -- Buch über ruandischen Kriegsverbrecher: Blinder Fleck Afrika | |
> Aus dem deutschen Asyl heraus befehligte Ignace Murwanashyaka seine | |
> Truppen im Kongo. Die Behörden merkten lange nichts. | |
Bild: Ihr Vorbild war Deutschland: FDLR-Eliteeinheiten in kongolesischer Uniform | |
Berlin taz | „Deutschland duldet Terrorchef“, [1][titelte die taz am 23. | |
April 2008]. Es ging um Ignace Murwanashyaka, politischer Flüchtling aus | |
Ruanda in Mannheim und zugleich Präsident einer bewaffneten Organisation | |
mitten in Afrika, in der sich die ehemaligen Täter des Völkermords an den | |
Tutsi neu gruppiert hatten. | |
Die „Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas“ (FDLR) hatten sich im | |
benachbarten Kongo niedergelassen und terrorisierten dort die | |
Zivilbevölkerung. Der taz-Bericht prangerte an, dass Murwanashyaka die | |
Geschäfte dieser äußerst gewalttätigen Miliz im Ostkongo unbehelligt von | |
Deutschland aus führen konnte, obwohl er seit Jahren mit scharfen | |
UN-Sanktionen belegt war. | |
Anderthalb Jahre später, am 17. November 2009, wurde Ignace Murwanashyaka | |
im Morgengrauen verhaftet. Und am 28. September 2015 verurteilte das | |
Oberlandesgericht Stuttgart den Ruander als Rädelsführer einer | |
terroristischen Vereinigung zu 13 Jahren Haft. Das Urteil ist noch nicht | |
rechtskräftig, aber Murwanashyaka sitzt im Hochsicherheitstrakt des | |
Gefängnisses Stuttgart-Stammheim, mittlerweile im siebten Jahr. | |
Das alles hat sehr lange gedauert – und es hätte nie so weit kommen dürfen. | |
Man kann der taz schlecht vorwerfen, dass sie dereinst als erste Zeitung in | |
Deutschland etwas thematisierte, was in Ruanda und Kongo selbst sowie bei | |
der UNO schon lange bekannt war und für Empörung sorgte. Aber erst nach der | |
taz nahmen sich in Deutschland auch andere Medien des Themas an, der | |
Generalbundesanwalt nahm verdeckte Ermittlungen auf. | |
## Jede Woche brannten im Ostkongo Dörfer | |
Die Mühlen der Justiz mahlten bereits im Verborgenen, als im Frühjahr 2009 | |
die FDLR erstmals Ziel wirksamer Militärschläge der kongolesischen und | |
ruandischen Armeen wurde, ihre beiden Hauptquartiere im ostkongolesischen | |
Dschungel verlor und aus Rache die lokale Bevölkerung mit einem | |
Terrorfeldzug überzog: Jede Woche brannten damals im Ostkongo Dörfer, | |
Menschen wurden in ihren Hütten grausam abgeschlachtet, Hunderttausende | |
mussten fliehen. | |
Es waren diese Verbrechen, die die FDLR-Führung in Deutschland letztendlich | |
vor Gericht brachten. Noch vor Prozessbeginn enthüllten weitere | |
Detailrecherchen in der taz das Ausmaß der Verstrickung der Angeklagten in | |
diese Kriegsverbrechen. | |
Eine der brutalsten Kriegsparteien in einem der grausamsten Kriegsgebiete | |
der Welt siedelte also ihre politische Spitze in Deutschland an, und diese | |
konnte von hier aus entgegen allen UN-Sanktionen oder deutschen | |
Behördenauflagen ihre Ämter ausüben. Der deutschen Öffentlichkeit ist das | |
alles bis heute weitgehend unbekannt, und politische Konsequenzen werden | |
aus dem Skandal schon gar nicht gezogen. | |
## Deutschlands als Quelle politischer Legitimität | |
Die deutsche Fähigkeit, vor unliebsamen Phänomen in der eigenen | |
Gesellschaft beide Augen zuzudrücken, ist spätestens seit der Entdeckung | |
der rechtsextremen Terrorzelle NSU ein politisches Problem von höchster | |
Brisanz. Im Falle der FDLR geht es nicht um terroristische Morde in der | |
Bundesrepublik, sondern um die Instrumentalisierung Deutschlands als Quelle | |
politischer Legitimität für eine der brutalsten bewaffneten Gruppen | |
Afrikas. | |
Es geht darum, dass die wichtigsten Völkermordtäter Ruandas, nachdem sie in | |
den Kongo geflohen waren und sich dort ein neues politisches Gesicht in | |
Form der FDLR zulegten, Deutschland als ihr europäisches Gastland Nummer | |
eins auswählten. Indem ihr Präsident in Deutschland weilte und von dort aus | |
regierte, gewannen die Kämpfer im Kongo die Gewissheit, international | |
anerkannt zu sein und unterstützt zu werden. | |
Die FDLR wurde formell am 1. Mai 2000 auf einem Kongress im Kongo | |
gegründet, mit dem Segen der dortigen Regierung. Rechtzeitig davor | |
beantragte der als ihr außenpolitischer Vertreter designierte Ignace | |
Murwanashyaka, seit den 1980er Jahren Student in Deutschland und politisch | |
aktiv, im Februar 2000 politisches Asyl in der Bundesrepublik. Er erhielt – | |
rekordverdächtig schnell – schon im März den begehrten Status als | |
politischer Flüchtling und im April einen deutschen Reisepass, alles von | |
denselben deutschen Behörden, die erst sechs Jahre vorher die meisten | |
Asylanträge von vor dem Völkermord fliehenden Tutsi aus Ruanda abgelehnt | |
hatten, weil deren kollektive Tötung keine individuelle politische | |
Verfolgung darstelle. | |
2001 stieg Murwanashyaka zum Präsidenten der FDLR auf. Die Miliz begann | |
alsbald, sich im rechtsfreien Raum der Wälder Ostkongos mit Waffengewalt | |
und Terror einen Staat im Staate aufzubauen – als Vorstufe zur als | |
„gottgewollt“ bezeichneten Rückeroberung Ruandas für die Hutu. Zu seinem | |
Stellvertreter erkor Murwanashyaka einen ebenfalls im deutschen Exil | |
lebenden alten Freund: Straton Musoni, der FDLR-Vizepräsident wurde, | |
während er in Baden-Württemberg Computer wartete – zeitweise ausgerechnet | |
im Stuttgarter Justizministerium. | |
## Rebellengeneral mit Bundeswehrausbildung | |
Deutschland war nicht nur politisches Asylland der FDLR, sondern auch ihr | |
militärisches Vorbild. Während Präsident Murwanashyaka als höchster | |
politischer Führer in Deutschland weilte, anerkannt als Flüchtling mit | |
deutschem Pass, war der höchste Militärführer der FDLR im Kongo ein einst | |
an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg ausgebildeter ruandischer | |
Offizier: General Sylvestre Mudacumura, während des Völkermords von 1994 | |
Mitglied der besonders stark in die Massaker verwickelten Präsidialgarde. | |
Mudacumura übt sein Amt bis heute aus. Beim Frühappell begrüßt er seine | |
Milizionäre gern mit einem gebrüllten „Guten Morgen!“. Es ist ihm gelunge… | |
ruandischen Urwaldkämpfern bei der Bundeswehr gelernte deutschen Tugenden | |
einzutrichtern. | |
Zu ihren Blütezeiten pflegte die FDLR – einzigartig in den Wirren des Kongo | |
– eine vom großen deutschen Vorbild abgeguckte Bürokratie. Sie etablierte | |
Regeln für das Archivieren von Funksprüchen, das Abführen von | |
Plündereinnahmen, für Fronturlaub und Eheschließungen, mit in | |
Baden-Württemberg auf Bestellung gefertigten amtlichen Stempeln, alles | |
überwacht vom Präsidenten in Deutschland, der die Kämpfer im Kongo zu | |
Disziplin und Gottesfurcht ermahnte. | |
Die zutiefst christliche, nationalistische und rassistische FDLR verehrte | |
die deutsche Wehrmacht und gab ihren Offizieren Kriegsnamen wie „Rommel“; | |
sie bejubelte den Wahlsieg der Christdemokratin Angela Merkel im Jahr 2005, | |
unterstützte wahlweise Bayern München oder den VfB Stuttgart und | |
verbreitete ihre kruden Pamphlete und Erklärungen immer auch in deutscher | |
Sprache. | |
Muss es nicht zu denken geben, mit was für einem Deutschlandbild da im | |
Herzen Afrikas hantiert worden ist und wofür es diente? Gerade die | |
Äußerungen „Präsident“ Murwanashyakas vom deutschen Exil aus, die währe… | |
des Stuttgarter Gerichtsverfahrens öffentlich wurden, zeugen von einem | |
schon fast größenwahnsinnigen Sendungsbewusstsein der FDLR: Die Miliz | |
stellt sich als Träger eines göttlichen Plans dar und hält damit ihre | |
eigenen Kämpfer und Kader zu absolutem Gehorsam an – während sie zugleich | |
eine grenzenlose Bereitschaft zu extremer Gewalt an den Tag legt. Und sie | |
ging davon aus, die Welt stehe auf ihrer Seite. | |
## Ermittlungen wurden aufgenommen und wieder eingestellt | |
Vor diesen Tatsachen verschlossen deutsche Behörden jahrelang die Augen. | |
Öffneten sie sie für einen Moment, dann schreckten sie vor Konsequenzen | |
zurück. Ermittlungen wurden aufgenommen und wieder eingestellt; Asyl | |
aberkannt und dann der Einspruch dagegen jahrelang aufrechterhalten; | |
Auslieferungsbegehren aus Ruanda abgewiesen. | |
Seinen Status als politischer Flüchtling verlor Murwanashyaka erst, als er | |
schon im Gefängnis saß. Noch 2008 konnten deutsche Bundestagsabgeordnete in | |
den Kongo reisen und sich dort blamieren, weil sie nicht wussten, dass der | |
FDLR-Führer in Deutschland lebt. Dies miterlebt zu haben war der | |
unmittelbare Anlass für die taz-Schlagzeile vom 23. April 2008. | |
Nun sitzt Murwanashyaka in deutscher Haft. Ein erstes Urteil ist gefallen, | |
die juristische Aufarbeitung hat begonnen. Aber eine politische | |
Aufarbeitung der eigenartigen Rolle Deutschlands im Herzen Afrikas gibt es | |
nicht. Die Bundesrepublik ist ein Land, das es jahrelang nicht einmal | |
merkt, wenn es 6.000 Kilometer entfernt von Verbrechern als Vorbild verehrt | |
wird. | |
6 Jun 2016 | |
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## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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