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# taz.de -- Analyse FDLR-Urteil: Ein Urteil voller Widersprüche
> Die Richter erklären die FDLR zur terroristischen Vereinigung.
> „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ habe sie aber nicht begangen.
Bild: Die aktuelle deutsche Strafprozessordnung taugt nicht für die Aufklärun…
Wirklich stimmig ist das Urteil nicht, das der 5. Strafsenat des OLG
Stuttgart am Montag zum Abschluss eines der längsten und teuersten Prozesse
der deutschen Rechtsgeschichte ein in sich nicht wirklich stimmiges Urteil
[1][gefällt hat]. Der Senat unter Vorsitz von Richter Jürgen Hettich sprach
die beiden in Deutschland lebenden politischen Führer der im Kongo
kämpfenden ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräftezur Befreiung
Ruandas) zwar wegen „Rädelsführerschaft einer terroristischen Vereinigung“
schuldig.
Aber anders als von der Anklage gefordert und von
Menschenrechtsorganisationen erhofft, gab es keine Verurteilung von
FDLR-Präsident Ignace Muwarnashyaka als Vorgesetzter seiner Truppen, die
Kriegsverbrechen im Osten der Demokratischen Republik Kongo verübt haben –
die sogenannte „Vorgesetztenverantwortlichkeit“, Grundlage aller
internationalen Kriegsverbrechertribunale. Und der 1. FDLR-Vizepräsident
Straton Musoni verließ das Gericht als freier Mann, weil er seine
Haftstrafe von acht Jahren bereits zu mehr als zwei Dritteln in der
Untersuchungshaft abgesessen hat.
Was die über vier Jahre lang in Stuttgart durchleuchteten Verbrechen der
FDLR im Kongo angeht, waren die Richter eindeutig in ihrem Urteil. Es
bestehe kein Zweifel daran, dass FDLR-Truppen im Jahr 2009 in den
ostkongolesischen Dörfern Mianga, Busurungi, Ciriba und Manje Zivilisten
ermordet hätten, führte Richter Hettich aus und folgte bei der Beschreibung
des Tatgeschehens weitgehend dem Vortrag der Anklage. Dass weitere in der
Anklage genannte Orte nicht mehr behandelt würden, sei allein eine
Zeitfrage geweseen: Man habe zwei Drittel des Verfahrensstoffs ausscheiden
müssen, um überhaupt zum Ende zu kommen – sonst hätte es „locker vier
weitere Jahre“ gehen können, sagte er.
Die FDLR habe, als Kongos Regierung im Jahr 2009 gegen sie in den Krieg
zog, kongolesische Zivilisten, die mit Kongos Armee zusammenarbeitete, als
Feinde behandelt: ihre Kämpfer hätten nachts Dörfer angegriffen, in denen
kongolesisches Militär stationiert war; sie seien in die Häuser
eingedrungen, hätten die Bewohner mit Hieb- und Stichwaffen getötet oder
lebendig in ihren Hütten verbrannt und ihr Güter geplündert.
## Zivilisten nicht „primäres Objekt“
„Nachts im Dunkeln mit automatischen Gewehren auf menschliche Ziele feuern,
ohne zu unterscheiden, ob es Soldaten oder Zivilisten sind“, sei nach VStGB
§8.1.1 strafbar (“Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder
nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine nach dem humanitären
Völkerrecht zu schützende Person tötet“).
Die Schutzbehauptung ehemaliger FDLR-Kämpfer, die als Zeugen vor Gericht
erläutert hatten, Munition könne nicht zwischen Soldaten und Zivilisten
unterscheiden, wischte der Vorsitzende beiseite: „Es ist nicht Aufgabe der
Munition, zwischen Zivilisten und Soldaten zu unterscheiden, sondern das
ist Aufgabe des die Schüsse abgebenden Soldaten.“
Aber, so der Richter weiter: Nicht die Zivilbevölkerung sei „primäres
Objekt“ dieser Angriffe gewesen, sondern die Soldaten in den fraglichen
Dörfern. Der „zivile Charakter“ der angegriffenen Gruppe müsse klar
überwiegen, damit die Angriffe als „ausgedehnter und systematischer
Angriffauf die Zivilbevölkerung gewertet und damit zu „Verbrechen gegen die
Menschlichkeit“ erklärt werden könnten. Dies sei hier höchstens bei der
Systematik der Fall, aber ansonsten nicht: man könne nicht feststellen,
„dass in den fünf angegriffenen Dörfern der zivile Charakter überwog“, da
die kongolesische Armee FARDC mitten in den Dörfern mit schweren Waffen
stationiert gewesen sei. Also komme VStGB §7 über „Verbrechen gegen die
Menschlichkeit“ nicht zur Anwendung,sondern lediglich §8 über
„Kriegsverbrechen“.
Bei der Schilderung des Tatgeschehens hatte der Richter zuvor allerdings
ausgeführt, dass bei den Angriffen der FDLR die kongolesischen
Armeesoldaten immer schnell die Flucht ergriffen hätten und sich die FDLR
danach die Zivilbevölkerung vorgenommen habe. Zum schwersten in der Ankalge
genannten Angriff, der Zerstörung des Dorfes Busurungi in der Nacht zum 10.
Mai 2009 mit mindestens 96 Toten, hatte er gesagt, es bestehe „kein
vernünftiger Zweifel, dass die Soldaten den Befehl hatten, die Siedlung in
Brand zu setzen“ und die Zivilisten seien „keine Kollateralschäden“
gewesen, sondern seien „gezielt angegriffen“ worden.
## Kein Befehl zur „humanitären Katastrophe“
Der Senat hält es nicht für erwiesen, dass es einen allgemeinen Befehl an
die FDLR-Einheiten gab, eine „humanitäre Katastrophe“ anzurichten – der
berüchtigte „Annex 18“ zu einem UN-Bericht aus dem Jahr 2009, der ein
wichtiges Thema in der Verhandlung gewesen war. Die Anklage hatte gesagt,
dieser Befehl sei der Beweis dafür, dass die oberste Führung – also auch
Präsident Murwanashyaka als Oberbefehlshaber der FDLR-Streitkräfte – eine
gezielte Strategie angeordnet hätten, Zivilisten zu töten. Die Verteidigung
hatte bestritten, dass es diesen Befehl je gegeben hätte. Befragte
ehemalige FDLR-Kämpfer hatten sich dazu unterschiedlich geäußert.
„Mehrere Zeugen haben ihn bestätigt“, so der Richter jetzt dazu. „Aber d…
er Grundlage für Angriffe auf zivile Dörfer gewesen wäre, um eine
humanitäre Katastrophe auszulösen, wurde so von keinem er Zeugen
geschildert.“ Vielmehr seien die FDLR-Angriffe auf einzelne Dörfer immer
eine Reaktion auf vorherige Angriffe der kongolesischen Armee FARDC aus
diesen Dörfern heraus gewesen – sogenannte „Strafoperationen“ (opératio…
punitives). Dabei sei die Zivilbevölkerung in diesen Dörfern als Feind
behandelt worden. Dass die Regelwerke der FDLR-Armee Straftaten an
Zivilisten verbieten, sei unerheblich: „Entscheidend ist die tatsächliche
Umsetzung dieses Regelwerks.“
## Systematische Plünderungen
Es gab auch eine systematische Strategie der FDLR, die kongolesische
Zivilbevölkerung in den nicht von ihr kontrollierten Gebieten
auszuplündern, um sich dadurch selbst zu versorgen – mit Lebensmitteln oder
mit Waren, die für Geld verkauft werden konnten, um sich damit Medikamente,
Büromaterial und andere Dinge zu besorgen. Die Beute sei nach festen
Schlüsseln verteilt worden., die plündernden Soldaten hätten die Beute
abgeben müssen.
Diese „Verpflegungsoperationen“ (opérations de ravitaillement) habe es ab
1998 gegeben und seien „planvoll und auf Befehl der Armeeführung“
durchgeführt worden; dies sei „in den Köpfen der Soldaten verankert“.
## Murwanashyaka kein Befehlshaber
Es sei nicht belegt, dass FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka – ein in
Deutschland lebender Politiker – die Soldaten seiner Miliz daran hätte
hindern können, diese Verbrechen zu begehen. Murwanashyaka habe zwar von
den Verbrechen gewusst und sie gebilligt, aber ihm „fehlt es an Kontrolle
im Sinne einer Tatverhinderungsmacht“, so die Richter. Daher sei er nicht
als Vorgesetzter zu verurteilen, also wie ein Täter nach VStGB §4.1: „Ein
militärischer Befehlshaber oder ziviler Vorgesetzter, der es unterlässt,
seinen Untergebenen daran zu hindern, eine Tat nach diesem Gesetz zu
begehen, wird wie ein Täter der von dem Untergebenen begangenen Tat
bestraft.“ Der Senat habe „erhebliche Zweifel“, dass Murwanashyaka dazu d…
„faktisch ausübbare Möglichkeit, Anweisungen zu erteilen und auch
duchzusetzen“gehabt habe.
Daher sei er lediglich wegen „Beihilfe“ hzu verurteilen. Dies sei
einerseits physische Beihilfe, durch da Besorgenvon Telefoneinheiten für
Satellitentelefone, und auch „psychische Beihilfe“, die „durch Bestärkung
des Tatentschlusses“ wirksam geworden sei, so die etwas bemüht wirkende
Begründung. Murwanashyaka habe sich vor allem damit beschäftigt, die Taten
der FDLR zu verschleiern und wider besseres Wissen zu dementieren, und dass
er in Europa lebte und dort Interviews gab, habe die Moral der Truppe im
Kongo gehoben.
## FDLR „terroristische Vereinigung“
Eindeutig hingegen sei der Charakter der FDLR als terroristische
Vereinigung und die Verurteilung der beiden Angeklagten als Rädelsführer
aufgrund ihrer Position als die beiden höchsten politischen Führer der
Organisation. Deswegen bekommt Präsident Ignace Murwanashyaka 13 Jahre
Haft, der 1. Vizepräsident Straton Musoni 8 Jahre; nachdem letzterer
bereits knapp sechs Jahre in Untersuchungshaft gesessen hat, gilt diese
Strafe als zu mehr als zwei Dritteln abgesessen, also als verbüßt, und der
Haftbefehl gegen ihn wurde aufgehoben.
Die „Zwecke und Tätigkeit“ der FDLR seien im Tatzeitraum 2008-09, aber
wahrscheinlich schon seit der Gründung der Miliz im Jahr 2000, darauf
ausgerichtet, „Kriegsverbrechen zum Nachteil der kongolesischen
Zivilbevölkerung“ zu begehen, um ihr politisches Ziel der Machtübernahme in
Ruanda zu erreichen, so das Gericht. Anders als von der Verteidigung
vorgebracht, müsse das terroristische Ziel nicht das alleinige Ziel einer
Organisation sein, damit diese als terroristische Vereinigung im Sinne des
Strafgesetzbuches gelte; es reiche, wenn die terroristischen Taten dem
eigentlichen Ziel hälfen, und es genüge auch, dass es den Mitgliedern der
Organisation bewusst ist, dass es „bei der Verfolgung ihrer Pläne zu
terroristischen Taten kommen kann“.
## Widersprüche und Selbstkritik
Der Richter räumte ein, dass zwischen der Verurteilung als „Rädelsführer“
und der wegen „Beihilfe zu Kriegsverbrechen“ ein Widerspruch bestünde –
fast eine förmliche Einladung, Revision einzulegen. Murwanashyakas
Verteidigerin Ricarda Lang sagte der taz nach dem Ende der Verhandlung, sie
habe bereits Revision eingelegt. Der nicht besonders zufrieden wirkende
Bundesanwalt Christian Ritscher sagte, man werde das Urteil „erstmal in
Ruhe analysieren“. Der verurteilte, aber freigelassene FDLR-Vize Straton
Musoni erklärte gegenüber der taz, sein vor drei Jahren ausgesprochener
Rücktritt von seinem FDLR-Amt und sein Austritt aus der FDLR sei
„endgültig“.
Der Stuttgarter Senat scheint mit dem Prozess nicht wirklich zufrieden zu
sein. In der Einleitung seiner Urteilsbegründung übte der Vorsitzende
Richter scharfe Kritik am Verlauf der Hauptverhandlung, die am 4. Mai 2011
begonnen und über vier Jahre gedauert hatte. Die Aufklärung von Straftaten
6000 Kilometer weit weg mit aufwendigen Ermittlungen und
Rechtshilfsersuchen und einer extrem komplexen Beweisaufnahme sei schon
sehr schwierig gewesen. Das Verhalten der Parteien sei zum Teil „unsäglich“
gewesen, das Verfahren sei „mehrmals kurz davor, zu platzen“ gewesen.
„Ein solches Mammutverfahren ist mit den Mitteln der Strafprozessordnung
nicht in Griff zu bekommen“, sagte Hettich und erklärte, seine eigene
Bilanz der Verhandlung sei in vier Worten zusammenzufassen: „So geht es
nicht!“
28 Sep 2015
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[1] /Urteil-im-FDLR-Prozess-in-Stuttgart/!5236145/
## AUTOREN
Dominic Johnson
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