| # taz.de -- 318. Tag FDLR-Kriegsverbrecherprozess: Zum Abschluss Tränen | |
| > Das Schlusswort des 1. FDLR-Vizepräsidenten Straton Musoni verbindet | |
| > Erinnerungen mit Rechtfertigungen. Er hat nichts falsch gemacht, sagt er. | |
| Bild: Straton Musoni, hier zum Auftakt des Prozesses in Stuttgart vor vier Jahr… | |
| STUTTGART taz | Mit ausführlichen Erzählungen aus seinem Leben als | |
| Begründung für sein politisches Engagement hat Straton Musoni, der wegen | |
| Rädelsführerschaft einer terroristischen Vereinigung angeklagte 1. | |
| Vizepräsident der im Kongo kämpfenden ruandischen Hutu-Miliz FDLR | |
| (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), sein „Letztes Wort“ in dem | |
| seit über vier Jahren währenden Prozess gegen die FDLR-Führung vor dem | |
| Oberlandesgericht Stuttgart wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Kongo | |
| einen emotionalen Schlusspunkt gesetzt. | |
| Sogar die sonst gelangweilten Polizisten, die diesen Terrorprozess mit | |
| besonderen Sicherheitsvorkehrungen bewachen, hörten am 14. September | |
| aufmerksam und ergriffen zu, als Musoni aus seiner Kindheit in Ruanda und | |
| auch von seinem Besuch in den ruandischen Hutu-Flüchtlingslagern in Zaire | |
| (heute Kongo) 1994 erzählte. | |
| Er berichtet, wie er 1986 als 15jähriger Schüler zusammen mit seiner großen | |
| Schwester Dorothée dafür sorgte, dass die beiden Kinder einer armen | |
| Nachbarsfamilie bei seinen Großeltern unterkamen, wo sie ausreichend zu | |
| essen hatten. | |
| „Von da an waren es auch meine Kinder“ sagt er. „Für meine Großeltern s… | |
| es wie Enkel geworden.“ Beide seien noch am Leben. Viele seiner direkten | |
| Angehörigen allerdings nicht. | |
| ## Besuch in den Flüchtlingslagern | |
| Viele ruandische Hutu zogen im Juli 1994 ins benachbarte Zaire, als das für | |
| den Völkermord an 800.000 ruandischen Tutsi verantwortliche Regime vor der | |
| Tutsi-geführten Guerilla RPF (Ruandische Patriotische Front) die Flucht | |
| ergriff und sich im Nachbarland niederließ - aus der Armee dieses Regimes | |
| entstand sechs Jahre später die FDLR. Musoni lebte während des Völkermordes | |
| in Deutschland. Im Oktober 1994 reiste er nach Goma, um in den | |
| Flüchtlingslagern rund um die ostzairische Metropole nach seiner Familie zu | |
| suchen. | |
| Über Zufallsbekanntschaften fand er schließlich die Flüchtlinge aus seiner | |
| Heimatgemeinde, nunmehr im Lager Kibumba nördlich von Goma. „Wir haben zwar | |
| vieles überstanden, aber der Tod läuft noch hinter uns her“, gibt Musoni | |
| die Begrüßung seines Onkels wieder, den er als ersten fand. | |
| Dann seine anderen Bekannten. „Sie wollen mir erzählen: der Krieg, die | |
| Tötungen, die Flucht, das Sterben, das Elend, Hunger, Krankheit, | |
| Hoffnungslosigkeit, Angst.. Ich war schockiert und überfordert,“ erzählt | |
| er. „Ich habe Menschen gesehen, von denen mir klar wurde, sie werden diese | |
| Zustände nicht überleben.“ Der Bericht ist anschaulich und erschütternd, | |
| auch wenn komplett ausgeblendet wird, dass sich unter diesen | |
| Hutu-Flüchtlingen auch die Täter des Völkermordes befanden. | |
| Im Lager Kibumba erfährt Musoni, dass seine Großeltern tot sind, seine | |
| Mutter in Ruanda jetzt allein. Seine große Schwester Dorothée starb | |
| ebenfalls in den Lagern; er erfuhr das erst Jahre später. Als er dies | |
| erzählt, bricht seine Stimme, nur mühsam kann Straton Musoni seine Tränen | |
| zurückhalten. „Können wir eine Pause machen?“ fragt er, eine gute Stunde | |
| nach Beginn seines Schlussvortrags. | |
| ## Von der Exilpartei RDR enttäuscht | |
| Nach der Pause wird Musoni küh, ganz der Politiker. Er erklärt sein | |
| Engagement in Hutu-Exilgruppen, vor allem der Exilpartei RDR (Sammlung für | |
| Demokratie und Rückkehr nach Ruanda), in der sich Politiker des | |
| Völkermordregimes sammelten und deren Sprecher er in Deutschland war. Er | |
| erzählt, wie er 1995 im deutschen Kirchenbolanden einen kirchlichen | |
| Friedenspreis entgegennahm. | |
| Er erwähnt, dass die Flüchtlingslager in Zaire 1996 durch die Angriffe von | |
| Ruandas Armee und der zairischen Rebellen von Laurent-Désiré Kabila, Vater | |
| des heutigen kongolesischen Präsidenten Joseph Kabila, zerstört „und | |
| mehrere hunderttausend Flüchtlinge getötet wurden“, wie er behauptet. „Die | |
| RDR hat nicht darauf reagiert.“ Daraufhin habe er mit ihr gebrochen. | |
| Seine Ideen hätten dann ein paar Jahre später „zur Gründung der FDLR | |
| beigetragen“, wie er sagt - Musoni war zusammen mit Murwanashyaka einer der | |
| ganz wenigen zivilen Politiker, die bei der FDLR-Gründung im kongolesischen | |
| Lubumbashi im Jahr 2000 zugegen waren. | |
| Dass die FDLR eine Armee halten würde, sei erst beschlossen worden, als | |
| Kongos Regierung eine Gruppe von zur Demobilisierung zusammengezogenen | |
| ruandischen Hutu-Exilsoldaten in der Basis Kamina im Jahr 2002 angriff. | |
| „Das hat den Entwaffnungsprozss um Jahre zurückgeworfen und ein nicht | |
| auszuräumendes Misstrauen geschaffen“, erinnert sich Musoni. „Das war meine | |
| zweite große Enttäuschung über das, was politisch machbar ist.“ | |
| ## „Bis 2004 nichts von Verbrechen gehört“ | |
| Über sein Amt als 1. Vizepräsident der FDLR, das er von 2004 bis zu seiner | |
| Festnahme in Deutschland 2009 von Deutschland aus ausübte, sagt Musoni | |
| wenig. Es fällt der aufschlussreiche Satz: „Bis zu meiner Nominierung als | |
| 1. Vizepräsident 2004 habe ich weder inner- noch außerhalb über sogenannte | |
| ‚Verpflegungsoperationen‘ (der FDLR-interne Begriff für Plünderungen an | |
| kongolesischen Zivilisten, d.Red.) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit | |
| gehört.“ | |
| Heißt das, dass er danach durchaus davon hörte? Das hat Musoni bisher immer | |
| bestritten. Die Anklage wirft ihm vor, von FDLR-Verbrechen Kenntnis gehabt, | |
| aber nichts unternommen zu haben. | |
| „Ich hatte keine Bedenken“, sagt Musoni zu seiner Mitarbeit in der FDLR. | |
| „Es gab keinen Anhaltspunkt, dass die FDLR irgendwelche terroristischen | |
| Ansätze hätte.“ Den bewaffneten Kampf lehnt er nicht ab: Die Flüchtlinge | |
| hätten „das Recht, ihr Leben zu schützen“. Aber alle ihm zugetragenen | |
| Informationen hätten dagegen gesprochen, dass FDLR-Soldaten Verbrechen | |
| begehen. | |
| Er distanziere sich von allen Verbrechen und verurteile alle Gewalt, sagt | |
| Musoni. „Ich kann nicht für jede Einheit die Hand ins Feuer legen. Ich kann | |
| mir aber nicht vorstellen, dass alle Äußerungen und Informationen nur | |
| Geschwätz waren.“ | |
| ## „Wer soll helfen, wenn nicht wir?“ | |
| Ihm sei es nur um die Lösung des „scheinbar unlösbaren ruandischen | |
| Problems“ gegangen. „Man kann mir vielleicht den Vorwurf machen, naiv zu | |
| sein, indem ich mich um solche Probleme kümmere, aber mich nicht auf eine | |
| Stufe mit Kriminellen und Terroristen stellen“, empört sich Musoni zum | |
| Ende. „Ich kann nicht verstehen, dass meine Handlungen auf eine Stufe | |
| gestellt werden mit Boko Haram, dem IS, Shabaab oder al-Qaida.“ | |
| Er habe sich viele Fragen gestellt. „Ich habe versucht, in meiner Zelle, | |
| siebeneinhalb Quadratmeter groß beziehungsweise klein, mit Gedanken zu | |
| machen und mein Verhalten kritisch überprüft, um zu erkennen, wo ich mich | |
| verbrecherisch verhalten haben könnte“, sagt Musoni. „Ich habe nichts | |
| gefunden.“ | |
| „Ignace Murwanashyaka und ich wurden in Deutschland ausgebildet, damit wir | |
| zuhause helfen können. Nun stehen wir vor einem deutschen Gericht, weil wir | |
| versucht haben, genau das umzusetzen, was wir in Bezug auf Demokratie und | |
| Solidarität gelernt haben“, schließt der zweithöchste Politiker der FDLR. | |
| „Waren unsere Vorschläge so falsch, dass wir dafür bestraft werden müssen? | |
| Wer sollte den Menschen in unserer Heimat helfen, wenn nicht wir? Ich weiß, | |
| zu helfen ist nicht einfach - aber es ist nicht strafbar. Ich beantrage, | |
| mich freizusprechen.“ | |
| 23 Sep 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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