| # taz.de -- 316.-317. Tag FDLR-Prozess: Einstellung des Verfahrens gefordert | |
| > Die Verteidigung von FDLR-Vizepräsident Straton Musoni verteidigt nicht | |
| > nur ihren Mandanten. Sie greift auch die Anklage scharf an. | |
| Bild: „Intelligent, bescheiden, freundlich, sympathisch, authentisch“: Stra… | |
| STUTTGART taz | Wenn Straton Musoni als 1. Vizepräsident der FDLR | |
| (Demokratiche Kräfte zur Befreiung Ruandas) für Verbrechen seiner Miliz im | |
| Kongo im Jahr 2009 verurteilt gehört, dann sollte auch Alan Doss als | |
| damaliger Leiter der UN-Blauhelmmission im Kongo für Verbrechen der | |
| kongolesischen Regierungsarmee vor Gericht gestellt werden. | |
| Unter anderem mit diesem Argument begründete Musonis Verteidigung in ihrem | |
| Schlussplädoyer vor dem OLG Stuttgart am 10. und 14. August ihre Forderung | |
| nach Freispruch ihres Mandanten. | |
| Kongos Regierungsarmee FARDC habe schließlich in ihrem von der UN-Mission | |
| logistisch unterstützten Kampf gegen die FDLR Kriegsverbrechen verübt - | |
| namentlich ein Massaker an zahlreichen ruandischen Hutu-Flüchtlingen im Ort | |
| Shario Ende April 2009 - und „Monuc unterstützte objektiv die Täter“, so | |
| das Argument von Verteidiger Jochen Thielmann: „Wo ist der Unterschied | |
| zwischen Musoni und Alan Doss?“ | |
| Keiner der beiden habe eine „böse Absicht“ gehabt. Beide hätten vergeblich | |
| versucht, Einfluss auf die Vorgänge im Kongo zu nehmen. Für beide habe ein | |
| „moralisches Dilemma“ bestanden. | |
| ## Ein Krieg „Grau gegen Grau“ | |
| Die Bundesanwaltschaft, so Thielmann, werfe den beiden angeklagten | |
| FDLR-Führern vor, ihre Miliz habe zwischen unterschiedlichen Kategorien von | |
| Zivilisten unterschieden: solche, die zu schützen seien, und solche, die | |
| als mutmaßliche Komplizen des Kriegsgegners legitime Angriffsziele seien - | |
| beispielsweise die Einwohner des Ortes Busurungi, von denen mindestens 96 | |
| in der Nacht zum 10. Mai 2009 einem FDLR-Vergeltungsangriff für Shario zum | |
| Opfer fielen. | |
| Aber erstens habe Musoni eine solche Unterscheidung nicht vorgenommen, und | |
| der ebenfalls angeklagte FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka auch nicht, | |
| und zweitens habe die UNO eine solche Unterscheidung vorgenommen: Opfer der | |
| FARDC seien „bedauerlich“, solche des bewaffneten FDLR-Arms FOCA seien | |
| „Kriegsverbrechen“. | |
| „Die Kriegsverbrechen von FARDC und CNDP (eine damals in Kongos Armee | |
| integrierte Tutsi-geführte Rebellenarmee, d.Red.) verschwimmen im Nebel der | |
| Geschichte“, so Thielmann. „Shario wird eine Fußnote der Geschichte, | |
| Busurungi in Mahnmal. Verbrechen der einen Seite werden erhöht, andere | |
| vergessen. Die deutsche Justiz wird benutzt.“ | |
| Der Krieg im Ostkongo sei kein Kampf von Schwarz gegen Weiß, höchstens | |
| „Grau gegen Grau“, und dabei „wird ein Grau zum Terroristen erklärt und … | |
| anderen bekommen einen Persilschein.“ | |
| ## „Nicht-terroristische FDLR“ | |
| Thielmann und seine Kollegin Andrea Groß-Bölting argumentieren in ihrem | |
| Plädoyer auf mehreren Ebenen. Erstens: der bewaffnete Arm der FDLR, die | |
| FOCA (Forces Combattantes Abacunguzi) sei eine souveräne Organisation, auf | |
| die die Politiker weder formal noch tatsächlich Einfluss gehabt hätten. Für | |
| mögliche Kriegsverbrechen der FOCA sei die politische FDLR-Führung daher | |
| nicht verantwortlich zu machen, und daher könnten Murwanashyaka und Musoni | |
| auch nicht als „Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung“ schuldig | |
| gesprochen werden. „Es kann rechtlich eine terroristische FOCA in einer | |
| nicht-terroristischen FDLR geben“, so Groß-Bölting. „Eine terroristische | |
| Infizierung der FDLR ist nicht zwangsläufig“. Die FDLR habe die Taten der | |
| FOCA „nicht ermöglicht, begrüßt oder in Auftrag gegeben“. | |
| Zweitens: Straton Musoni sei persönlich nichts vorzuwerfen. Beide | |
| Verteidiger betonen, er sei anders als Murwanashyaka kein „Berufspolitiker“ | |
| und habe keine direkten Informationen aus dem Kongo erhalten oder direkte | |
| Kontakte gepflegt. Ihn als Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung | |
| zu bezeichnen, weil er die FDLR-Homepage betreute, sei „lächerlich“, so | |
| Thielmann: „Mit einer solchen Argumentation wäre es auch möglich, einen | |
| Hausmeister oder eine Putzfrau zu Rädelsführern zu machen, weil ihre Arbeit | |
| den reibungslosen Ablauf der Arbeit der Organisation garantiert“. | |
| Musoni sei tief christlich geprägt, sein politisches Engagement - das | |
| allerdings beträchtlich war, von der Mitgründung des umstrittenen Vereins | |
| „Akagera-Rhein“ in Deutschland während des Völkermords 1994 über den Pos… | |
| als Deutschland-Vertreter der in den zairischen Flüchtlingslagern | |
| entstandenen Partei RDR 1995-2000 bis zur Reise zum Gründungskongress der | |
| FDLR im kongolesischen Lubumbashi 2000 - sei allein der Sorge um die Lage | |
| der ruandischen Hutu-Flüchtlinge im Kongo geschuldet. | |
| Musoni sei ein „Amateurpolitiker“ gewesen, ein „Fehlverhalten“ sei bei … | |
| nicht zu erkennen. Das einzige Mal, zu dem er sich nachweislich im | |
| FDLR-Führungsgremium CD zu Wort meldete, sei Januar 2009 gewesen, als er | |
| sich gegen Angriffe auf Zivilisten ausgesprochen habe. Daraus dürfe man | |
| aber nicht schließen, er habe von solchen Angriffen gewusst. | |
| ## Keine Kriegsverbrechen erwiesen | |
| Drittens: Auch nach den vorgebrachten Beweisen könne der Vorwurf von | |
| Kriegsverbrechen und einer „terroristischen Vereinigung“ nicht | |
| aufrechterhalten werden. Man wisse nicht, ob in Busurungi oder an anderen | |
| Tatorten überhaupt unbewaffnete Zivilisten getötet worden seien, behaupten | |
| die Anwälte. Einen Befehl, Zivilisten anzugreifen, wie die Anklage sagt, | |
| habe es nie gegeben. Drohbriefe an Zivilisten, sie könnten angegriffen | |
| werden, seien in Wirklichkeit Warnungen gewesen, die dazu dienten, | |
| Zivilisten zu schützen. Hütten anzünden mache „militärisch durchaus Sinn - | |
| es ist schließlich Krieg“, so Thielmann. | |
| Wenn 600 FDLR-Angreifer von 10.000 Einwohnern Busurungis nur 96 getötet | |
| hätten, könne das Töten von Zivilisten nicht Ziel des Angriffs gewesen | |
| sein. Es gebe keinen Beweis dafür, dass die FDLR-FOCA gegründet worden sei, | |
| um Straftaten zu begehen. | |
| Schließlich: Das ganze Verfahren ist problematisch. Anders als | |
| Murwanashyakas Verteidigerin Ricarda Lang, die in ihrem sehr kurzen | |
| Plädoyer allein juristisch argumentierte, ergehen sich Musonis Verteidiger | |
| Thielmann und Groß-Bölting in ausführlichen politisch-ideologischen | |
| Betrachtungen über Ruandas aktuelle Regierung, die FDLR als angebliche | |
| Kämpferin für Demokratie, die angebliche Manipulation der deutschen Justiz. | |
| ## Das Gericht wird „manipuliert“ | |
| Die Anklage, so Verteidiger Thielmann, stütze sich maßgeblich auf die | |
| Angaben von Anneke van Woudenberg, Kongo-Expertin von ‚Human Rights Watch‘ | |
| (HRW) die aber bestenfalls eine „Zeugin vom Hörensagen“ sei. Ihre | |
| Informanten habe sie nicht nennen müssen, ihre Quellen seien nicht | |
| überprüfbar; dies gelte auch für die drei in Stuttgart als Zeugen gehörten | |
| UN-Mitarbeiter. | |
| „Die Verfahrensbeteiligten können die ihnen gebotenen Erkenntnisse nur | |
| glauben oder eben nicht; eine Überprüfung ist ausgeschlossen“, moniert | |
| Verteidigerin Groß-Bölting und nennt das Verfahren insgesamt | |
| „rechtsstaatswidrig“: „Es kommt heraus, was durch meist nichtöffentliche | |
| und nicht transparente Vorarbeit vorbereitet wurde... Ich zweifele, dass | |
| wir ausschließen können, manipuliert zu werden.“ | |
| So fordern Musonis Anwälte nicht nur Freispruch für ihren Mandanten, | |
| sondern auch die Einstellung des Verfahrens wegen Verfahrenshindernissen. | |
| ## Wikileaks als Beweismittel entdeckt | |
| Und nachdem sie behaupten, erst jetzt zufällig Wikileaks und die dort | |
| veröffentlichten US-Botschaftsdepeschen entdeckt zu haben, beantragen sie | |
| kollektiv jetzt auch, in der nun begonnenen Sommerpausen alle 536 Depeschen | |
| übersetzen zu lassen, in denen die FDLR vorkommt. | |
| Es soll daraus hervorgehen, dass die Bundesanwaltschaft sich bei der | |
| Erstellung der Haftbefehle gegen Murwanashyaka und Musoni vorab mit einem | |
| der UN-Mitarbeiter beraten hat, der im Prozess als Zeuge auftrat, ohne dass | |
| das aus den Akten hervorgeht oder bei seiner Befragung zur Sprache kam. | |
| Offensichtlich bereitet die Verteidigung schon jetzt ihre Revisionsgründe | |
| beim Bundesgerichtshof für den Fall einer Verurteilung ihrer Mandanten vor. | |
| Die Verhandlung wird am 14. September fortgesetzt. Eigentlich haben dann | |
| die Angeklagten die Möglichkeit zu einem „Letzten Wort“. Die | |
| Bundesanwaltschaft, die bereits plädiert hat, behält sich außerdem das | |
| Recht auf Erwiderung auf die Plädoyers der Verteidigung vor. | |
| 19 Aug 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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