# taz.de -- Debatte Völkermord an den Armeniern: Wer A sagt, muss auch N sagen | |
> Der Armenien-Resolution muss eine Namibia-Resolution folgen. Denn auch in | |
> der deutschen Kolonialgeschichte gab es einen Genozid. | |
Bild: Mit dem Segen der Kirche wurde das Massaker an den Herero verübt | |
Wenn sich der Deutsche Bundestag am heutigen Donnerstag mit dem Völkermord | |
an den Armeniern befasst und diesen – so ist zu hoffen – offiziell | |
anerkennt, geht es um mehr als nur die Klärung einer historischen | |
Detailfrage, das Anhängen eines historischen Etiketts. Mit dem offiziellen | |
deutschen Eingeständnis, dass es sich bei den Ereignissen im Osmanischen | |
Reich während des Ersten Weltkriegs um einen Genozid handelte, verschiebt | |
sich unweigerlich auch das politische Gefüge der offiziellen deutschen | |
Erinnerungskultur. | |
Zum einen erkennt sich das Parlament als zuständig an, über historische | |
Ereignisse außerhalb Deutschlands und in direkt von deutschen Truppen | |
beherrschten Gebieten zu urteilen. Zum anderen nimmt der Bundestag ganz | |
offiziell Abschied von der Position, der Begriff des Genozids sei ein erst | |
1948 in das internationale Recht eingebrachter Begriff und könne nicht | |
rückwirkend angewandt werden. | |
Mit dieser Begründung hatte in den vergangenen Jahren Deutschland jedoch | |
immer wieder die Anerkennung des Genozids an den Herero und Nama | |
verweigert. Inoffiziell ist diese Position bereits seit dem Juli letzten | |
Jahres aufgegeben, als das Auswärtige Amt erklärte, nun den deutschen | |
Kolonialkrieg von 1904 bis 1908 als das zu bezeichnen, was er nun einmal | |
war: ein Völkermord. Eine offizielle Anerkennung seitens der | |
Bundesregierung, des Bundespräsidenten und des Bundestags steht jedoch | |
ebenso aus wie eine offizielle Entschuldigung. | |
## Inkonsequentes Verhalten | |
Dieses Zögern und Taktieren, ja das jahrzehntelange Ignorieren trugen mit | |
dazu bei, dass der Eindruck entstehen konnte, man sei schnell im | |
Verurteilen und Belehren, wenn es um andere ging, aber doch weit | |
zögerlicher, sich an die eigene Nase zu fassen. | |
Die türkische Regierung und türkische Gruppen inner- und außerhalb der | |
Türkei bestreiten zu Unrecht den Begriff des Völkermords für die Ereignisse | |
in den letzten Jahren des Osmanischen Reichs. Alle seriösen | |
GenozidforscherInnen und HistorikerInnen sind sich hier einig. Die | |
türkischen Interessenverbände möchten mit politischem Sperrfeuer die | |
Anerkennung seitens des Bundestags verhindern. Aber sie hätten es mit ihrem | |
Argument, das Ganze besäße eine antitürkische Komponente, weit schwerer, | |
wenn sich der Deutsche Bundestag in Fragen der Anerkennung genozidaler | |
Verbrechen nicht selbst derart inkonsequent verhalten hätte. | |
Es gibt keinen historischen Grund, warum der Bundestag nicht zuerst den | |
Völkermord an den Herero und Nama anerkennen sollte, um sich dann der Frage | |
des Genozids an den Armeniern, den griechisch-orthodoxen und den | |
aramäischsprachigen Christen zu widmen. Der oftmals bemühte 100. Jahrestag | |
des Beginns der jeweiligen Verbrechen ist in beiden Fällen vorbei, im Falle | |
des Kolonialkriegs schon seit 12 Jahren. Das sollte die Dringlichkeit, auch | |
hier erinnerungspolitisch für Gerechtigkeit zu sorgen, eigentlich erhöhen. | |
## Moralisches Kapital erneuern | |
Den Vorwurf, mit zweierlei Maß zu messen, entkräftet dieses Vorgehen nicht. | |
Das ist schade: Es wäre so viel besser, man würde durch das eigene | |
Verhalten Vorbild sein, als nur mit dem erhobenen moralischen Zeigefinger | |
zu winken. Eine Anerkennung deutscher kolonialer Verbrechen muss nun | |
folgen, will man den Vorwurf, es sei nur um wohlfeile Türkeikritik | |
gegangen, nicht bestärken. | |
Eine große Chance des Bundestags und seiner Resolution liegt darin, die | |
Ereignisse ganz klar beim Namen zu nennen. Er darf sich nicht hinter | |
allgemeineren Vokabeln wie Massaker, Deportationen und Vertreibungen | |
verstecken. Die hat es alle gegeben, sie sind Teil des Völkermords, | |
ersetzen aber seinen Begriff nicht. Völkermord ist vor allem ein | |
identitäres Verbrechen, der Versuch, eine heterogene Bevölkerung mit Gewalt | |
durch Aussonderung, Ausgrenzung und Vernichtung zu homogenisieren. | |
Genozid möchte „Raum“ auf der Grundlage von „Rasse“, also Abstammung, | |
strukturieren und Vielfalt ausschließen. Diese Botschaft ist gerade in der | |
jetzigen Zeit nicht nur ein Kommentar zur Historie. Wer Genozid verurteilt, | |
lehnt auch ethnische Exklusivität ab. | |
Kollektive und rassistische, auf mehr oder weniger kruden Vorstellungen von | |
Abstimmungsgemeinschaften fußende Gewalt abzulehnen, ist eine noble Geste. | |
Wird diese Haltung konsequent umgesetzt, kann Deutschland das mit der | |
Aufarbeitung des Holocaust gewonnene moralische Kapital erneuern und | |
anpassen an die Realität der Migrationsgesellschaft. Klarzumachen, dass | |
rassistische Gewalt verbrecherisch ist, egal gegen wen sie sich richtet, | |
ist auch für Jugendliche eine wertvolle Botschaft, die sich von der | |
Holocaustaufarbeitung nicht angesprochen fühlen, weil sie oder ihre | |
Vorfahren damals noch nicht in Deutschland lebten. | |
## Ein allgemeiner Gedenktag? | |
Mit Worten alleine ist es jedoch nicht getan. Wie die Geschichte gelungener | |
Versöhnungsprozesse zeigt, bedarf es auch konkreter Schuldeingeständnisse | |
und Wiedergutmachung, und sei es symbolischer Art. Die Opfer | |
beziehungsweise deren Nachkommen haben ein Recht darauf, dass der | |
parlamentarisch abgesegneten Betroffenheit auch Taten folgen. Was aber | |
plant der Deutsche Bundestag an Wiedergutmachung für die Opfer und deren | |
Nachkommen? Gibt es nun Verhandlungen mit dem unabhängigen Staat Armenien, | |
mit Griechenland, Kanada oder den USA, wo viele der Nachkommen der | |
seinerzeit Vertriebenen leben? Man darf gespannt sein. | |
Und wie wird sich diese Anerkennung in der öffentlichen | |
Erinnerungslandschaft niederschlagen, wie in der öffentlichen Bildung? | |
Werden sich daraus eigene Erinnerungstage analog zum Holocaust-Gedenktag | |
ergeben, oder wird dieser umgestaltet in einen allgemeinen | |
Genozidgedenktag? Deutschland, das sich viel Wohlwollen erworben hat durch | |
seinen Umgang mit der Geschichte des Holocaust, hat nun die Chance und auch | |
die Pflicht, zur Erinnerung an andere Genozide seiner Geschichte das Seine | |
zu leisten. | |
Der allernächste Schritt muss nun die Anerkennung der deutschen | |
Verantwortung für den Genozid an den Herero und Nama sein. Sonst steht der | |
Bundestag als doppelzüngig da. | |
2 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
jürgen Zimmerer | |
Jürgen Zimmerer | |
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