# taz.de -- Abschaffung der Störerhaftung: Schöne neue WLAN-Welt | |
> Deutschland ist eine Hotspot-Wüste. Das könnte sich ändern. Wie es sich | |
> mit flutschendem Internet auch in der U-Bahn lebt, zeigen andere Länder. | |
Bild: WLAN gibt es in London überall. Aber die Londoner selbst nutzen es kaum.… | |
## Russland | |
Es gibt wenige Dinge, die mich in Russland längerfristig begeistern | |
konnten. Die Avantgarde, der Konstruktivismus. Museen. Literatur. Und der | |
Zugang zum Internet! Für Menschen, die aus dem digitalen Neuland kommen, | |
erscheint Russland wie ein Schlaraffenland: Das Internet fließt und fließt. | |
Und fließt. Es gibt so viele Hotspots in der Stadt, dass man gar nicht | |
merkt, wenn man zwischen ihnen wechselt. | |
Die Metro ist eine brüllende Maschine, dass es ganz angenehm ist, sich mit | |
dem Smartphone zu beschäftigen, statt schreiend mit den Mitfahrenden. Also | |
schnell ein bisschen chatten, Mails beantworten, Nachrichten lesen. Und mit | |
„schnell“ meine ich wirklich „schnell“ – denn das Internet flutscht a… | |
100 Meter unter der Erde. Seit Neustem haben auch Moskaus Friedhöfe WiFi. | |
Cafés, Theater, Schnellzüge oder der Flughafentransport sowieso. Wer kein | |
offenes Netz anbietet, ist außer Konkurrenz. | |
Der Sog der digitalen Bequemlichkeit ist stark. Es ist unmöglich von hier | |
in das digitale Neuland Deutschland zurückzukehren, dieses plumpe, | |
unwegsame Land, voller Funklöcher, Passwortzettelwirtschaft und Internet im | |
Schneckentempo. | |
Aber nicht alles ist paradiesisch: nicht die vom privaten Betreiber des | |
Metro-WiFi vorgeschaltete Werbung, nicht der laxe Datenschutz, nicht die | |
Überwachung. Das Internet ist in Russland natürlich nicht „frei“ – mit | |
Hilfe eines überdehnten Extremismus-Paragrafen kann einen ein Like oder | |
Repost ins Gefängnis bringen. Als 2012 Tausende gegen Wahlfälschungen auf | |
die Straße gingen, soll es vor der Staatsduma ein WiFi-Netz gegeben haben. | |
Dessen Name: „Putin Dieb“. Es ist eine Anekdote, die viel sagt über das | |
wechselhafte Verhältnis technischer Errungenschaften und politischer | |
Herrschaft. Seither hat die Freiheit in Russland nicht gerade triumphiert. | |
Die des Netzzugangs allerdings schon. Sonja Vogel | |
## Südkorea | |
Dass Seoul die am besten vernetzte Stadt der Welt ist, klingt wie ein | |
PR-Slogan des Bürgermeisters. Wahr ist die Behauptung allemal, ich erlebe | |
das täglich bei meiner morgendlichen Motorradfahrt ins Büro. Dafür muss ich | |
nur an einer roten Ampel bremsen, mein Smartphone zücken und die ellenlange | |
WLAN-Liste mit meinem Daumen herunterscrollen. Um nun online zu gehen, | |
braucht es weder Kreditkarte, Datenvolumen noch Passwort – offene Netze | |
gibt es in der südkoreanischen Hauptstadt praktisch immer und überall. Bis | |
die Ampel auf Grün schaltet, habe ich die neuesten E-Mails bereits | |
überflogen. | |
All dies ist nicht zuletzt das Ergebnis konsequenter, staatlicher | |
Investitionen. Schon 1995, eine Dekade vor Facebook und iPhone, erarbeitete | |
die südkoreanische Regierung einen Zehn-Jahres-Plan zum Ausbau der | |
Breitbandverbindungen. Die Bürokraten erkannten schon damals: Ein Land, das | |
über keine natürlichen Ressourcen verfügt und kaum nennenswerte | |
Ackerflächen besitzt, sollte vor allem seine Datenautobahnen ausbauen. | |
Mittlerweile besitzen vier von fünf Südkoreanern ein Smartphone, die | |
Internetleitungen sind nirgendwo schneller. Ab nächstem Jahr wird | |
schließlich jeder öffentliche Platz Seouls mit freiem WLAN abgedeckt sein, | |
wenig später folgen Nahverkehrsbusse und U-Bahn-Waggons. | |
Technikskepsis wird von den meisten Koreanern weggewischt wie ein Foto auf | |
dem Smartphone. Dabei hat der Geheimdienst quasi einen Freibrief, um | |
Chatverläufe unschuldiger Bürger zu überwachen; und auch für Hobby-Hacker | |
ist das Land ein einziger Präsentierteller. Wer sich in das WLAN eines | |
Privathaushalts einloggen will, muss nicht selten einfach das | |
voreingestellte Passwort des Providers eingeben. „Langsamkeit wird bei uns | |
nicht mit Schönheit assoziiert, sondern vor allem mit Unterlegenheit“, | |
sagte mir mal eine Kommunikationswissenschaftlerin. Zugegeben: Auch für | |
mich ist eine Reise zurück in die Heimat ein wenig wie ins hinterste | |
Analogien. Aber nach einer Woche gibt es wenig Befreienderes als ebenjene | |
Entschleunigung: in der U-Bahn die Leute dabei zu beobachten, wie sie | |
miteinander reden. Fabian Kretschmer | |
## Großbritannien | |
Wer als Tourist nach London kommt, braucht keine SIM-Karte vor Ort. Nahezu | |
jedes Café, Restaurant, Hotel oder öffentliche Gebäude, ja sogar fast jedes | |
Fitnessstudio hat einen öffentlichen und freien WLAN-Zugang. Oft steht die | |
Adresse und das Passwort für alle ersichtlich an der Wand. Sogar manche | |
Londoner Black Cab Taxis bieten „Free WiFi“ an. | |
Aber die Londoner selbst brauchen eigentlich kein WLAN. Zumindest spielt es | |
hier eine weit geringere Rolle als in der Bundesrepublik. Der Grund: | |
Britische Netzbetreiber bieten „Unlimited Data“ schon für 20 Pfund (etwa 25 | |
Euro) pro Monat an. Vertraglos. Das bedeutet unlimitiertes Streaming, Musik | |
genießen, Filme sehen, Online spielen, Nachrichten und soziale Medien | |
verfolgen, schnell Antworten auf Fragen finden oder auch einfach im Bus | |
unbegrenzt arbeiten können – ganz ohne WLAN. | |
Als Besucher in Deutschland geht da im Vergleich gar nichts. Selbst mit dem | |
viel gelobten Telekom Congstar Daten L Paket bekommt man nicht mehr als 5 | |
GB pro Monat. Das reicht für ein paar Tage Spotify und vielleicht die | |
Löwenzahnsendung für das Kind. Danach muss man täglich draufzahlen. Daniel | |
Zylbersztajn | |
## Estland | |
Irgendjemand hat mal gesagt, in Estland gehöre der freie Zugang zum | |
Internet zu den unveräußerlichen Menschenrechten. Tatsächlich gehört hier | |
der kostenlose, unverschlüsselte Internetzugang schon lange zum Alltag: in | |
öffentlichen Einrichtungen, Fernbussen, Bahnen, Cafés und Restaurants. In | |
den Städten gibt es viele sogenannte Hotspots – in Tartu, wo ich lebe, etwa | |
in einigen Parks und auf dem gesamten Rathausplatz bei dem Brunnen mit der | |
Skulptur der küssenden Studenten. | |
Überhaupt findet hier ein Großteil der sozialen Interaktion auf dem | |
elektronischen Wege statt. Und eine Bekannte erzählte mir kürzlich, sie | |
habe ihre verspätete Steuererklärung mal eben auf der Busfahrt von Tartu | |
nach Tallinn gemacht. Auch die Schulen verfügen alle über WLAN. Die Lehrer | |
meines Sohnes zeigen beispielsweise mit Vorliebe YouTube-Filmchen. Kürzlich | |
wurde auch mal eine ehemalige Klassenkameradin, die nun in Amerika lebt, | |
völlig verpennt per Skype ins Klassenzimmer gebeamt – alles ganz normal. | |
Auf einer Onlineplattform berichten die Lehrer zudem täglich über das | |
Unterrichtsgeschehen, die Hausaufgaben oder auch das Betragen des | |
Sprösslings. Nichts mehr mit heimlichen Fehlstunden, vergessenen | |
Hausaufgaben oder der verschwiegenen 5 in Mathe – ein Traum für alle | |
Helikoptereltern! | |
Aber mit der Freiheit in der virtuellen Welt geht viel vom direkten | |
zwischenmenschlichen Kontakt verloren. Und der Druck steigt, jederzeit und | |
möglichst schnell auf E-Mails und Nachrichten zu reagieren. Man kann sie ja | |
immer überall abrufen – sogar im letzten Sumpf oder Birkenwald Estlands. | |
Ich jedenfalls habe die WiFi-Funktion meines Handys meist ausgeschaltet. | |
Eva Clarita Pettai | |
## Frankreich | |
Wer in Frankreich einen WLAN-Zugang sucht, muss zuerst das | |
Fremdsprachenvokabular lernen. Denn niemand sagt hier WLAN. Der drahtlose | |
Internetzugang heißt hier WiFi und wird nach französischer Phonetik | |
„oui-fi“ ausgesprochen. Das ist wichtig, um sich zum nächsten Hotspot | |
durchfragen zu können, zum Beispiel in den Pariser Parks oder in den | |
Bibliotheken. Die Zahl dieser Hotspots wird in Frankreich auf 13 Millionen | |
geschätzt. Zu schön, um wahr zu sein? | |
Die Spielverderber könnten demnächst aus den Reihen der Terroristenjäger | |
bei der Polizei kommen. Seit den Attentaten des 13. November 2015 steht auf | |
der Wunschliste der Polizei das Verbot der öffentlichen WiFi-Zugänge. Die | |
Anhänger eines freien Internets aber protestierten massiv, und wenige | |
Wochen später sagte Premierminister Manuel Valls, ein solches Verbot stehe | |
nicht zur Debatte. Rudolf Balmer | |
## Ruanda | |
Es hat lange gedauert, aber dann, plötzlich, wurde das kleine Land Ruanda, | |
mitten im Herzen Afrikas, zum Surfparadies. Als ich vor acht Jahren nach | |
Afrika zog, war meine erste Bredouille: Wie komme ich hier überhaupt | |
online? Mir blieb anfangs nichts anderes übrig, als meinen Arbeitsplatz in | |
Hotels zu verlegen. 2009 wurde dann nach und nach das erste | |
Hochgeschwindigkeitsdatenkabel vom Hafen am Indischen Ozean quer durch | |
Ostafrika in den Kontinent hineinverlegt. | |
Seither wurden selbst in den Klassenzimmern der ländlichen Grundschulen, wo | |
es zuvor nur selten Strom gab, von der Regierung onlinefähige Laptops | |
ausgehändigt. Ruanda setzte als eines der ersten Länder der Region ab 2010 | |
auf das flächendeckende WiFi. Wo auch immer man heute sitzt, im Hotel, im | |
Café oder in einem kleinen Dorf auf einem der zahlreichen Hügel, weit weg | |
von jeglicher Stromleitung: Der WiFi-Hotspot ist immer da, solange es | |
Mobilfunknetz gibt. Zugegeben, zu Beginn war das alles noch langsam, doch | |
es wurde stetig besser. | |
Mittlerweile gibt es sogar ein mobiles, batteriebetriebenes Modem mit | |
aufladbarer SIM-Karte, womit man sein eigenes WiFi generieren und stetig | |
mit sich rumschleppen kann. Seither ist Ruanda online-crazy. Waren im Jahr | |
2011 gerade einmal 7 Prozent der Bevölkerung online, sind es jetzt mehr als | |
25 Prozent. Steuererklärungen online abgeben? Mit ein paar Mausklicks eine | |
Firma anmelden? Per App seine Blutwerte aus dem Labor abfragen? In Ruanda | |
ist das mittlerweile alles möglich. Simone Schlindwein | |
13 May 2016 | |
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