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# taz.de -- Kolumne German Angst: De Maizières Lösung
> Wer die Augen zumacht, sieht auch nichts. So verhält sich Europa in Bezug
> auf die Flüchtlinge. In Belgrad wird das augenscheinlich.
Bild: Gestrandet in Belgrad
Europa ist eine Insel in den Wirren der Welt. Eine chronisch alte Welt.
Während ich das schreibe, sitze ich in Belgrad und schaue auf einen kleinen
toten Park, in dem Dutzende erschöpfte Männer sitzen und liegen.
Ihr Refugium ist ein Platz zwischen Parkdeck, Busbahnhof und Unigebäude.
Ein abgenutzter Grünstreifen. So viele Zehntausende Menschen haben hier in
den letzten Monaten gesessen, geschlafen, gegessen und sind verzweifelt,
dass der Boden aufgegeben hat.
Fast alle sind weitergezogen. Seit Staat um Staat die Grenzen dicht gemacht
und Deutschland die eigenen Mauern erspart haben, kommen weniger Leute.
Sicher, diese Mondlandschaft der europäischen Peripherie ist nur ein
armseliger Abklatsch derer in Aleppo und Co.. Wer dort noch nicht gestorben
ist, hat sich auf den Weg gemacht. Und während das Bamf im Inselstaat
Registrierungen mit Verantwortung verwechselt, wirbelt der heiße Wind hier
Staub auf und macht einem das Atmen schwer.
Hier war einmal grünes Gras, ist nun festgetretener Sand. Der Boden ist
vernarbt, eine Mondlandschaft mitten in der Stadt. Es liegt Müll herum,
weil die Mülleimer übervoll sind. Uringeruch beißt in der Nase, weil es
keine Toiletten gibt.
## De Maizières Lösung
Das hier ist ein Sinnbild für die europäische Peripherie, es ist de
Maizières Lösung. Ein paar Freiwillige verteilen Wasser. HelferInnen des
UNHCR patrouillieren umher wie ein Sicherheitsdienst.
Die Mondlandschaft ist ein Sinnbild für die voranschreitende Lösung der
Flüchtlingskrise. Ganz sei sie es zwar noch nicht, wie Thomas de Maizière
sagte. „Aber ihre Lösung kommt ihn Europa gut und in Deutschland sehr gut
voran.“ Nur rund 220.000 Flüchtlinge haben es 2016 nach Deutschland
geschafft. Wo die anderen geblieben sind? Da, wo die Flüchtlingskrise nicht
gelöst ist.
Vor einem Jahr war ich auch hier. An einem Abend im Juli haben wir eine
Gruppe Studierender zum Zug nach Budapest gebracht. Er hatte fünf Wagen.
Vier für EuropäerInnen und einen für die Flüchtlinge.
Die serbische Polizei schob Hunderte dort hinein, verriegelte den Waggon
und die meisten Fenster. Drinnen hatte es 40 Grad. Der Zug war der
schnellste Weg, alle aus dem Land zu schaffen. In Serbien konnten sie nicht
bleiben – wer es doch tat, teilt sich die ewig verlängerten Provisorien mit
jenen, die in den 90ern aus Bosnien und Kroatien flohen. (Auch so eine
gelöste Flüchtlingskrise.)
Die Flüchtlinge aus dem Zug wurden vor der ungarischen Grenze ins Feld
getrieben, die StudentInnen haben das gefilmt. Die Polizei löschte die
Aufnahmen. Wenn man die Augen zumacht, sieht man auch nichts.
Und überhaupt. Kein Backpacker wird das Elend heute noch filmen. Es findet
hinter der griechischen Grenze statt, der mazedonischen. Der türkischen.
Es ist ein milder Abend und ein Dutzend afghanischer Männer sitzt auf den
Bänken am Gleis. Ihr Gepäck ist klein. Sie schauen dem Zug hinterher und
wissen, dass sie nicht einsteigen brauchten.
Auch sie hat die Nachricht erreicht, dass die Flüchtlingskrise in Europa
und in Deutschland fast gelöst ist.
12 Jul 2016
## AUTOREN
Sonja Vogel
## TAGS
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German Angst
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