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# taz.de -- Kolumne German Angst: Das Männerklo als Kapelle
> Was haben deutsche Uni-Professoren und Toiletten-Vollschreiber gemeinsam:
> Sie fürchten die Gender-Studies.
Bild: Die Herrentoilette: Rückzugsort für Abgehängte und Humorlose
„Genderist keine Wissenschaft“, steht da im Männerklo meiner
Lieblingskneipe. Sechs Jahre nachdem ich mein Studium der Gender Studies
abgeschlossen habe, stehe ich davor.
Die Buchstaben sind in großen Bögen gezogen, schnörkelig und wütend. Wer
auch immer das da hin geschrieben hatte, tat mir etwas leid: ein letzter
Dinosaurier, der seine verlorene Botschaft mit men only teilt.
Zwar ist der Laden voll mit metrosexuellen Jungs, die ihren Bart mit Ironie
tragen. Aber mit der Ironie ist es ja so eine Sache, man hat es in den
letzten Tagen gemerkt. Sie setzt voraus, dass man weiß, in welchem Kontext
und aus welcher Position mach spricht. Sonst ist sie bloß ein Aprilscherz.
Ironisch kann der Slogan nicht gemeint sein. Schaut man nämlich ins
Internet, findet man Ausformulierungen wie „Gender Studies – eine
Pseudowissenschaft“, „eine quasi-religiöse Dogmatik“, von
„Gender-Geldtöpfen“ ist die Rede oder schlicht von „Wissenschaftsbetrug�…
Das Lustige daran ist: Die Gender Studies sind tatsächlich ein Betrug an
der Wissenschaft, zumindest an jener im altertümlichen Sinne einer
unveränderbaren Erkenntnis verstandenen, einer, die an die Objektivität der
ForscherInnen glaubt, an eine Wahrheit gar.
## Der kleine Gott
Dieser geht die Selbstreflektion vollkommen ab. Denn diese Wissenschaft
betreibt der kleine Gott – ein Mensch, der sich in dieser von Ausschlüssen
und Hierarchien zerfressenen Welt nicht hinterfragen muss. In der Regel ist
das der bürgerliche weiße heterosexuelle Mann.
Vor ein paar Monaten erzürnte sich einer von ihnen. Ulrich Kutschera,
Professor der Biologie in Kassel, nannte die Gender Studies ein
„Krebsgeschwür“. Seltsam, wie man gleichzeitig so böse und so ahnungslos
sein kann.
„Die hoch qualifizierten Möchte-Gern-Alpha-Weibchen sterben alle
kinderlos“, setzte er hinterher. Für diese humorlose Schmähkritik bekam er
viel Applaus und wenige Lacher.
Woher auch? Die deutschen Unis sind traurige Orte, an denen alte Herren
wahre, quasi naturgegebene Wissenschaft betreiben. Unbeleckt von der
Unterscheidung von sex und gender, wie sie vor Jahrhunderten vollkommen
normal war und seit einigen Jahren wieder ist. Je komplexer die Welt, umso
einfacher die Wissenschaft.
Man stelle sich vor, Kutscheras Professur käme ihm gar nicht qua Natur zu,
sondern durch veränderbare Machtverhältnisse? Nicht nur er müsste um sein
Gehalt fürchten. Uni-Leitungen und Professuren sind schließlich fast
vollständig männlich besetzt.
## Zweigeschlechtlichkeit
Die Gender Studies sind da eine Ausnahme. Klar, schließlich beschäftigen
die sich mit der Zweigeschlechtlichkeit und ihrer Hierarchien, ihrer
symbolischen Ordnung.
Das ständige Bedürfnis jedenfalls, das als ideologisch zu brandmarken, was
für die schwarzweiße Welt eine Gefahr sein könnte, ist Ausdruck des Zorns
der Abgehängten – „angry white men“ hatte Michael Kimmel die genannt.
Dabei hat doch der wütende Glaube an die ewige Allmacht der
Zweigeschlechtlichkeit etwas fundamental-religiöses. Das Männerklo einer
Kneipe ist hierfür eigentlich eine schöne Kapelle.
19 Apr 2016
## AUTOREN
Sonja Vogel
## TAGS
Gender
Gender Studies
Universität Leipzig
Universität
Innenminister Thomas de Maizière
Schwerpunkt Rassismus
Gender
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