Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Vegane Ernährung und Leistungssport: Von der Lusche zum Ausdauermo…
> Können sich Leistungssportler vegan ernähren? Klar, das geht. Das
> Körpertuning steht dabei nicht immer im Vordergrund – eher die Tierliebe.
Bild: Das wird nicht reichen…
Als Andreas Hänni anfing, professionell Eishockey zu spielen, im dörflichen
Umfeld des Tessiner Vereins HC Ambrì-Piotta, kam er sich wie ein
Fremdkörper vor. „Ich war der, der quer in der Landschaft stand.“ Hänni
wuchs im Gegensatz zu den meisten seiner Mitspieler in einem
Akademikerhaushalt auf. Und dann ernährte sich der damals 18-Jährige auch
noch so komisch: Hänni ist Veganer. Er isst kein Fleisch, kein Fisch,
nichts, was von einem Tier stammt.
„Am Anfang war ich damit automatisch ein Außenseiter, teilweise war ich
auch mit Anfeindungen konfrontiert.“ Mitte der 90er Jahre galt so einer wie
Hänni noch als Exot – oder als Spinner, der Köstlichkeiten wie Zürcher
Geschnetzeltes, Bündner Fleisch und Walliser Raclette stehen lässt. Selber
schuld! Als er dann in Kanada spielte, später mit dem HC Lugano und dem SC
Bern Landesmeister wurde und nicht zu übersehen war, dass Hänni kein
schwächlicher Gemüsefuzzi war, sondern ein knallharter Athlet auf Puckjagd,
stieg die Akzeptanz.
Seinen Kollegen wurde klar, dass jeder Leistungssportler sich um seine
Ernährung kümmern sollte, und da war es keine schlechte Idee, besonders
viel Obst, Gemüse und Naturreis zu mampfen. „Ich wurde auch später noch
aufgezogen, aber in einem funktionierenden Team wird jeder aufgezogen, das
gehört zu einer guten Atmosphäre dazu“, sagt Hänni. Als er gefragt wurde,
wie er denn als Veganer ein Weihnachtsfest überhaupt genießen könne,
antwortete er: Was soll an Baguette mit Datteltomatenkonfitüre,
Pistaziencremesuppe und einem Schwarzwurzelsalat mit Morcheln schlecht
sein?
Es gibt nicht viele Veganer in der Szene der Leistungssportler. Aber in
Zeiten der Selbstoptimierung und Körperkontrolle zerbrechen sich immer mehr
Spitzenathleten den Kopf, ob es nicht besser wäre, die Ernährung radikal
umzustellen. Sie wollen noch mehr aus sich heraus holen, kompetitiver
werden. Der Körper wird zum Labor. Einmal kommt viel Eiweiß auf den Teller.
Ein andermal wenig Kohlehydrate – und umgekehrt.
Man testet die Steinzeitdiät, saniert den Darm und richtet sich sklavisch
nach den Vorgaben von Lebensmitteltabellen. Milch wird neuerdings verfemt
und manchmal auch Nachtschattengewächse, weil sie angeblich Entzündungen im
Körper begünstigen. Topathleten wie der Quarterback Tom Brady von den New
England Patriots leisten sich einen eigenen Koch und gehen in der Ernährung
mit einem heiligem Ernst vor, der in ähnlicher Ausprägung vielleicht nur
bei Pfingstkirchlern zu beobachten ist.
## Ethische Gründen
„Hart trainieren tun sie alle“, sagt der deutsche Spitzenschwimmer Marco
Koch, „über die Ernährung kann man sich aber noch von allen anderen
unterscheiden.“ Bei Andreas Hänni stand das Körpertuning aber nie im
Vordergrund. Er hat sich aus ethischen Gründen für die vegane Ernährung
entschieden. Der Schweizer sieht sich als ein Mensch, „der Werte
verinnerlicht und auch Tieren das Recht der Natur gewährt“.
Beim grassierenden Gesundheitswahn habe er nie mitmachen wollen, „ich bin
nicht vordergründig an einem langen Leben interessiert, ich trinke auch
gern mal ein Bier“, sagt der 37-Jährige, der im Vorjahr seine Karriere
beendet hat. Das Missionieren sei auch nie sein Ding gewesen. Soll doch
jeder reinhauen, was ihm beliebt. Dennoch ist er davon überzeugt: „Vegane
Ernährung ist bei allen Menschen leistungsfördernd, man muss nur einen
Zugang finden.“
Dieser Zugang ist der Biathletin Luise Kummer, 22, ziemlich schwergefallen.
Vor dieser Saison stellte die Thüringerin aus Tierliebe ihre Ernährung um,
von Vollwertkost auf vegan. Aber irgendetwas lief schief. Die Leistungen
sackten ab, und niemand konnte so recht sagen, ob nun eine langwierige
Zahnentzündung dafür verantwortlich war oder Kummers frisch erwachte Liebe
zu Quinoa und Tofu. Ihr Umfeld im Deutschen Ski-Verband sorgte dann in
diesem Winter dafür, dass sie den veganen Selbstversuch beendete und auf
Vegetarisch umschwenkte.
Sie selbst will sich über diesen Streit ums richtige Essen nicht äußern.
Weder ihr Verein, Eintracht Frankenhain, noch ihr Management und der DSV
stellen einen Kontakt zur Sportlerin her. Der Ski-Verband ist nur dann zu
einer „Kooperation“ bereit, wenn die taz den kompletten Artikel vorlegt.
Eine DSV-Sprecherin erklärt, das Thema sei „heikel“, man wolle die Athletin
„aus einem gewissen Kontext“ herausnehmen, sie schützen. „Da läuft
psychologisch einiges ab bei ihr, und wenn sie im Artikel liest, dass
andere Athleten mit der veganen Ernährung gut zurechtkommen, sie aber
nicht, dann könnte das negative Auswirkungen haben.“
## Erweckungserlebnis
Es gibt ja tatsächlich diese Supersportler wie die Triathleten Brendan
Brazier oder Rich Roll, die ihren Umstieg auf vegane Kost als
Erweckungserlebnis vermarkten. In einer spektakulären Metamorphose, so
machen sie glauben, seien aus sportlichen Luschen Ausdauermonster geworden,
die praktisch ohne Ermüdungserscheinungen Ultra-Distanzen zurücklegen
können.
Kummers Trainer, Gerald Hönig, sagt, dass sich seine Athletin durchaus
„belesen und fachkundig gemacht“ habe, aber die „Rückumstellung von vegan
auf vegetarisch“ habe sein müssen. Er lässt durchblicken, dass er so seine
Zweifel an einer fleischlosen Ernährung hat. Eine „ausgewogene Mischkost“
findet er am besten. Wie der DSV hält auch er die vegane Ernährung für ein
„sehr sensibles Thema“, zu dem er sich eher ungern äußert.
So entsteht der Eindruck, dass Luise Kummer ihr Experiment in einem
skeptischen und wenig unterstützenden Umfeld startete, was nicht
verwunderlich ist, gehört doch in Thüringen die Bratwurst zum
Grundnahrungsmittel und das dick mit Leberwurst bestrichene Butterbrötchen
auch. Veganer werden in Geschwenda, wo Kummer wohnt, noch immer scheel
angeschaut. So eine Ernährung kann im Thüringer Wald eine Provokation sein,
auch im Jahr 2016.
Ökotrophologin ist die Berufsbezeichnung von Claudia Osterkamp-Baerens. Sie
hat Luise Kummer beraten, will sich aber nicht zu dem Fall äußern. In ihrer
Laufbahn sind ihr nur zwei vegane Sportler untergekommen. „Das Thema ist
sehr stark in der Presse und vielleicht auch in Berlin präsent, aber nicht
unter Leistungssportlern, mit denen ich zu tun habe. Die haben meist andere
Probleme als vegane Ernährung.“ Sie meint jene Athleten, die unter dem Dach
des Deutschen Olympischen Sport-Bundes zum Beispiel an Olympiastützpunkten
trainieren und bei denen Osterkamp schon froh ist, wenn sie nicht ständig
Burger oder Pizza futtern.
## Mikronährstoffe und Eiweiß
„Vegane Ernährung ist überhaupt kein heikles Thema“, findet sie, „man m…
nur die Nahrungsmittel richtig einsetzen, auf den Mikronährstoffbereich und
den Eiweißbereich achten. Dafür braucht man sicherlich viel Erfahrung, und
es ist mit logistischem Aufwand verbunden.“ Veganer, die sehr viel Sport
machen, müssen, wie andere auch, manchmal aufpassen, dass sie genug
Vitamine und Spurenelemente tanken, Vitamin B12 etwa, Magnesium oder Zink.
Manche schlucken B12-Tabletten und nehmen nach Ausdauerbelastungen veganes
Eiweißpulver zu sich, um dem Muskelabbau entgegenzuwirken. Vegane
Leistungssportler müssen also, wie es im Fachjargon heißt, substituieren,
damit das Körperkraftwerk immer auf Hochtouren laufen kann. Kurzum:
Leistungssportler können sich ohne Probleme vegan ernähren, sie müssen nur
mehr Aufwand betreiben.
Luise Kummer hätte vielleicht einfach mehr Zeit gebraucht, um ihr
Körpergleichgewicht auszutarieren. Was dieser Fall lehrt: Als veganer
Leistungssportler ist Know-how nötig, fundiertes Wissen über den eigenen
Körper und die passenden Lebensmittel. Es schadet nicht, wenn Veganer
wissen, dass in der Rotalge besonders viele essentielle Aminosäuren drin
sind, im getrockneten Pfirsich viel Fluor ist und im Mohn sehr viel Zink.
## Eine Bauchentscheidung
Mit Nährwerten und Spurenelementen kennt sich Arnold Wiegand bestens aus.
Er hat Bücher geschrieben, wo aufs Milligramm genau drin steht, wie viel
Fett in einer frischen Avocado drin ist (2314 auf 100 Gramm). Wiegand, 53,
sieht sich in Deutschland in der Rolle eines „Pioniers“. Vor 13 Jahren ist
er in einem Rutsch Veganer und Leistungssportler geworden, einfach so, es
war eine Bauchentscheidung, die ihn in Extrembereiche geführt hat.
Den Fall Luise Kummer kann er gut nachvollziehen. „Wo man sich außerhalb
des Üblichen bewegt, kommt es zu Unsicherheiten. Es gibt ja so viele
Vorurteile gegenüber Veganern.“ Im konventionellen Leistungssport in
Deutschland lege man offensichtlich wert auf Sicherheit. „Wenn jemand etwas
Neues wagt und es klappt nicht so, dann muss der Athlet dafür gerade
stehen“, vermutet er. Wiegand war sich nur selbst verantwortlich. Als
Krönung seines radikalen Lebenswandels ist er vor ein paar Jahren zur
veganen Rohkost umgeschwenkt, das heißt Lebensmittel werden nicht erhitzt,
allenfalls in einem Dörrgerät auf 42 Grad.
Mit dieser Methode und einem strammen Trainingsregime hat es der
Sportlehrer zu beachtlichen Erfolgen in seiner Altersklasse gebracht. Bei
der WM im Triple-Ultra-Marathon in Lensahn bei Oldenburg ist er regelmäßig
unter die ersten Zehn gekommen – nach einem Härtetest über 11,4 km
Schwimmen, 540 km auf dem Rad und 126,6 km Laufen. „Ich hatte ein ganz
klares Gefühl, dass das richtig für mich ist“, sagt er. Im Juli ist er
wieder dabei. Wiegands Vorbereitung auf das Rennen, für das er etwa 46
Stunden braucht, ist so extrem wie seine Ernährung. Manchmal steht er
nachts halb drei auf und fährt mit dem Rad 200 Kilometer. Danach nimmt er
ein Eisbad. Was ein veganer Ultra-Man halt so macht.
1 May 2016
## AUTOREN
Markus Völker
## TAGS
Vegetarismus
Fußball
Ernährung
Veganismus
Leistungssport
Marathon
Vegetarismus
Massentierhaltung
Obst
Wellness
Schule
Landwirtschaft
Fleischkonsum
Ernährungswissenschaft
Vegetarismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Achtung, es ist wieder Berlin-Marathon: Die Straßen gehören den Läufern
Am Sonntag gehen wieder Zehntausende auf die 42,195 Kilometer lange Strecke
– zusammen mit den schnellsten Läufern der Welt.
CDU-Forderung zur Ernährung: Zwangsberatung für Schwangere
Eine Unionspolitikerin fordert eine verpflichtende Ernährungsberatung für
werdende Mütter. Der Vegetarierbund findet das gut.
Konflikt in der vegan-vegetarischen Szene: Der Vebu und die Fleisch-Firmen
Wiesenhof & Co. stellen jetzt auch vegetarische Wurst her. Der
Vegetarierbund findet das gut. Andere rein vegane Firmen, ganz und gar
nicht.
Kunst mit Obst und Begehren: Früchte des Porns
Die Künstlerin Stephanie Sarley berührt Obst auf angenehm unsittliche
Weise. Instagram sperrte sogar einige ihrer Videos.
Buch „Das Wellness-Syndrom“: Sei glücklich, verdammt
Wieso sind wir eigentlich alle so ego? Carl Cederström und André Spicer
sezieren die Anatomie von Glücksdoktrin und Selbstoptimierung.
Urteil zu veganem Schulessen: Keine Extrawurst in der Mensa
Eltern haben keinen Anspruch auf veganes Schulessen für ihr Kind. Wann muss
die Mehrheitsgesellschaft Rücksicht auf eine Minderheit nehmen?
Debatte Vegane Ernährung: Besser Pillen als Schwein
Dass Veganer*innen Vitamin B12 nehmen müssen, ist nicht neu. Wer ständig
davon redet, weiß nicht, was bei Tieren so alles in den Trog kommt.
Kommentar Pflanzliche Ernährung: Nur vegan ist auch keine Lösung
Wir verfallen von einem Extrem, zuviel Fleisch, ins andere: den Veganismus.
Besser wäre es, den gesunden Mittelweg zu suchen.
Vegane Ernährung: Warnung vor Mangelerscheinungen
Der Verzicht auf Tierprodukte berge Gesundheitsrisiken. Veganer sollten
sich regelmäßig ärztlich überprüfen lassen, so Ernährungswissenschaftler.
Tierrechtsverband Peta zu Expertenpapier: „Wir bevorzugen vegane Ernährung“
Felicitas Kitali von der Tierrechtsorganisation Peta lobt die Deutsche
Gesellschaft für Ernährung: Sie erkenne endlich an, dass veganes Essen
prinzipiell gesund sei.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.