Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kunst mit Obst und Begehren: Früchte des Porns
> Die Künstlerin Stephanie Sarley berührt Obst auf angenehm unsittliche
> Weise. Instagram sperrte sogar einige ihrer Videos.
Bild: Explizite Fruchtkunst
Sanft, so als sei, was sie berührte, eine Geliebte, reibt eine Frau ihren
Finger über die zerschnittene Orange, erspürt die Spalten, drückt ihn ins
weiche Fruchtfleisch hinein.
Fleisch?
Saft quillt heraus, schaumig bei Zitrusfrüchten, zurückgehalten bei Kiwis
und Melonen, aber hinter dem Bild beginnt diese Süße, dieser Duft, diese
Wolllust. Obwohl nicht geleckt, lässt es das Wasser im Mund fließen.
Rot-luftige Erdbeeren, orangene Papayas mit den inneliegenden,
scharf-würzigen dunklen Perlen – von zartem Schleim umgeben, der Schaum der
Limonen, der Saft der Blutorangen.
Blut?
Stephanie Sarley berührt das Obst, als wäre es die Vulva einer Frau. Sie
streicht darüber, fährt entlang der aufgefächerten Fruchtspalten, erspürt
die Fruchthaut.
Haut?
Es sind nur Fotos, die hier zu sehen sind. Die Videos dazu laufen auf
[1][YouTube], auf [2][Instagram], auf [3][Sarleys Homepage]. Und die
Reaktionen laufen im Kopf. Dreimal wurden Filme, auf denen die 27-jährige
amerikanische Künstlerin mit langsamen Bewegungen über aufgeschnittene
Früchte streicht, in sie eindringt, Schaum und Fruchtsaft springen lässt,
von Instagram blockiert. Der Inhalt sei anzüglich, sei provokativ. Manche
finden ihn beleidigend. Warum?
Sie, sagt Sarley in einem Interview in der amerikanischen Zeitung Daily
Dot, habe das doch nicht erfunden, dass man Obst berührt. Es sei ganz
natürlich, mit Essen zu spielen. Was sie gemacht habe, seien diese –
Vorsicht, im Englischen gibt es ein einziges Wort für all diese Adjektive,
die nun kommen – faszinierenden, herausfordernden, reizvollen,
provozierenden, anspruchsvollen, fordernden und, ja auch, schwierigen
Videos über Menstruation und Jungfräulichkeit und Sex und Liebe, die
einigen Menschen etwas bedeuten.
Also: Warum die Aufregung?
Es ist die verlangsamte Zeit, es ist die Sanftheit, es ist die Ähnlichkeit
des aufgeschnittenen Obstes mit dem Ungesehenen, dem, was über Jahrhunderte
verdunkelt wurde, die Vulva und Vagina der Frau, das schockiert. Als über
die Vulva – nach Jahrhunderten des Verschweigens – wieder gesprochen wurde,
war sie nicht mehr heilig, wie zehntausend Jahre zuvor, sie war nur noch
ein Loch.
Das Wort Phallus kennen die meisten. Nur wenige kennen dagegen Baubo, eine
Göttin, ein zum Wort gewordener Name, der den Phallus ergänzt und ohne den
der Phallus ein nach oben gerecktes Abbild einer Stele, eines Stabs, eines
Turms bliebe. Mehr nicht. In Goethes „Faust“ taucht Baubo in der
Walpurgisnachtszene auf, aber es klingt nicht mehr gut. „Stimme: Die alte
Baubo kommt allein, / Sie reitet auf einem Mutterschwein. / Chor: So Ehre
dem, wem Ehr gebürt! / Frau Baubo vor! und angeführt! / Ein tüchtig Schwein
und Mutter drauf, / Da folgt der ganze Hexenhauf.“
Stehen Goethes Verse für die Abwertung des weiblichen Geschlechts? Der
weiblichen Sexualität? Und für Pornografie?
Stephanie Sarleys Videos sind witzig, sind schön, sind lehrreich. (Führt
sie an Schulen vor!) Sie zeigen vor allem: eine Frau, die aufgeschnittenes
Obst, das an Vulvas erinnert, mit sehr viel Feingefühl berührt. Nicht
immer, aber oft, will eine Frau genau so angefasst werden. Im Grunde ist es
ein lesbisches Szenario.
Lesbisch?
Also mit Umständen, unter denen eine Frau einen Mann wirklich nicht
braucht. – Erklärt das womöglich den erbosten Aufschrei?
16 Jun 2016
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/channel/UCRfQuRn-dFRH1953qz0RorQ
[2] https://www.instagram.com/stephanie_sarley
[3] http://stephaniesarley.com/
## AUTOREN
Waltraud Schwab
## TAGS
Obst
Feminismus
Pornografie
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Trend
Bremen
Pornografie
Vegetarismus
Feminismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Zwei Autorinnen über lesbischen Sex: „Ich finde Anne Will super hot“
Simone Meier und Patricia Hempel kannten sich bis zu dieser Begegnung
nicht, haben aber einiges gemeinsam: Sie lieben Frauen – und schreiben über
ihr Begehren.
Speisefotos in Online-Netzwerken: Butter, Sahne, Pornofreude
Der Foodporn-Wahn ebbt nicht ab. Die digitale Speiseshow nervt immer mehr
Deutsche. Sind die Nahrungsnarzissten zu stoppen?
Sinnvolle Obst-Verwertung: Der Saft vergessener Äpfel
Eine Genossenschaft will mit ihrer mobilen Mosterei bislang ungenutzte
Gartenäpfel verarbeiten und ein Bremer Saft-Label schaffen.
Realistischer Sex in Pornografie: Realer als Analsex
Pornos prägen, was viele Menschen über Sex wissen und wie sie ihn haben.
Eine Reihe neuer Projekte versucht deshalb, Sex realistischer darzustellen.
Vegane Ernährung und Leistungssport: Von der Lusche zum Ausdauermonster
Können sich Leistungssportler vegan ernähren? Klar, das geht. Das
Körpertuning steht dabei nicht immer im Vordergrund – eher die Tierliebe.
Produzentin über Pornografie: „Ein Shoot braucht seine Zeit“
Erika Lust produziert Erotikfilme, die Frauen nicht als Objekte zeigen. Ein
Gespräch über Lügen, Fantasien und Feminismus.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.