| # taz.de -- Produzentin über Pornografie: „Ein Shoot braucht seine Zeit“ | |
| > Erika Lust produziert Erotikfilme, die Frauen nicht als Objekte zeigen. | |
| > Ein Gespräch über Lügen, Fantasien und Feminismus. | |
| Bild: Was ist die größte Lüge des Mainstreampornos, Frau Lust? „Vielleicht… | |
| taz.am wochenende: Erika Lust, was wollten Sie werden, als Sie ein Kind | |
| waren? | |
| Erika Lust: Archäologin, Ärztin, Polizistin, Schauspielerin, jeden Tag | |
| etwas anderes. Mit dem Erwachsenwerden interessierte ich mich mehr und mehr | |
| für Politik. Ich habe Politikwissenschaften studiert und hatte den Plan, | |
| bei einer Organisation für Frauenrechte zu arbeiten. | |
| Klingt, als wollten Sie die Welt zu einem besseren Ort machen. | |
| Ja, definitiv. | |
| Wollen Sie das immer noch? | |
| Natürlich. Ich hoffe, ich trage auch dazu bei, auf meine eigene Weise. Mein | |
| Ziel ist es, unsere Sicht auf Sexualität zu verändern. Ich finde, | |
| Pornografie hat sich lange genug auf die Anatomie von Sex konzentriert, auf | |
| die technischen Dinge, die Flüssigkeiten, die Positionen. Es wird Zeit, | |
| sich mit den Gefühlen auseinanderzusetzen, die wir beim Sex haben – die | |
| Intimität, die Verbundenheit. Sex ist so viel mehr als Porno. | |
| Die Schauspielerin Scarlett Johansson hat mal gesagt, die Vorstellung von | |
| Sex sei viel erotischer als der Akt an sich. Finden Sie das auch? | |
| Ich denke schon, dass sich sehr viel Erotik nur in unseren Köpfen abspielt. | |
| Dass wir von Dingen fantasieren, die wir nicht unbedingt im echten Leben | |
| umsetzen würden. Darum geht es ja bei meinem Projekt XConfessions: Menschen | |
| senden mir ihre Fantasien und Ideen ein, ich verfilme sie. Das ist etwas | |
| Neues in der Pornografie. Der Porno neigt normalerweise zur Wiederholung | |
| der immer selben Struktur. Der Pizzabote kommt, das Mädchen hat kein Geld, | |
| sie zieht sich aus, die beiden haben Sex. | |
| Einen Film über einen Pizzaboten haben Sie auch gedreht. | |
| Ja, aber ein Remake. In meinem Film zahlt die Frau für ihre Pizza und lädt | |
| den Boten anschließend zu sich ein. Das war mein erster Kurzfilm. Ich nahm | |
| eine klassische Story und machte einen komplett anderen Film daraus, indem | |
| ich den Stoff und die Charaktere anders behandelte. | |
| Sie bezeichnen sich als „feministische Independent-Erotikfilm-Regisseurin | |
| und -Produzentin“. Wodurch unterscheiden sich Ihre Filme vom herkömmlichen | |
| Porno? | |
| Meine Crew besteht aus fünfzehn Leuten, die meisten von ihnen sind Frauen. | |
| Zentrale Positionen, in denen Entscheidungen getroffen werden, besetze ich | |
| ausschließlich mit Frauen. Eine andere Sache ist, dass ich keine | |
| Pornovideos drehe, sondern Filme. Ich achte auf die Ästhetik, die | |
| kinematografische Vision. Dann kommt noch der ethische Aspekt dazu: wie ich | |
| mit meinen Schauspielerinnen und Schauspielern umgehe, wie ich sie | |
| darstelle. Wir schenken den Details sehr viel Aufmerksamkeit, dem Kostüm, | |
| der Maske, den Farben, dem Design, der Musik. | |
| Und inhaltlich? | |
| Alle Produktionen befassen sich mit weiblicher Lust. Das ist ein großes | |
| Thema, das in der Mainstreampornografie fehlt. In der Regel ist der Mann in | |
| der Hauptrolle zu sehen, und die Frau ist nur ein schönes Objekt, ein | |
| Vehikel, das ihm zu seiner Lust verhilft. Ich finde das bedenklich, denn | |
| der Porno hat einen sehr großen Einfluss auf die Gesellschaft, in der wir | |
| leben. | |
| Glauben Sie? | |
| Ich weiß es. Mehr und mehr Menschen konsumieren Pornos direkt auf ihrem | |
| Smartphone. Ein Drittel des gesamten Internettraffics dreht sich um Porno. | |
| Vor allem junge Menschen, denen es an eigener sexueller Erfahrung fehlt, | |
| werden hier mit einer sehr einseitigen Sicht auf die Beziehung zwischen | |
| Frau und Mann belastet. Und wenn sie dann auch noch in einem Land leben, in | |
| dem sexuelle Aufklärung keine große Rolle spielt, müssen sie die Antworten | |
| auf ihre Fragen bei Pornhub und Youporn finden. Das ist hart, auf diesen | |
| Plattformen finden sich sehr heftige und verstörende Inhalte. In vielen | |
| Pornos geht es nur darum, Frauen mit Sex zu bestrafen, es „der Schlampe mal | |
| so richtig zu besorgen“. Das fühlt sich nicht gut an. | |
| Wie muss ein Porno aussehen, damit er Frauen anmacht? | |
| Es ist immer schwierig von den Frauen als homogener Gruppe zu sprechen. | |
| Aber ich denke, was die Mehrheit verbindet, ist, dass wir uns wünschen, | |
| dass Frauen im Porno wie Menschen behandelt werden, und nicht wie | |
| Sexmaschinen. | |
| Was sollte man stattdessen sehen? | |
| Dass die Frauen Spaß haben. Man sollte das an ihren Gesichtern und | |
| Reaktionen ablesen können. Und dass sie nicht immer nur passiv sind, | |
| sondern Entscheidungen treffen und Dinge verlangen. | |
| Und das ist auch für ein männliches Publikum interessant? | |
| Na klar. Männer stehen auch nicht unbedingt auf den traditionellen | |
| Mainstreamporno. Sechzig Prozent meines Publikums sind männlich. | |
| Wie kommt das? | |
| Viele Männer kommen auf meine Filme, weil sie mit ihren Partnerinnen Pornos | |
| sehen wollen. Hinzu kommt, dass sich viele Männer nicht mit den | |
| Rollenbildern im traditionellen Porno identifizieren können: dem | |
| dauergeilen Macho, der Frauen benutzt. | |
| In Ihrem Buch „X – Porno für Frauen“ schreiben Sie, dass der gewöhnliche | |
| Porno wenig mit der Realität zu tun hat. Was sind die größten Lügen der | |
| Pornoindustrie? | |
| Die größte Lüge ist vielleicht die: Du kommst nach Hause und erwischst | |
| deinen Freund mit deiner besten Freundin und steigst sofort zu ihnen ins | |
| Bett. Und dann natürlich auch, dass alle Männer große Schwänze haben und | |
| Frauen im Bett immer High Heels tragen. Ach so, und dass Frauen stets | |
| erstaunt und freudig-überrascht sind, wenn sie in einer Männerunterhose | |
| tatsächlich einen Penis vorfinden. | |
| Warum wird der Porno noch von solchen Erzählungen dominiert? | |
| Weil die Industrie zu lange in den Händen von weißen, mittelalten, | |
| heterosexuellen Männern ist, die eine sehr konkrete Vision von der | |
| perfekten Frau haben: Sie ist blond, passiv, hat große Brüste und lange | |
| Fingernägel. | |
| Offenbar wollen viele Menschen genau diese Art von Porno sehen. Was denken | |
| Sie, warum das so ist? | |
| Man kann den Mainstreamporno mit dem Gastronomiegewerbe vergleichen. Es ist | |
| so, als gäbe es an jeder Ecke McDonald’s und Pizza Hut, aber kein kleines | |
| Thairestaurant mit einer wechselnden Tageskarte. Die Leute haben trotzdem | |
| Hunger und müssen essen. Natürlich ändert sich das langsam, es gibt immer | |
| mehr Indieporno-Produzenten, die neue Sichtweisen einbringen. Wir brauchen | |
| mehr davon, wir brauchen Künstler, die Woody Allens des Pornos, die Sofia | |
| Coppolas. Aber leider ist es auch so, dass viele Frauen sich immer noch | |
| davor fürchten, das Pornolabel zu bekommen, weil es als dirty gilt. | |
| Hatten Sie jemals Probleme damit: als dirty zu gelten? | |
| Wenn man Porno sagt, denken die Menschen natürlich nicht an smarte | |
| Filmkunst, sie haben stattdessen das Bild von erniedrigten Frauen vor | |
| Augen, die wie Plastikpuppen sämtliche Positionen einnehmen. Damit | |
| identifiziere ich meine Arbeit überhaupt nicht, deshalb stelle ich mich | |
| lieber als Erotikfilmregisseurin vor. Dieser feine Unterschied macht sehr | |
| viel aus, die Leute sind plötzlich interessiert. Und auch meine Mutter mag | |
| den Ausdruck viel lieber als Pornoregisseurin. | |
| Bezeichnend an Ihren Filmen ist auch, dass die Männer keine haarigen, | |
| hässlichen Rüpel sind, sondern ansehnliche, nahbare Männer, die die Frauen | |
| freundlich behandeln. Wie casten Sie Ihre Darsteller? | |
| Ich unterhalte mich mit vielen Leuten, Persönlichkeit ist mir wichtig, | |
| Attraktivität hat ja nicht nur mit Aussehen zu tun. Wenn ich online | |
| interessante Leute finde, mache ich Skype-Interviews aus und versuche sie | |
| kennenzulernen. | |
| Sind darunter auch Anfänger? | |
| Ja, ich arbeite mit professionellen „Adult Performern“ und mit Anfängern. | |
| Natürlich ist es schwieriger, mit Leuten zu arbeiten, die noch nie vor | |
| einer Kamera standen. Das ist viel beängstigender, als man denkt, vor allem | |
| für Männer. Ein Shoot braucht seine Zeit, nicht alle können ihr Erektion so | |
| lange halten. Du kannst ein großartiger Liebhaber im richtigen Leben sein, | |
| aber vor der Kamera nicht funktionieren. | |
| Für Ihr Projekt XConfessions verfilmen Sie Fantasien, die Menschen Ihnen | |
| zuschicken. Es entsteht also ein Crowdsourcing-Effekt. Wie wählen Sie aus, | |
| woraus ein Drehbuch wird? | |
| Ich schaffe es natürlich nicht, alles zu verfilmen, denn täglich gehen fast | |
| zwanzig Vorschläge ein. Also nehme ich die, auf die ich Lust habe. Manchmal | |
| verändere ich die gesamte Geschichte auch, indem ich ein Skript schreibe, | |
| das nur locker an die Idee angelehnt ist. Das Projekt hilft mir sehr dabei, | |
| neue Stile auszuprobieren. | |
| Es gibt Filme auf Ihrer XConfessions-Plattform, die „I fucked my boss“ oder | |
| „Bad Ass Secretary“ heißen. Warum reproduzieren Sie als feministische | |
| Regisseurin diese klassische Hierarchienummer? | |
| Weil es Fantasien sind. Dass es die nach wie vor gibt, verwundert mich | |
| nicht. Schließlich sind wir in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der | |
| Frauen Männern unterlegen sind. | |
| Wollen Sie damit sagen, dass der Vorstellungskraft von Frauen Grenzen | |
| gesetzt sind? | |
| Nein. In der Fantasie nimmt man ja nicht immer dieselbe Rolle ein. Wenn es | |
| um Machtspiele geht, dann mögen es viele Menschen, die Verhältnisse immer | |
| wieder zu kippen. An einem Tag will man vielleicht dominant sein, am | |
| nächsten Tag die Unterwürfige. Sexualität ist ja nichts Statisches. Sie | |
| verändert sich in allen Lebensphasen, mit jedem neuen Partner. | |
| Dann steht die Reproduktion der unterwürfigen Frau nicht im Widerspruch zum | |
| Feminismus? | |
| Natürlich nicht! Was ist Feminismus denn überhaupt? Feminismus ist eine | |
| Bewegung, die die selben Rechte und Möglichkeiten für Frauen und Männer | |
| fordert. Sie schreibt dir nicht vor, wie du Sex haben sollst. Feministin zu | |
| sein, bedeutet nicht, dass man dominant im Bett sein muss. Es geht nur | |
| darum, zu wissen, was man möchte. Wenn man das Gefühl hat, dass man im Bett | |
| dominiert werden will, dann ist das okay. | |
| Im Feminismus gab und gibt es auch Strömungen, die Pornografie komplett | |
| ablehnen. | |
| Das scheint mir vor allem eine Meinung aus den früheren Jahren zu sein. Die | |
| junge Bewegung ist da ganz anders, sie findet es sehr begrüßenswert, wenn | |
| Frauen Erwachsenenfilme drehen. Die junge Bewegung ist sehr sex-positiv. | |
| Was hat sich verändert? | |
| Unsere Kämpfe haben sich verändert. Frauen haben mehr Macht, mehr Geld. Wir | |
| dürfen in vielen Dingen mitentscheiden. Das beeinflusst, wie wir mit | |
| unserer Sexualität umgehen. Wir haben weniger Angst davor, was andere über | |
| uns denken. | |
| Auch feministischer Porno ist nichts Neues, die Bewegung begann schon | |
| Anfang der Achtziger. Was hat sich seither getan? | |
| Das Genre ist viel größer und erfolgreicher geworden. US-Pionierinnen wie | |
| Candida Royalle, Anne Sprinkle und Nina Hartley haben uns den Weg geebnet, | |
| indem sie als Erste versucht haben, die Industrie zu revolutionieren. Nicht | |
| nur, weil sie Frauen waren. Sie hatten studiert, einen intellektuellen | |
| Background und brachten eine ganz neue Perspektive in das erotische Kino. | |
| Seitdem ist der Markt gewachsen, man kann viel ausprobieren, vor allem dank | |
| des Internets. 1982 war es schwer ein Publikum zu finden. Heute ist es viel | |
| einfacher durch die völlig neuen Vertriebswege. | |
| In Ihren Filmen geht es vorrangig um heterosexuelle Beziehungen. Bisexuelle | |
| Charaktere tauchen ab und zu auf, aber es gibt keine Filme mit | |
| ausschließlich gleichgeschlechtlichen Paaren. Interessieren Sie die etwa | |
| nicht? | |
| Oh doch, aber die Art der Filme, die ich mache, hat mit meiner Perspektive | |
| zu tun. Und ich bin nun mal eine heterosexuelle Frau. Es hat auch mit | |
| meinem Publikum zu tun, das diese Art von Filmen will. Wobei ich nicht | |
| sagen würde, dass mein Publikum nicht offen für Neues wäre, wir erschließen | |
| gerade verschiedene Gebiete. Zum Beispiel haben wir einige Pegging-Filme … | |
| … Pegging, was bedeutet das? | |
| Dass eine Frau einen Mann mit Hilfe eines Strapons penetriert. Diese Filme | |
| sind sehr populär. | |
| Dennoch wirken die meisten Ihrer Filme eher heteronormativ. | |
| Ich denke nicht, dass ich alles machen muss. Ich repräsentiere nicht alle | |
| Frauen dieser Welt und nicht alle sexuellen Orientierungen. | |
| Vielmehr entsprechen Ihre Darsteller und Darstellerinnen den | |
| Schönheitsidealen. Sie sind schlank, jung und gut aussehend. | |
| Wir versuchen schon Performer diverser Herkunft, diversen Alters zu casten. | |
| Aber das ist schwierig, denn die meisten Adult Performer, die ihren | |
| Lebensunterhalt mit diesem Job verdienen, sehen einander sehr ähnlich. Ich | |
| hatte einmal das Glück, mit einer Performerin zu arbeiten, die schon 50 | |
| war. Aber das ist die absolute Ausnahme. | |
| Haben Sie schon mal mit Trans*personen gedreht? | |
| Nein. Das hat nichts damit zu tun, dass ich etwas dagegen habe – es hat | |
| sich bisher nicht ergeben. Mein Projekt dreht sich um Inklusion, ich möchte | |
| alle einbinden. Aber ich kann das nicht allein tun, ich habe nur eine | |
| Independentfirma … | |
| … eine kleine Firma, die sehr erfolgreich ist und mit dem Label „Feminist | |
| Porn“ operiert. Bringt das nicht eine gewisse Verantwortung mit sich? | |
| Klar, alles im Leben bringt Verantwortung mit sich. | |
| In einem Ihrer Filme, der sich um SM dreht, ist die dominante Person weiß | |
| und die unterwürfige Person schwarz. Denken Sie, einige Zuschauer finden | |
| das problematisch? | |
| Um ehrlich zu sein, war es für mich beim Shooting nicht interessant, wer | |
| schwarz und wer weiß ist. Mich hat eher interessiert, dass er ein Mann ist, | |
| der dominiert werden möchte, und dass sie eine tolle Domina ist. | |
| Lässt sich das wirklich so einfach trennen? | |
| Ich höre diese Vorwürfe dauernd, ich hätte zu wenige füllige Performer, ich | |
| hätte keine Trans*personen, nicht genug alte Menschen, keine Asiaten, keine | |
| Inder. Natürlich wird es politisch in dem Augenblick, in dem der Film einem | |
| Publikum gezeigt wird. Es gibt einen Punkt, an dem ich nur sagen will: | |
| Kommt schon Leute, ich mache meine Filme, und zwar so gut ich kann. Ich | |
| habe nicht das Geld, um in Japan Performer zu casten. Lasst mich einfach | |
| machen, was ich am besten kann. Und wenn euch das nicht passt, dann macht | |
| es besser. | |
| 17 Apr 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Fatma Aydemir | |
| Marlene Halser | |
| Julia Baier | |
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