| # taz.de -- Buch „Das Wellness-Syndrom“: Sei glücklich, verdammt | |
| > Wieso sind wir eigentlich alle so ego? Carl Cederström und André Spicer | |
| > sezieren die Anatomie von Glücksdoktrin und Selbstoptimierung. | |
| Bild: Bin ich schön, klug, erfolgreich genug? Bin ich? | |
| Das Ineinanderfallen von Produktion und Reproduktion, die Entgrenzung von | |
| Arbeit und Freizeit sowie die Subjektivierung und Flexibilisierung von | |
| Arbeit ist eine weitverbreitete Diagnose. Die Soziologen Carl Cederström | |
| und André Spicer analysieren in ihrem Essay „Das Wellness-Syndrom. Die | |
| Glücks-Doktrin und der perfekte Mensch“ nicht nur, wie das eigene Leben wie | |
| ein Unternehmen geführt wird, sondern das dialektische Zusammenspiel von | |
| Wellness-Anrufungen und aufoktroyierten Selbstkontrollformen. | |
| Der Analyse des Wandels von der „Work-Ethic“ zur „Workout-Ethic“ und der | |
| scharfen Kritik am stahlharten Gehäuse der Wellness und der | |
| gesellschaftlichen Institutionalisierung des „gesunden“ Selbst setzen sie | |
| ein engagiertes Plädoyer gegen die narzisstische Nabelschau und körperliche | |
| Selbstoptimierung entgegen. | |
| Ob an US-amerikanischen Universitäten Wellness-Verträge unterschrieben | |
| werden, die einen dazu verpflichten, den Lebensstil zu optimieren, oder ob | |
| die Arbeit mit Workout verbunden wird, indem man in Walking Meetings gegen | |
| ein träges Sitzen vorgeht, oder ob Subalterne als übergewichtige, sich wild | |
| besaufende, schmarotzerische „gefährliche Klasse“ gebrandmarkt werden, so | |
| die englischen Prolls, die sogenannten Chavs, die scheinbar dem Staat auf | |
| der Tasche liegen – in alle Sphären des Lebens hat sich Fitness und | |
| Gesundheit als Ideologie eingeschlichen. | |
| Und eines ist klar: Der Körper steht wieder einmal unter Beschuss, oder | |
| anders gesagt: Er ist eine Waffe, die bewusst eingesetzt wird. So lautet | |
| die These der beiden Autoren Carl Cederström und André Spicer in ihrem | |
| Essay. Wie stark Wellness als „moralische Aufforderung“ auch auf unsere | |
| Alltagspraktiken prägend wirkt, zeigen sie anhand zahlreicher, teilweise | |
| unfreiwillig komischer Beispiele. | |
| ## Neue Formen der Kontrolle | |
| Promiköche, Glücksgurus und begeisterte Start-up-Gründer, | |
| „Unternehmensathleten“ und andere Apostel der Wellness sind die Role | |
| Models. Ziel ist es nicht nur, die Entgrenzung von Arbeit und Leben zu | |
| intensivieren, sondern die Selbstoptimierung stets auch als berufliche | |
| Selbstverwirklichung zu verkaufen. | |
| Die Semantik der Zeitdiagnose ist nicht ganz neu. An den Studien von | |
| Christopher Lasch und Richard Sennett zum Narzissmus und den | |
| Governmentality Studies orientiert, zeigen die Autoren plausibel, wie der | |
| Appell an die positive und ganzheitliche Kraft der Arbeitssubjekte vor sich | |
| geht, um damit neue Kontrollformen und Effizienzsteigerung zu etablieren. | |
| Wie diese allumgreifende Moral Campaign, deren asketisch-gesundheitlicher | |
| Beigeschmack zwar oft im konsumkritischen Gewand daherkommt, mit einem | |
| zeit-, geld- und energieraubenden Lebensstil nicht nur zu einer | |
| Entpolitisierung führt, sondern ein Denken und Handeln in Alternativen | |
| völlig verbaut, wird in dem polemischen Essay überaus deutlich. | |
| Wie sich jedoch gegen diese Machttechniken, die zur biopolitischen | |
| Normalisierung maßgeblich beigetragen haben, ein kritisches Bewusstsein | |
| wecken lässt, steht auf einem anderen Blatt. | |
| ## Der Körper, ein schwieriges Terrain | |
| Im Gegensatz zum österreichischen Philosophen Robert Pfaller, dessen | |
| Diagnosen in eine ähnliche Richtung gehen, wollen sie dem Rauchverbot aber | |
| nicht einfach ein existentialistisch-exzessives Leben entgegenstellen. | |
| Dass der Wellness-Fun ein Stahlbad ist, ist offensichtlich, dass eine | |
| unterkomplexe Antihaltung, die sich immer auch mit dem Wort, das danach | |
| kommt, verknüpft, keine Exitoption ist, ist den Autoren durchaus bewusst. | |
| Zwar könnten jenseits der Wellness-Anrufung kurzfristig neue Räume eröffnet | |
| werden, „anti-biomoralische Militante“ würden aber „oft noch enger an ih… | |
| Körperobsessionen gebunden“. | |
| Im Zusammenhang mit Michel Foucaults „Sorge um sich selbst“ sollte man | |
| vielleicht jedoch auch daran erinnern, dass es auch eine | |
| Sensibilisierungspraxis gegenüber dem eigenen Körper gibt, den eigenen | |
| Lebensgewohnheiten. Die feministische und queere Tradition hat durchaus | |
| umsichtige Überlegungen zu einer Kultivierung bestimmter Formen der | |
| Selbstsorge, der Solidarität mit sich selbst und den anderen vorgeschlagen. | |
| Schwieriges Terrain – der Körper. | |
| 1 Jun 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Pascal Jurt | |
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