# taz.de -- Unterwegs als Kurierfahrer bei „Foodora“: Radeln against the Ma… | |
> Zwei Monate hat sich unser Autor als Fahrradkurier in der Share Economy | |
> verdingt. Er lernte, wie man einen Algorithmus austrickst. | |
Bild: Mit dem Rad durch die Stadt. Doch die Lieferanten haben zusätzlich noch … | |
Ich war gerade mit dem Studium fertig geworden und arbeitslos. Ich besaß | |
ein Fahrrad und brauchte das Geld. Und so wurde ich Essenslieferant. | |
Ein Vorstellungsgespräch gab es bei der Firma, die ich dazu anrief, nicht. | |
Nur zwei Fragen am Telefon: „Hast du ein Smartphone und ein Fahrrad? Weißt | |
du, wie es bei uns läuft?“ – „Ähm, ihr sagt mir, wo ich hinfahren muss,… | |
hole das Essen ab und dann bringe ich es zu den Kunden“, antwortete ich. | |
„Richtig“, sagten sie. Und ich war eingestellt. | |
Die Firma, für die ich arbeiten sollte, heißt Foodora. Und soviel vorweg: | |
Ich habe nach zwei Monaten wieder gekündigt. Bevor es soweit war, habe ich | |
einen Kampf geführt. Nicht mit meinem Boss. Sondern gegen die Maschine. | |
Aber dazu später mehr. | |
Foodora bedient eine Marktlücke. Statt wie die Onlineplattform Lieferando | |
lediglich die Bestellungen an die Restaurants weiterzugeben, übernimmt das | |
Berliner Start-up mit dem pinken Logo auch die Lieferung. Dazu stellen sie | |
Kurierfahrer ein. So wie mich. | |
## Slow Food in 30 Minuten | |
In elf Städten gibt es Foodora mittlerweile. Wer nicht von der Couch | |
aufstehen will, um ins Restaurant zu gehen, kann – so verspricht es | |
zumindest die Werbung – in den „besten Restaurants im Kiez“ bestellen. Nun | |
ja. In den meisten Fällen sind die Etablissements, die mit Foodora | |
kooperieren, nicht mehr als gehobenere Falafelläden oder hippe | |
Burgerjoints. Aber egal. Wenn man versucht, Slow Food schnell zu liefern, | |
muss man Kompromisse eingehen. | |
Foodora ist nicht allein auf dem Markt. Die Konkurrenz kommt in Form eines | |
Kängurus daher und nennt sich Deliveroo. Deren Werbeplakate sind in Berlin | |
momentan genauso allgegenwärtig wie die von Foodora. Deliveroo in Türkis | |
und Foodora in Magenta. Ansonsten sind die beiden Angebote kaum voneinander | |
zu unterscheiden. | |
„Berlin isst besser“ lautet ein Claim. „Berlin isst anders“ der andere. | |
Welcher von welcher Firma stammt, habe ich vergessen. Die Liefergebühr | |
beträgt bei beiden 2,50 Euro, die Lieferzeit ungefähr 30 Minuten und auch | |
die meisten Restaurants kooperieren mit beiden. Deshalb wurde uns auch | |
eingeschärft, bloß nicht „die Tüten der Konkurrenz zu liefern“. In der | |
Einführungspräsentation zeigte man uns ein durchgestrichenes Känguru. | |
Unverwechselbarkeit muss schließlich sein. | |
Als Kurierfahrer bei Foodora war ich Teil der sogenannten Share Economy. | |
Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit, Eigentum und Teilen verwischen | |
zunehmend in dieser Branche. Wer ein Zimmer zur Verfügung hat, kann auf | |
Airbnb Hotelier werden, wer ein Auto und ein Smartphone hat, kann mit Uber | |
Taxifahrer*in sein. Ob man das nun gut findet oder nicht: Die Share Economy | |
bietet so flexible, kurzfristige Jobs, auch wenn diese bisweilen prekär | |
sind. Jobs, die viele Menschen meiner Generation nutzen müssen, meist nur | |
vorübergehend. Als eine Art Lückenbüßer, wenn man gerade Geld braucht und | |
es schnell und einfach verdienen will. Allein in meinem Freundeskreis gibt | |
es mehrere Airbnb-Hoteliers, Uber-Taxifahrer und andere Essenskuriere. | |
## Die App ist der Boss | |
Die Arbeitsbedingungen bei Foodora sind besser als bei der Konkurrenz. | |
Deliveroo beschäftigt selbstständige Fahrer*innen ohne Sozialversicherung. | |
Wer dort arbeitet, bekommt nur 7,50 Euro pro Stunde plus 1 Euro pro | |
Auftrag. Bei Foodora sieht das anders aus. Die Fahrer*innen haben einen | |
festen Arbeitsvertrag mit einem Stundenlohn von 9 Euro und sind | |
sozialversichert: Das hat mich damals überzeugt. Anfangs gab es sogar einen | |
„Regenbonus“ von 50 Cent. Der wurde aber vor einem Monat abgeschafft. | |
Begründung: Der Druck der Investoren sei hoch, Foodora müsse profitabler | |
werden. | |
Als Smartphone- und Fahrradbesitzer habe ich quasi meine Zeit verkauft und | |
wurde Teil der pinken Foodora-Armee. Genauso wie bei anderen | |
Share-Economy-Jobs muss man auch hier selbst Konsument sein und sich die | |
„Werkzeuge“, die Assets, kaufen, die man für den Job benötigt. Diese | |
Werkzeuge sind aber mitunter Luxusgegenstände: Rennräder und iPhones. | |
Mitmachen kann nur, wer sie sich leisten kann. Foodora übernimmt dann | |
Logistik und Bestellungen mit Hilfe einer App. | |
Und die funktioniert so: Der Kunde hat Hunger und bestellt im Netz. Er darf | |
nur von Restaurants in seinem Lieferkreis wählen, sprich: 2 Kilometer. | |
Foodora funkt das Restaurant an. Das Restaurant bereitet das Essen vor. | |
Foodora funkt den Fahrer an, der die Bestellung am schnellsten liefern | |
kann. Nicht unbedingt den, der am nächsten ist. Der Fahrer radelt zum | |
Restaurant. Dort wartet er auf eine pinke Papiertüte. Das Essen ist fertig. | |
Er klickt auf „abgeholt“ in der App und fährt zum Kunden. Manchmal muss der | |
Fahrer zuerst noch eine andere Bestellung abholen. So hat der Algorithmus | |
das ausgerechnet. Jede Bestellung ist ein Puzzle, die Teile erhält der | |
Fahrer erst nach und nach. | |
Algorithmen bestimmen unser Leben mehr und mehr. Sie wählen aus, welche | |
Artikel uns in der Google-Suchanfrage angezeigt werden oder was in unserer | |
Facebook-Timeline erscheint – und sie kommen eben auch bei Start-ups wie | |
Foodora zum Tragen. Welche Kriterien sie benutzen, bleibt | |
Betriebsgeheimnis. Ich wusste stets nur soviel: Zu Schichtbeginn musste ich | |
im zugeteilten Bezirk sein, mich in die App einloggen und auf den ersten | |
Auftrag warten. | |
Manchmal klingelte das Handy sofort, manchmal dauerte es. Manchmal bekam | |
ich stundenlang keine Bestellungen. Dann suchte ich mir ein Plätzchen im | |
Warmen: Cafés, Plattenläden oder gar zu Hause auf dem Sofa. Es war Winter. | |
Bezahlt wurde ich in dieser Zeit trotzdem. | |
Manche Restaurants waren nett zu mir und gaben mir einen Tee aufs Haus. | |
Manche wollten, dass ich sofort wieder verschwinde, weil Lieferanten nicht | |
zu deren Image passten. | |
## Sushi für die Autonomen | |
Als Fahrer habe ich alle möglichen Leute mit Essen beliefert. Es gab die | |
Amerikanerin, die mit europäischem Kleingeld nicht sehr vertraut war und | |
fast genausoviel Trinkgeld gab, wie die Bestellung wert war. Es gab die | |
Bekifften im 5. Stock, die mir eine Runde Applaus spendeten, weil ich | |
tatsächlich zum Späti gegangen war, um noch eine Literflasche Cola zu | |
holen. Kein Trinkgeld. Auch Start-ups, die sich ihr Mittagessen liefern | |
lassen, sind trinkgeldscheu. Da ist das Foodora-Büro, das ich ein paar Mal | |
beliefern musste, keine Ausnahme. | |
Es gab auch die Bestellung an die Köpenicker Straße 137 in | |
Berlin-Kreuzberg. Die Adresse kam mir bekannt vor: Ich war da schon mal auf | |
einer Party gewesen. Als ich vor dem überwucherten Eingang des maroden | |
Hauses stand, erkannte ich das Gebäude. Ein „Herr Seegurke“ aus dem | |
dortigen Hausprojekt Køpi hatte Sushi bestellt. Wir saßen noch eine Weile | |
um ein brennendes Ölfass vom Vorabend im verwüsteten Innenhof, während die | |
Musik einer Punkband aus dem Seitenflügel dröhnte. Die Autonomen waren sehr | |
interessiert an meiner postkapitalistischen Beschäftigung und gaben gutes | |
Trinkgeld. | |
## Ich gegen den Algorithmus | |
In erster Linie aber war mein Leben als Fahrradkurier von ebenjenen | |
ominösen Algorithmen und von GPS-Signalen bestimmt. Bald fand ich auch das | |
Folgende heraus: Weil die App meist den schnellsten Fahrer für die | |
Bestellung auswählt, wird das Tempo jeder einzelnen Fahrt dokumentiert. | |
Anfangs stellte ich mir vor, es gebe eine Art Kontrollzentrum im Hauptbüro | |
von Foodora, das dem War-Room aus Kubricks Dr. Strangelove ähnelt: eine | |
riesige beleuchtete Stadtkarte an der Wand, auf der alle Fahrer*innen mit | |
pinken Punkten angezeigt sind; ein kreisförmiger Tisch, an dem die | |
Logistikmitarbeiter*innen in pinker Generaluniform sitzen und ihre | |
Kurierarmee strategisch durch die Stadt kommandieren. | |
Ich habe so einen Raum nie gefunden. In einer Rundmail war stattdessen von | |
einem „verbesserten Algorithmus“ die Rede. Da wusste ich: Es ist ein | |
Computer, der die Strecken zuteilt. | |
Nach dieser Erkenntnis versuchte ich den Algorithmus auszutricksen. Denn | |
was so ein Algorithmus nicht einberechnet, ist, dass Menschen auch | |
eigennützig handeln können. Wenn ich eine kleine Strecke schnell fuhr, | |
schlussfolgerte der Algorithmus, dass ich mit dieser Geschwindigkeit auch | |
längere Strecken stundenlang ohne Pausen fahren kann. So musste ich | |
innerhalb von ein paar Stunden mehrmals die Stadt bis zur Erschöpfung | |
durchqueren. | |
Ich fuhr also mit Absicht langsamer. Denn die App bestrafte mich mit langen | |
Strecken, wenn ich schnell fuhr. Längere Strecken bedeuten weniger | |
Bestellungen pro Stunde, was wiederum weniger Trinkgeld bedeutet. Um den | |
Algorithmus auszutricksen, musste ich mein Durchschnittstempo reduzieren. | |
An roten Ampeln blieb ich also pflichtbewusst stehen und Fußgänger hatten | |
immer Vorrang. Ich war ein vorbildlicher Radfahrer. Mensch gegen Maschine. | |
Schnell bemerkte ich, dass die Strecken tatsächlich kürzer wurden. | |
Niemand hat die Absicht, für immer Fahrradkurier zu sein. Das weißt auch | |
Foodora. Nach zwei Monaten habe ich einen Job gefunden, der meinen Talenten | |
besser entspricht: als Übersetzer. | |
Als ich kündigte, sagte der Mitarbeiter am Telefon: „Das ist super, | |
herzlichen Glückwunsch! Ich meine, das ist schade und wir bedauern das | |
sehr.“ Natürlich ist das Quatsch. Foodora hat mehr Fahrer*innen als | |
Schichten, und die Erleichterung, einen Fahrer weniger mit Aufträgen | |
versorgen zu müssen, war hörbar. So habe ich Foodora genauso einfach | |
verlassen, wie ich angefangen habe. Ich war nur eine kleine Einheit in | |
einer gewaltigen pinken Armee. | |
16 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Nicholas Potter | |
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