# taz.de -- Start-ups für die Bequemlichkeit: Ausgehen ist so banal | |
> Dank Unternehmen wie Foodora und Helpling bleiben uns Kochen, Putzen und | |
> Einkaufen erspart. Haben wir nun mehr Zeit für die wichtigen Dinge? | |
Bild: Alles für die Bequemlichkeit – oder war es die Selbstoptimierung? | |
Es ist kurz nach halb acht an einem Samstag. Ich stehe in einem | |
koreanischen Imbiss in Berlin-Treptow und warte darauf, dass die | |
Bestellung, die ich dort abholen soll, fertig wird. Kein einziger Kunde | |
sitzt in dem Laden, dort warten nur noch ein paar Kuriere von Foodora und | |
anderen Essensauslieferern, die wie ich ihre Bestellung abholen wollen. Es | |
war nicht das einzige Mal, dass ich das erlebte, als ich im vergangenen | |
Sommer einige Monate als Kurier für Foodora arbeitete. | |
Die Szene macht eine Entwicklung recht anschaulich: Wir müssen die eigenen | |
vier Wänden seltener verlassen, weil immer mehr Essen auch eingepackt nach | |
Hause geliefert werden kann. Wir gewöhnen uns immer mehr daran, Dinge | |
bequem per Mausklick oder swipe auf dem Smartphone bestellen zu können. | |
Amazon startete damals mit Büchern, mittlerweile kann beinahe alles online | |
erworben werden – sogar frische Lebensmittel. | |
Bequemlichkeit, das ist es, womit eine ganze Reihe neuer Start-ups derzeit | |
in deutschen Großstädten um Kunden wirbt. Sie nennen sich Foodora, Zipjet, | |
Marley Spoon oder Helpling und versprechen uns ein besseres Leben. Sie | |
nehmen vermeintlich lästige Aufgaben ab, damit endlich wieder Zeit für die | |
wichtigen Dinge im Leben ist. Sie nennen das die Convenience Economy. Eine | |
Wirtschaft der Bequemlichkeit ist damit gemeint: Während der Begriff | |
convenience food an Fertigpizza und Mikrowellenessen denken lässt, | |
organisiert die Convenience Economy den Zugriff auf Dienstleistungen | |
digital und bequem – von der Putzkraft bis zur Lieferung von | |
Restaurantessen bis an die Haustür. | |
## Unerlässlich und modern | |
Zeitraubende Haushaltstätigkeiten wie Einkaufen, Putzen oder Kochen werden | |
immer häufiger delegiert. Die Bequemlichkeit eines Produkts oder Service | |
bestimmt über Nachfrage und Erfolg. Dafür zahlen wir auch gern einen | |
höheren Preis. Früher hatten wohlhabende Familien eine Haushaltshilfe, die | |
das Haus putzt, einkauft oder wäscht. Heute reinigt ein Helpling die | |
Wohnungen von unzähligen Familien. Marley Spoon mimt den persönlichen | |
Einkäufer und Foodora bringt das Restaurant in die eigenen vier Wände. | |
Zumindest Pizzakurier, Putzkraft oder Wäscherei gibt es zwar schon eine | |
ganze Weile. Doch die neuen Start-ups verkaufen sie als unerlässlich für | |
einen modernen Lebensstil. | |
Die wichtigste Veränderung besteht dabei in der Zentralisierung und | |
einfacheren Verfügbarkeit, ermöglicht durch digitale Technologien wie das | |
Smartphone und die Algorithmen der Unternehmen. Anstatt bei einer Pizzeria | |
anzurufen, wo im Zweifel die Adresse nicht richtig verstanden wird, oder | |
auf Mund-zu-Mund Propaganda angewiesen zu sein, um an seine Putzkraft zu | |
kommen, verknüpfen die Apps und Algorithmen der Dienstleister Angebot und | |
Nachfrage und reduzieren damit zwischenmenschlichen Kommunikation. Die | |
Kunden sehen nur noch die schön gestaltete Webplattform, auf der sie ihre | |
Wünsche eingeben und mit einem Klick bestätigen. | |
Genau das war auch schon das Erfolgsmodell von Amazon, dem Onlineservice, | |
bei dem wir eigentlich alles kaufen können, ohne uns unzählige | |
Telefonnummern und Passwörter für unterschiedlichste Kleinstanbieter merken | |
oder tatsächlich in ein Geschäft gehen zu müssen. Die Start-ups der | |
Convenience Economy weiten dieses Prinzip nun aus und popularisieren es | |
durch ihre intensive Werbung im Bereich der klassischen Haushaltsarbeit, | |
die bisher weniger digitalisiert und kommerzialisiert war. Kochen oder | |
Putzen, all das kann jetzt bequem per App bei jeweils einem Anbieter | |
erledigt werden. | |
Es geht bei dieser neuen Wirtschaft der Bequemlichkeit zwar grundlegend um | |
das Vermeiden von Aufwand und Sparen von Zeit, aber auch um die Annahme, | |
dass diese Services es besser können als man selbst oder traditionelle | |
Angebote. Das Essen aus der Box scheint raffinierter, die Wohnung sauberer, | |
das Hemd ordentlicher gebügelt und das Uber-Taxi – in Deutschland noch | |
verboten – einfach cooler als der öffentliche Nahverkehr. So bewerben es | |
zumindest die Start-ups und versuchen diesem Image auch gerecht zu werden. | |
So müssen die Fahrer bei Foodora immer darauf achten, dass die Restaurants | |
keine Alufolie oder Plastiktüten benutzen, sondern die hochwertigen und von | |
Foodora gestellten Essenscontainer. Man will sich vom Pizzabäcker um die | |
Ecke abheben. | |
Das Versprechen eines bequemen Alltags klingt verlockend, aber es verändert | |
auch unser Zusammenleben. Das ist nicht grundsätzlich schlecht. Für viele | |
bieten diese neuen Dienste eine Möglichkeit, die Anforderungen von Beruf | |
und Familie unter einen Hut zu bekommen. Wir sollten eher überlegen, welche | |
Veränderungen die Bequemlichkeit uns wert ist. | |
## Prekär und kalt | |
Die vielen Lieferautos und Radkuriere, die durch die Straßen fahren, sind | |
eines der sichtbarsten Anzeichen für unser verändertes Konsumverhalten. Sie | |
sind es, die diese Wirtschaft am Laufen halten. Denn auch wenn eine | |
technische Plattform zwischen uns und den Dienstleistern vermittelt, | |
irgendwie müssen die Dinge immer noch zu uns nach Hause kommen. Diese | |
Arbeit ist oft nicht gut bezahlt, und die Radkuriere müssen viele | |
Arbeitsmittel selbst stellen: Smartphone, Fahrrad, warme Kleidung für den | |
Winter. Jeder platte Reifen schmälert den Verdienst. | |
[1][Die FahrerInnen von Foodora und Deliveroo streikten] deswegen kürzlich | |
in England und Italien für bessere Arbeitsbedingungen. Sich deswegen zu | |
schämen, diese Dienste zu nutzen, oder sie gar zu boykottieren, hilft der | |
Sache wenig. Solange aber nicht Drohnen die Pakete zur Haustür bringen oder | |
Roboter die Wäsche waschen, produziert die Convenience Economy Jobs, in | |
denen Menschen meist prekär arbeiten müssen. Auch die Versprechen der | |
Convenience Economy an ihre Kunden sind mit Vorsicht zu genießen. Wir sind | |
zwar in der Lage, manche Dinge einfacher zu erledigen oder an andere | |
abzugeben. Doch statt in mehr Muße zu münden, fließt die gewonnene Zeit nur | |
in die Erledigung weiterer Aufgaben. | |
Auch wenn sie sich als bequem tarnt, die Convenience Economy folgt einer | |
Logik der Effizienz. Je mehr Zeit du an der einen Stelle sparst, desto mehr | |
kannst du an anderer investieren. Das ist Selbstoptimierung. Das passt zu | |
einer Zeit der permanenten Verfügbarkeit und Flexibilität, in welcher der | |
Druck auf den Einzelnen wächst, möglichst nicht seine Zeit mit banalen | |
Dingen wie Putzen oder Einkaufen zu verschwenden, stattdessen diese | |
effizient auszulagern. Die Start-ups versprechen zwar mehr Zeit für uns | |
selbst, bieten aber im Grunde nur Dienstleistungen an, die das Privatleben | |
auf gleiche Weise wie die Arbeitswelt optimieren und fragmentieren. Sie | |
wenden wirtschaftliches Denken auf das Private an. | |
Die Start-ups der Convenience Economy sind angetreten, um unseren Alltag | |
zu verändern. So wie große Onlinehändler längst beeinflussen, welche | |
Geschäfte wir noch in Einkaufspassagen finden, genauso wird die Convenience | |
Economy beeinflussen, wie wir unser Privatleben organisieren, wie viel | |
zufällige Interaktion miteinander künftig noch stattfinden wird. Vielleicht | |
ist es nicht effizient, hat aber doch seinen Charme, beim Lieblingsimbiss | |
noch einen Plausch zu halten oder über den Wochenmarkt zu streifen, um eine | |
neue Zutat zu entdecken. Selbst zu entscheiden, Neues zu entdecken, zu | |
handeln oder mit seinen Mitmenschen zu interagieren mag mehr Zeit in | |
Anspruch nehmen und oft anstrengend sein, birgt aber auch stets das | |
Potenzial, eine persönliche Bereicherung zu sein. | |
11 Feb 2017 | |
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## AUTOREN | |
Heiko Niebur | |
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