# taz.de -- Verbraucherschützer zu Konsum & Angst: „Konsum ist etwas Grundle… | |
> Viele Menschen fühlen sich zunehmend ohnmächtig, sagt der | |
> Verbraucherschützer Klaus Müller. Konsum- und Wahlverhalten haben dabei | |
> viel miteinander zu tun. | |
Bild: Als Kind war es noch einfach – lustgesteuertes Kaufen ohne Welt und War… | |
taz: Herr Müller, Sie sind als Ansprechpartner für die Verbraucher so nah | |
wie wenige andere an den Unzufriedenheiten der Bevölkerung dran. Woher | |
kommt denn das Misstrauen, das derzeit an so vielen Orten und in so vielen | |
Debatten anzutreffen ist? | |
Klaus Müller: Ich glaube, die Unzufriedenheit, die wir auch bei | |
Verbrauchern feststellen, liegt zum einen darin, dass die Vielfalt der | |
Angebote inzwischen so groß ist, dass das bei vielen Menschen nicht nur | |
Konsumfreude, sondern auch ein Ohnmachtsgefühl auslöst. Die Globalisierung | |
hat große Vorteile, sie hat aber auch gravierende Nachteile. Wir beobachten | |
das Gefühl, der einzelne sei unwichtig geworden. Es gibt ja die Tendenz bei | |
Anbietern, ihre Bestandskunden, die früher gehegt und gepflegt wurden, etwa | |
von Energieversorgern, Telefonanbietern oder Banken, nicht mehr so intensiv | |
zu binden. Menschen machen eine Erfahrung der Unwichtigkeit. | |
Und übertragen die Menschen dieses Ohnmachtsgefühl des Kunden auf ein | |
Ohnmachtsgefühl des Bürgers? | |
Ja, dafür gibt es viele Indizien. In einer aktuellen Befragung von | |
Verbrauchern hat der Verbraucherzentrale Bundesverband eine Reihe von | |
Indikatoren dafür, dass sich Menschen – auch abhängig von ihrer | |
parteipolitischen Präferenz – unterschiedlich gut geschützt fühlen. Mit | |
Politik werde ich möglicherweise aber nur punktuell konfrontiert, wenn ich | |
die Zeitung lese, wenn ich mal Radio höre. Aber meine Konsumerfahrung ist | |
etwas Grundlegendes, und da gibt es Unterschiede in den Wahrnehmungen und | |
Meinungen. Wir haben die ganz klassische Frage gestellt: Wie gut meinen | |
Sie, sind Ihre Interessen als Verbraucher geschützt? Da sehen wir, dass es | |
den Menschen, die der Sozialdemokratie zuneigen, zu 72 Prozent gut geht, | |
bei den Christdemokrat sind es noch knapp Zwei Drittel, bei den Grünen noch | |
deutlich über die Hälfte. Bei der AfD oder den Linken sinkt der Wert unter | |
30 Prozent. Jetzt könnten wir lange darüber diskutieren – Henne oder Ei? | |
Aber ich kann feststellen: Menschen, die ihre Konsumwelt so erleben, die | |
sich nicht ernst genommen fühlen, nicht gewertschätzt, die sogar erleben, | |
dass der Umgang nicht ehrlich und auf Augenhöhe ist, die sind enttäuscht | |
und neigen im Ergebnis offenbar auch zu spezifischen politischen Ansichten. | |
Zum Beispiel? | |
Uns haben die großen Märkte des Verbraucherschutzes interessiert, also | |
Tourismus, Energie, Lebensmittel, Gesundheit, Internet. Es fällt auf, dass | |
sich AfD-Wähler, außer beim Thema Internet und Telefon, durchgängig am | |
wenigsten geschützt fühlen. Für die Linken gilt das ganz eindeutig für den | |
Finanzmarkt, sie fühlen sich in diesem Bereich am wenigsten geschützt. | |
Manche Menschen waren bei Bankgeschäften und bestimmten Kaufentscheidungen | |
schon immer unsicher. Wie kommt es eigentlich jetzt zur Erschütterung des | |
Vertrauens? Warum glaubt jetzt plötzlich alle Welt, überrumpelt zu werden? | |
Lebensmittel zu kaufen, ist doch eigentlich was Tolles. Was gibt es | |
Schöneres als Essen? Sich im Bereich von Kommunikation zu tummeln, ist ein | |
ur-menschliches Bedürfnis. Wir wären arm dran, wenn es anders wäre. Wir | |
haben doch alle schon in alltagsrelevanten Angeboten, Kaufentscheidungen | |
Enttäuschungen erlebt. Und genau das ist ein Nährboden für einen diffusen | |
Vertrauensverlust. Aber es wäre vollkommen falsch, uns „arme“ Verbraucher | |
nur als Opfer darzustellen. Die Kehrseite der Medaille ist, dass | |
Lebensmittel in der Vergangenheit tendenziell immer preiswerter wurden. Und | |
dann wundern wir uns, warum bestimmte Lebensmittel nicht mehr die Qualität | |
haben, die sie früher hatten? | |
Wenn ich nicht mehr genau weiß woher ein Stück Fleisch kommt, verliere ich | |
den Glauben an die Demokratie? | |
Der Brückenschlag wäre mir noch einen Tick zu weit. Aber ich spüre eine | |
Enttäuschung. Wenn der Preis nicht mehr sagt: Billig ist schlecht, teurer | |
ist sehr viel besser – dann ist ein Nährboden für Verunsicherung da. | |
Jetzt war Ihnen mein Schritt zu mutig, aber Ihre Aussage war nun sehr wenig | |
mutig. Sie haben gesagt: Es gibt eine Linie zwischen Sicherheit und gutem | |
Verbraucherschutz. Wie sieht diese Linie aus? | |
Die Zahlen belegen durchaus einen Zusammenhang zwischen Menschen, die | |
bestimmten Parteien zuneigen und ihrem Unsicherheitsgefühl im | |
Verbraucheralltag. Unsere österreichischen Verbraucherschutzkollegen haben | |
mit der FPÖ schon jahrelange Erfahrungen. Auch sie berichten, dass | |
rechtsnationale, rechtskonservative Parteien diese Unsicherheiten, die ich | |
im Finanzmarkt, im Digitalen, im Lebensmittelbereich feststellen kann, | |
aufgreifen – ich würde sagen: instrumentalisieren. Die traditionellen | |
Parteien haben das Thema Verbraucherschutz nicht immer ernst genug | |
genommen. Verbraucher brauchen Orientierung, Informationen, Transparenz und | |
ja, auch Schutz. Das müssen wir und auch die Politik doch zur Kenntnis | |
nehmen. Andersherum kann die Politik gerade mit Blick auf die nächsten | |
Wahlen daraus einen Ansporn ableiten: Wie kann ich Verbraucher fit machen, | |
sie unterstützen und ihnen das Leben leichter machen? | |
Warum antworten links eingestellte Verbraucher und AfD-Anhänger in Ihren | |
Umfragen bisweilen beinahe mit ähnlichen verunsicherten Argumenten? | |
Es gibt im Wesentlichen drei Gruppen von Verbrauchern: Es gibt die | |
verantwortungsbewussten Verbraucher, die versuchen vieles richtig zu | |
machen, die zugleich eigenständig und innovativ sind. Die große Gruppe | |
bilden die vertrauenden Verbraucher. Diese Menschen glauben, der Markt sei | |
schon in Ordnung. Und es gibt die verletzlichen Verbraucher. Da ist der | |
Geldbeutel vielleicht etwas knapper ausgestattet und es macht einen | |
Unterschied, ob das Konto kostenlos ist oder es fünf Euro im Monat kostet. | |
Wir finden bei den Linken viele verletzliche Verbraucher. Das wäre meine | |
Erklärung, warum Wähler, die der Linken zuneigen, diese Enttäuschung | |
spüren. Während es bei den AfD-Wählern, wenn man den bisherigen | |
Untersuchungen glauben kann, weniger ein ökonomisches Problem ist. Der | |
Vertrauensverdruss ist hier eine Staatsenttäuschung, eine durchaus auch | |
angefeuerte Elitenenttäuschung, ein ganz grundsätzliches Misstrauen in die | |
Welt und die Entwicklungen, deren Geschwindigkeit als bedrohlich | |
dargestellt wird. | |
Wie setzen sich die Vertrauenswerte in Politik um? | |
Verbraucher und Wähler sind ja keine zweigeteilten Wesen. Ein Beispiel für | |
sehen wir im Bereich Energie: Die AfD-nahen Befragten sind signifikant | |
höher (88 Prozent) dafür, dass „Verbraucher von steigenden Energiekosten | |
entlastet werden sollen“ als andere Verbraucher. Das korrespondiert mit | |
Klimaskepsis und der Ablehnung der Energiewende. Was heißt das für die | |
demokratischen Parteien? Sie müssen ausgleichende Lösungen finden, diese | |
gut kommunizieren und den Glauben stärken, dass gute Politik etwas mit | |
Gerechtigkeit, sozialem Ausgleich und dem Schutz der Menschen zu tun hat. | |
Wenn man alle Menschen, insbesondere aber die, die sich von der | |
AfD-angezogen fühlen, erreichen will… | |
…gehört die AfD nicht zum demokratischen Spektrum? | |
Diese Debatte muss geführt werden, das ist aber nicht das primäre Anliegen | |
des Verbraucherschutzes. Ich wünsche mir, dass Menschen sich in ihrem | |
Konsumalltag sicher fühlen. Und ich erwarte von der Politik, dass sie dafür | |
den Rahmen setzt. Wenn ich sehe, dass sich Anhänger von CDU, SPD, Grünen | |
alles in allem in vielen Bereichen des Verbraucheralltages deutlich | |
sicherer fühlen als Anhänger von Linken oder auch der AfD, dann muss ich | |
doch darüber nachdenken. Mein Anspruch wäre es, zu sagen: Liebe Politik, | |
bei Euch läuft etwas schief. Ihr müsst bei Euch etwas ändern, damit es auch | |
diesen Menschen – mindestens gefühlt, aber auch objektiv besser und | |
sicherer geht. | |
Angesichts der großen Nervosität in unserer Gesellschaft wird immer wieder | |
diskutiert: Ist das ein materielles oder ein kulturelles Phänomen? | |
Ich will nicht den Eindruck erzeugen, dass der Verbraucherschutz das | |
Allheilmittel wäre. Für einen Teil der Gesellschaft ist aber tatsächlich | |
die ungleiche Ressourcen- bzw. Kostenverteilung ihr primäres Problem. | |
Schauen Sie auf den Finanzbereich: Die Zahlen der Bankinstitute, die | |
kostenlose Girokonten anbieten, sinkt von Monat zu Monat. Andere | |
Bevölkerungsgruppen hadern mit der Geschwindigkeit, Vielfalt, Komplexität, | |
mit der sich Dinge verändern. Da gibt es eine Überforderung. Die Politik | |
muss Rahmen so setzen, dass für Menschen das Leben leichter wird, dass der | |
Konsumalltag sie nicht überfordert. Und ich bin überzeugt davon, dass das | |
möglich ist. Nehmen Sie das Beispiel der Riester-Reform: wurde mit diesem | |
Angebot der zusätzlichen privaten Altersvorsorge Leben der Menschen | |
sicherer, können sie wirklich beruhigter in die Zukunft schauen? Ich | |
fürchte nein. | |
Wo hat sich denn die Welt gedreht? Wann wurde es zu komplex? | |
Es gibt nicht den einen Zeitpunkt. Wir befinden uns mitten in der digitalen | |
Transformation, ein Umbruch, der gerade beginnt. Das bedeutet Veränderungen | |
und Einschnitte, eine enorme Beschleunigung, aber auch eine Erhöhung der | |
Wahlfreiheit und bis zu einem gewissen Punkt ist das ja auch wunderbar. Ich | |
bin noch mit dem grünen Wahlscheiben-Telefon mit einem 1,50 Meter langem | |
Kabel im Wohnzimmer aufgewachsen. Da hat ein digitales kabelloses Telefon | |
doch klar Vorteile. Die Digitalisierung macht mein Leben viel spannender | |
und bereichert mich. Aber sie zieht auch in meinen Zahlungsverkehr ein, in | |
die Frage meines Gesundheitsverhaltens, in meine Ernährung, in alle | |
Bereiche meines Verbraucherlebens. | |
Die Welt ist zu komplex geworden und dann ist die Partei erfolgreich, die | |
sagt: Es gibt nur noch die Ehe zwischen Mann und Frau, nur Fleisch oder | |
Fisch. | |
Sie übertreiben. Aber ja, es besteht die Gefahr, dass eine Partei den Unmut | |
der Verbraucher, die Unzufriedenheit im Konsumalltag auf ihre politischen | |
Mühlen lenkt und damit erfolgreich ist. Der Bogen ist vielleicht ein wenig | |
gewagt; aber wenn ich mir die aktuellen Aussagen von Donald Trump anschaue, | |
dann sieht man ja, dass ein solches Konzept Erfolg hat. Und das macht mir | |
große Sorge. Ich appelliere hier an die, die Verantwortung tragen, diese | |
sehr, sehr ernst zu nehmen. | |
Nun kann man von den Parteien schlecht verlangen: Lüge doch ein bisschen, | |
dann fühlen sich die Leute sicherer. | |
Wie bitte? Nein! Ganz im Gegenteil. Ich denke drei Dinge sind notwendig. Es | |
braucht bestimmte gesetzliche Standards. Es gehört Mut dazu, den Markt zu | |
regulieren. Zweitens kann man Vielfalt am Markt nicht zurückdrängen und | |
sollte es auch nicht. Aber man muss gute Informationen von | |
vertrauenswürdigen Absendern dagegen stellen. Und drittens helfen | |
Voreinstellungen (Standardpakete) bei allen möglichen Produkten, zum | |
Beispiel bei der Altersvorsorge oder auch beim Datenschutz. Damit könnte | |
man die Menschen wieder da abholen, wo sie sind und ihnen wieder ein Stück | |
Sicherheit zurückgeben. Die Konsumentscheidung kommt nun einmal viel | |
häufiger vor als ein Aufeinandertreffen mit Frau Merkel oder nunmehr Martin | |
Schulz. | |
Aber ist es dann nicht gerade ein ganz zentraler Punkt, ein geradezu | |
angstfördernder Aspekt, dass kein Mensch mehr das Gefühl hat, Politik könne | |
etwas gestalten? | |
Ja, aber das ist falsch. Natürlich muss es das Ziel sein, im Sinne der | |
Menschen zu handeln und die Politik zu gestalten. | |
Haben denn die Parteien bei Ihnen schon Rat für den Wahlkampf eingeholt? | |
Ja klar, sie haben schon angeklopft. | |
16 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Barbara Junge | |
Jan Feddersen | |
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