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# taz.de -- Gesetz zu Reiserichtlinien: Weniger Schutz für viele Urlauber
> Bei der Reform des EU-Pauschalreiserechts drohen Verbrauchern
> Verschlechterungen. Der Bundestag soll ein missratenes Gesetz
> beschließen.
Bild: Das Holzhaus bei Bud in Norwegen unterliegt nicht dem Pauschalreiserecht
Gut gemeint, schlecht gemacht – so lautet das traurige Fazit zur
überfälligen Reform des Pauschalreiserechts. Ein Thema, das viele Millionen
Urlauber betrifft. Denn spätestens ab 1. Juli 2018 sollen in der gesamten
Europäischen Union neue Regeln für den Verkauf von Reisen gelten. Das hehre
Ziel Brüssels: mehr Schutz für Verbraucher bei der Buchung im Reisebüro und
vor allem im Internet. Dafür wurde im November 2015 eine neue Richtlinie
beschlossen, die alle EU-Staaten bis Ende dieses Jahres zwingend und ohne
viel Spielraum umsetzen müssen.
Seither sorgt das komplizierte Machwerk für jede Menge Ärger. Ein
„Bürokratie-Monster“ sei da geboren worden, schimpfte reichlich verspätet
der Deutsche Reiseverband (DRV). Dann setzte DRV-Präsident Norbert Fiebig
alle Lobby-Hebel in Bewegung, um wenigstens das nationale Gesetz von
Justizminister Heiko Maas (SPD) zu entschärfen.
Sogar Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel warf sich für die Branche in die Bresche.
Als damaliger Wirtschaftsminister ließ Gabriel vorigen Sommer von seinen
Experten in der Ressortabstimmung den ersten, 116 Seiten starken
Referentenentwurf aus dem Hause Maas förmlich in der Luft zerreißen.
## Ein neues Bürokratie-Monster aus Brüssel
Das wirkte. Im inzwischen vorliegenden Regierungsentwurf fehlen nun
wichtige Schutzregeln für Reisende, die zuvor noch enthalten waren und
bisher noch gelten. „Im Ergebnis bringt das neue Pauschalreiserecht, falls
es so von der Bundesregierung umgesetzt würde, keinen besseren
Verbraucherschutz und in wichtigen Bereichen sogar sehr große
Verschlechterungen für Millionen Kunden“, kritisiert Felix Methmann,
zuständiger Reiserechts-Experte beim Dachverband der Verbraucherzentralen
(Vzbv) in Berlin.
Bei den Verbraucherschützern herrscht geradezu Entsetzen über die Pläne und
Vorgehensweise der Bundesregierung zum Nachteil von Urlaubern. Aktuell
geht es um die jährlich viele Millionen organisierten Tagesreisen und
Ferienhausbuchungen, für die nach deutscher Rechtsprechung seit Jahrzehnten
das Pauschalreiserecht gilt. Das hat für Kunden große Vorteile, die nun
ersatzlos wegzufallen drohen.
So können bisher unzuverlässige Reiseanbieter nach hiesigem Recht für
Mängel haftbar gemacht werden, beispielsweise falls eine gebuchte
Unterkunft im Ausland sich als Bruchbude entpuppt oder schon besetzt ist.
Auch wenn ein Reisebus wegen einer Panne es nicht zum Oktoberfest schafft
und das teuer gebuchte Ticket fürs Festzelt verfällt, hat der
Tagesausflügler einen Schadenersatzanspruch und kann zudem monetären
Ausgleich für die nutzlos verstrichene Urlaubszeit verlangen.
## Komplizierte neue Regelungen
„Schon seit 1985 steht zudem durch die Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs fest, dass die Vermietung von Ferienhäusern unter das
Pauschalreiserecht fällt“, betont Methmann. „Und diese für Verbraucher
vorteilhafte Rechtslage will die Regierung nun ohne Begründung mit ein paar
Strichen beseitigen, das ist in keiner Weise nachvollziehbar“, kritisiert
der Fachmann. Auch der Schutz gegen Insolvenz fiele weg, Ferienhausanbieter
müssten sich nicht mehr absichern – und für Urlauber bestünde künftig die
Gefahr, dass die meist hohen und lange im Voraus geleisteten Anzahlungen
weg sein können, wenn der Anbieter plötzlich pleitegeht.
Ganz besonders verärgert die Verbraucherschützer, dass die plötzliche
Herausnahme von Tagesreisen und Ferienwohnungen aus dem neuen
Pauschalreiserecht gemäß der EU-Richtlinie definitiv gar nicht nötig ist.
Im Gegenteil: Um das höhere deutsche Schutzniveau für Reisende bei der
EU-Harmonisierung zu sichern, hatte die Bundesregierung bei den Brüsseler
Verhandlungen sogar selbst den Erhalt durchgesetzt und zunächst auch im
ersten Referentenentwurf festgeschrieben.
Doch dann bekam Justizminister Maas nicht nur von seinem Parteichef Gabriel
heftigen Gegenwind. Besonders die Reisebüros machten über ihre Verbände
mobil, Petitionen und Zehntausende Protestbriefe erreichten Regierung,
Parlament und Abgeordnete. Der Grund: Die EU-Richtlinie regelt auch, dass
Vermittler von Reisen künftig stärker für Mängel haften müssen. Darin sieht
die Branche jedoch eine Existenzbedrohung.
Auch hier sind die neuen Regeln so kompliziert, dass vermutlich in Zukunft
viele Gerichte die Streitfälle lösen müssen. Im Kern geht es um den stark
wachsenden Markt der Baustein-Reisen, bei denen Verbraucher Flug, Hotel,
Transfers, Mietwagen und Ausflüge kombinieren, meist per Mausklick im
Internet, aber auch im Reisebüro. Anders als bei Pauschalreisen, die
Veranstalter in ihren Katalogen anbieten, gibt es bei den Einzelbuchungen
im Problemfall bisher allerdings nur wenig Schutz.
Fällt zum Beispiel der Flug wegen einer Aschewolke aus und die gebuchte
Kreuzfahrt wird nicht erreicht, haftet kein Veranstalter. Wer alleine
reist, ist auch auf sich gestellt, wenn plötzlich eine Terrorkrise das
Urlaubsland wie in Tunesien oder Ägypten lahmlegt. Die EU-Richtlinie soll
für solche selbst zusammengestellten Reisen künftig wenigstens einen
einheitlichen Basisschutz in Europa schaffen. So gibt es strengere
Informationspflichten und Vorgaben zur Insolvenzabsicherung, wobei in
Deutschland das bewährte System des Sicherungsscheins erhalten bleiben
soll.
Zudem definiert die Richtlinie eine neue Kategorie der „verbundenen
Reisen“. Bucht der Kunde online oder im Reisebüro binnen 24 Stunden mehrere
Reiseleistungen, also zum Beispiel online auf der Airline-Plattform zum
Flug auch noch Hotel oder Mietwagen, haftet der Anbieter wie bei einer
Pauschalreise. Für Reisebüros bedeutet das jedoch, dass sie in die
Veranstalterhaftung geraten können und teure Haftungs- und
Insolvenzversicherungen benötigen.
## Zugeständnisse an die Reisebranche
Daran kann Justizminister Maas aber nur wenig ändern, denn die
1:1-Umsetzung in nationales Recht schreibt Brüssel vor und die
Bundesregierung hat – anders als zum Beispiel Österreich – der Richtlinie
brav zugestimmt. Um die Protestwogen zu glätten, machte die Regierung der
Reisebranche andere Zugeständnisse, darunter die Ausklammerung des seit
Jahrzehnten geltenden Pauschalreiserechts für Tagesfahrten und
Ferienhäuser.
Stolz präsentiert der DRV diese Änderungen nun als seine
„Verhandlungserfolge“. Zudem habe man bereits in Brüssel ein generelles
Widerrufsrecht für Pauschalreisen verhindert. Schön auch für die Branche,
dass Anbieter künftig bis 20 Tage vor Reisebeginn nachträglich den
vereinbarten Buchungspreis noch um bis zu 8 Prozent erhöhen dürfen, ohne
dem Kunden ein Rücktrittsrecht einräumen zu müssen. Zurücktreten darf der
Kunde künftig erst, wenn der Anbieter eine noch höhere Nachforderung
stellt.
Kein Wunder, dass das Urteil der Verbraucherschützer zu dieser Reform
einmütig negativ ausfällt. „Damit werden bisherige gesetzliche
Schutzstandards zu Lasten der Reisenden ausgehöhlt“, kritisiert
Vzbv-Experte Methmann. „Die Chancen für verbraucherfreundlichere Regelungen
droht die Regierung komplett zu verspielen.“
12 Feb 2017
## AUTOREN
Thomas Wüpper
## TAGS
Tourismus
Rechte
Verbraucher
Reisen
Schwerpunkt taz.meinland
Airbnb
Lesestück Recherche und Reportage
Reisen
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